Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Kultur, Glaube; Hochgebet: Abel, Abraham, Melchisedek -> Christus; Jona Kurzinhalt: Bereits im Inneren des Alten Testaments können wir die Überzeugung finden, daß der Mensch in seiner Beziehung zu Gott nicht völlig ohne Maßstab ist; in allen Entfremdungen ist ihm ein inneres Wissen möglich, das ihm den Weg zeigen kann. Textausschnitt: 78a Im Römischen Kanon, dem ersten Hochgebet des von Papst Paul VI. reformierten Meßbuches, wird an Gott die Bitte gerichtet, er möge auf die Gaben der Kirche »versöhnt und gütig« niederschauen, wie er einst auf die Gaben seines »gerechten Dieners Abel«, auf »das Opfer unseres Vaters Abraham« und auf »die heilige Gabe, das reine Opfer seines höchsten Priesters Melchisedek« geblickt hatte. Diese Bitte hat den Zorn Luthers hervorgerufen und wurde auch in den Kreisen der Liturgischen Bewegung kräftig kritisiert als Mißverständnis des christlichen Gottesdienstes, als »Rückfall« ins Alte Testament, ins Vorchristliche. Die alte Kirche, deren Glauben und Beten sich in diesem Text ausspricht, dachte anders. Für sie gab es keinen Bruch zwischen dem Beten der Völker, dem Beten Israels und dem Beten der Kirche. Gewiß, die »Neuheit« des Christlichen war eine grundlegende Kategorie des christlichen Glaubens: Der Herr hatte wahrhaft Neues, das Neue schlechthin gebracht, aber dieses Neue war vorbereitet, und die Geschichte war in all ihren Wirrnissen und Verirrungen doch auf dem Weg dahin. Es galt freilich zu unterscheiden zwischen dem, was zu Christus hinführte, und dem, was ihm entgegenstand. Es galt, dies Ganze einem Prozeß der Reinigung und Erneuerung auszusetzen, der aber eben doch nicht Zerstörung und absoluter Bruch, sondern Erneuerung und Heilung war. Der Glaube erscheint als Krise und Kritik der Religionsgeschichte, aber nicht als deren totale Verneinung. Das Gebet »Supra quae«, dem die vorigen Zitate entnommen sind, ist so eine Einübung in die Unterscheidung der Geister, eine kritische und zugleich positive Deutung der vorchristlichen Wege der Gottesverehrung. Die Auswahl der Figuren ist in vieler Hinsicht bezeichnend. Abel ist der erste Märtyrer - einer, der nicht getötet hat, sondern sich töten ließ und selbst zum »Lamm« wurde, das Geschick Christi, des wahren Osterlammes antizipierte. Abraham ist bereit, den einzigen Sohn, Isaak, zu opfern und so seine Zukunft, den Inhalt der Verheißung wegzugeben; an die Stelle des Sohnes tritt das Lamm, der Widder - in vielfältigen Brechungen wirft das Licht Christi seine Strahlen voraus. Melchisedek, der König von Salem, ist Priester des El Eljon - des »höchsten Gottes«; er opfert Brot und Wein. Diese geheimnisvolle Gestalt hat sowohl das frühe Judentum wie die werdende Kirche immer neu beschäftigt; der Brief an die Hebräer sieht in ihm das Priestertum Jesu Christi im Gegenüber zum aaronitischen Priestertum dargestellt. Beachten wir die zwei Prädikate, die von ihm ausgesagt werden: »Sedek« bedeutet Gerechtigkeit, Recht; »Salem« verweist auf Jerusalem und ist eine Abwandlung von »Shalom«: Friede. Recht und Friede sind seine Kennzeichen. Er verehrt den »höchsten Gott« - nicht irgendwelche Götter, sondern den einen Gott über den Göttern. Er opfert nicht Tiere, sondern die reinsten Gaben der Erde -Brot und Wein. Wiederum scheint auf vielfältige Weise Christus durch. Zu Recht haben die Väter in den drei genannten Gestalten »Typen« Christi gesehen. Heute ist es Mode, auf die Typologie als Vergewaltigung der Texte einzuschlagen, und gewiß gab es auch verfehlte Anwendungen der Typologie. Aber ihr berechtigter Kern und ihre wesentliche Aussage erscheint gerade an dieser Stelle mit großer Deutlichkeit: Es gibt eine durchlaufende Linie in der Geschichte des Glaubens und der Gottesverehrung. Es gibt innere Entsprechungen, es gibt Abwege, aber es gibt auch den Weg, der eine Richtung hat; der innere Gleichklang mit der Gestalt Jesu Christi, seiner Botschaft und seinem Sein ist einfach nicht abzustreiten, trotz der Verschiedenheit der geschichtlichen Kontexte und Stufen. Der richtige Sinn dessen, was man »Inklusi-vismus« nennt, wird gerade hier sichtbar: Es handelt sich nicht um eine äußerliche, von einem dogmatischen Postulat her konstruierte Absorption, die dem Phänomen Gewalt antun würde, sondern um eine Korrespondenz von innen her, die wir durchaus als eine Finalität bezeichnen können: Christus ist in diesen Gestalten unterwegs in der Geschichte, wie wir es - wiederum mit den Vätern - ausdrücken können. (Fs) |