Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Kultur, Glaube; Christentum - Hellenisierung; homoousios Kurzinhalt: Das Homoousios antwortet auf diese Frage. Es sagt: Das Wort »Sohn« ist nicht poetisch-allegorisch (mythologisch, symbolisch), sondern ganz realistisch zu verstehen. Jesus ist es wirklich und wird nicht bloß so genannt.
Textausschnitt: 74a Die Ansicht, daß das katholische und auch das östliche Christentum nicht das Christentum der Bibel sei, sondern auf einer Amalgamierung der Bibel mit der griechischen Philosophie und römischem Recht beruhe, ist heute gängige Meinung. Die Reform des 16. Jahrhunderts hatte mit ihrem Grundsatz »die Schrift allein« eine Perspektive dieser Art eröffnet, die allerdings dadurch gemildert war, daß man das alt-christliche Dogma beibehielt, das in griechischer Sprache und mit griechischen Denkmitteln formuliert worden war. Seit der Aufklärung hat sich diese Unterscheidung zwischen biblischem und historischem Christentum radikalisiert; in dem Stichwort von der »Hellenisierung« des Christentums hat diese Auffassung gebündelt Ausdruck gefunden. Am konsequentesten hat der große Dogmenhistoriker Adolf von Harnack diesen Gedanken historisch und sachlich durchgearbeitet: Die Gnosis war nach ihm die akute Hellenisierung des Christentums, das katholische Christentum die historisch wirksam gewordene, langsam entwickelte Form desselben Prozesses.1 Heute besteht unter den Historikern Einmütigkeit darüber, daß diese Interpretation von Gnosis und katholischem Christentum nicht haltbar ist. Aber das Stichwort von der Hellenisierung hat nichts von seiner Faszination verloren; es ist weiter verbreitet und angenommen als je zuvor. Von der Befreiungstheologie bis zur pluralistischen Religionstheologie wirkt es in unterschiedlichen Oszillationen.2 Der Inhalt des Stichwortes ist nun sehr einfach und einleuchtend geworden: Die Bibel sei Ausdruck religiöser Erfahrungen und habe eine Praxis des rechten Lebens entwickelt; die von der griechischen Kultur geprägte alte Kirche habe diese Praxis mit einer philosophischen Theorie überlagert und daraus eine Buchstabenorthodoxie entwickelt, die heute niemandem mehr zumutbar sei. Selbst Theologen, die sich innerhalb des Konsenses der Gesamtkirche bewegen wollen und versuchen, das altkirchliche Dogma zu verstehen, deuten doch an, daß es ja seine Bedeutung für eine bestimmte Epoche und in bestimmten kulturellen Konstellationen gehabt haben könne, aber doch nicht die Kirche im ganzen in den verschiedenen Kulturen angehe, zu denen der Glaube unterwegs ist. Dies sei eben eine Kulturgestalt - die griechische oder die griechisch-lateinische des Christentums, aber andere Kulturen könnten darauf nicht verpflichtet werden. (Fs)
75a Hier steht natürlich wieder das ganze Problem von Kultur und Glaube zur Debatte, das nun nicht noch einmal aufgerollt werden soll. Das Problem der Hellenisierung wird uns in diesem Buch immer wieder von verschiedenen Seiten her begegnen und so auch von verschiedenen Seiten her Antwort finden. So mögen an dieser Stelle zwei Andeutungen genügen, die in anderen Kapiteln wieder aufgegriffen werden sollen. (Fs)
1
75b Die Begegnung zwischen griechischem Denken und biblischem Glauben hat sich nicht erst in der frühen Kirche, sondern innerhalb des biblischen Weges selbst vollzogen. Mose und Platon, Götterglaube und aufgeklärte Götterkritik, theologisches Ethos und ethische Weisung aus der »Natur« sind sich schon innerhalb der Bibel selbst begegnet. Der endgültige Durchbruch zum klaren Ein-Gott-Glauben im Exil, das Ringen um eine neue Grundlegung des Ethos nach dem Scheitern des Tun-Ergehen-Zusammenhangs (Ijob, verschiedene Psalmen usw.) wie endlich die Kritik an den Tieropfern des Tempels und die Suche nach einem gottgemäßen Verständnis von Kult und Opfer waren Vorgänge, in denen sich die Berührung der beiden Welten von selbst ergab. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, die die Bibel des Neuen Testaments war, ist - wie wir heute wissen - nicht als eine hellenisierende Übertragung der Masora (des hebräischen Alten Testaments) anzusehen, sondern bildet eine eigenständige Überlieferungsgröße; die beiden Texte stehen als eigenwertige Zeugnisse der Entfaltung des biblischen Glaubens vor uns.1 Die alte Kirche hat konsequent eine interkulturelle Begegnung weiter entfaltet, die im Kern des biblischen Glaubens selbst verankert ist. (Fs) (notabene)
2
76a Die großen Grundentscheidungen der alten Konzilien, die sich in den Glaubensbekenntnissen niedergeschlagen haben, biegen nicht den Glauben in eine philosophische Theorie um, sondern geben zwei wesentlichen Konstanten des biblischen Glaubens sprachliche Gestalt: Sie stehen ein für den Realismus des biblischen Glaubens und wehren einer bloß symbolistisch-mythologischen Deutung; sie stehen ein für die Rationalität des biblischen Glaubens, der zwar das Eigene der Vernunft und ihrer möglichen »Erfahrungen« überschreitet, aber doch an die Vernunft appelliert und mit dem Anspruch auftritt, Wahrheit auszusagen - dem Menschen den Zugang zum eigentlichen Kern der Wirklichkeit zu eröffnen. Ich möchte das - wie ich es schon öfters getan habe -an einem zentralen Beispiel kurz darstellen, an dem einen rein philosophischen und gewiß nicht biblischen Wort, das in das große Credo Eingang gefunden hat und daher auch zum Paradebeispiel für die »Hellenisierung« des Christentums geworden ist. Ich meine die Aussage, daß Jesus Christus Gottes eingeborener Sohn, »homoousios« mit dem Vater ist - eines Wesens mit ihm. Es ist bekannt, wie um dieses Wort gestritten wurde, wie man Abschwächungen, Kompromisse - aus politischen Gründen wie in der Suche nach Vermittlung zwischen den Gegensätzen, nach Frieden in der Kirche - suchte, am Ende aber eben doch dieses Wort als Gewähr für die Treue zum biblischen Glauben festgehalten hat.2 Wird hier eine glaubensfremde Philosophie kanonisiert, eine Metaphysik zum Dogma erhoben, die eben doch nur einer Kultur zugehört? Um darauf zu antworten, müssen wir uns die Frage vergegenwärtigen, um die es ging. Das Neue Testament sprach von Jesus als dem Sohn Gottes. Nun, von Gottes- und Göttersöhnen sprachen auch die Religionen, in deren Welt die christliche Mission hineintrat. War dieser Jesus von Nazareth ein Gottessohn dieser Art? War das also eine poetisch-übersteigernde, »mythologische« Redensart, wie sie vielleicht unter Verliebten üblich ist, die ihren Geliebten für sich absolut setzen, aber natürlich nicht über die Wirklichkeit selbst und im Ganzen eine Entscheidung treffen wollen? War dies Bildrede, oder welche Art von Realismus war damit beansprucht? An dieser Frage hängt die Entscheidung, was das Christentum überhaupt ist - ob Jesus zu den »Avataras«, zu den vielgestaltigen Erscheinungsformen der Gottheit in der Welt zählt, ob Christentum eine Religionsvariante unter anderen ist oder ob hier ein anderer Realismus vorliegt. Das Homoousios antwortet auf diese Frage. Es sagt: Das Wort »Sohn« ist nicht poetisch-allegorisch (mythologisch, symbolisch), sondern ganz realistisch zu verstehen. Jesus ist es wirklich und wird nicht bloß so genannt. Der Realismus des biblischen Glaubens wird verteidigt, nichts sonst; der Ernst des Ereignisses, des neuen, von außen kommenden Geschehens. In diesem »Ist« klingt das »Ich bin« der Dornbuschformel nach (Ex 3,14), was immer ihr historischer Ursprungssinn gewesen sein mag. »Ich bin es« hat Jesus mehr als einmal gesagt und den ganzen Realismus des biblischen Glaubens darin ausgedrückt: Die scheinbar so vorgeschobene Formel des Credo, das Homoousios, sagt uns letztlich nur, daß wir die Bibel beim Wort nehmen dürfen, daß sie in ihren letzten Aussagen wörtlich gilt und nicht bloß allegorisch.3 Bei ihrer Entscheidung hatten die Väter sehr genau begriffen, daß die Bibel nicht bloß irgendeine »Orthopraxie« einführen wollte. Ihr Anspruch ist höher. Sie hält den Menschen für wahrheitsfähig und will ihn mit der Wahrheit selbst konfrontieren, ihm die Wahrheit eröffnen, die in Jesus Christus als Person vor den Menschen steht. Das Auszeichnende der griechischen Philosophie war es, daß sie sich nicht mit den überlieferten Religionen und nicht mit den Bildern des Mythos begnügte, sondern in allem Ernst die Frage nach der Wahrheit stellte. Und so kann man an dieser Stelle vielleicht doch den Finger der Vorsehung erkennen - warum die Begegnung zwischen dem Glauben der Bibel und der griechischen Philosophie wahrhaft »providentiell« gewesen ist. (Fs)
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