Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Kultur, Glaube; Inklusivismus, Pluralismus; Christentum, Mystik (Monismus Indiens), Islam
Kurzinhalt: ... weil der Glaube an diese Offenbarung nicht aus einer einzelnen Kultur, sondern durch einen Eingriff von oben zustande kommt und daher nichts einfach »absorbiert«. In einer vielfältigen Symphonie läßt er allen großen spirituellen ... Textausschnitt: 66a Nach diesen Überlegungen über das Verhältnis von Religion, Glaube, Kultur kann die Typologie der Lösungen des Religionsproblems neu aufgegriffen werden, die uns bereits in den drei Begriffen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus begegnet war. Der Exklusivismus in dem Sinn, daß allen Nichtchristen das Heil abgesprochen würde, wird heute wohl von niemandem vertreten - das war übrigens auch nicht die Ansicht von Karl Barth. Daß sein »Exklusivismus« sich auf das Phänomen »Religion« überhaupt und gar nicht spezifisch auf »die Religionen« bezog und insofern auch die Heilsfrage für die Nichtchristen gar nicht direkt tangierte, hatte ich ja schon anzudeuten versucht. Insofern gehört seine Position letztlich einer anderen Fragestellung zu, die heute wohl zu sehr vergessen ist. Für die Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens zu den Religionen der Welt bleiben so im wesentlichen die zwei Positionen Inklusivismus und Pluralismus stehen. Es ist inzwischen gängig geworden, auch den »Inklusivismus« als eine Art von christlichem Imperialismus, als eine Anmaßung den Religionen gegenüber abzulehnen: Es gehe nicht an, die Religionen auf Christus hin finalisiert zu sehen und sie so letztlich christlich zu vereinnahmen. Nun, Karl Rahner hatte gesagt - wir hörten es -, daß wir als Christen auf diese »Anmaßung nicht verzichten können«. Wer sie uns nehmen will, bestreitet den Christen das Recht auf ihren Glauben und auf den Glauben daran, daß alles auf Christus hin geschaffen ist und daß er als der »Sohn«, als der wirkliche, ins Fleisch herabgestiegene Gott, der Erbe des Alls sei - dies einfach deswegen, weil er als Gottes schöpferisches Wort die Wahrheit aller Dinge und Menschen ist. Durch die Wahrheit aber wird niemand vergewaltigt. Wenn man diesen Gedanken weiter vertieft, kann wohl auch der Begriff der »Anmaßung« von innen her aufgelöst werden. Wir hatten von der potentiellen Universalität der Kulturen gesprochen: Die Kulturen der Menschheit, die mit ihren Religionen jeweils ein Ganzes bilden, sind gar nicht beziehungslos nebeneinander oder gegeneinander stehende Blöcke. In ihnen allen ist das eine Wesen Mensch wirksam, in dem es unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen und Wege, unterschiedliche Verirrungen und Gefahren gibt; aber überall ist es letztlich der Mensch, der sich darin ausdrückt. Weil in allen Menschen das eine Wesen Mensch wirksam ist, sind sie alle fähig, ja, gerufen, miteinander in Kommunion zu treten. Keine wahre Kultur ist letztlich impenetrabel für die andere, alle sind zur Berührung miteinander fähig und einander zugeordnet. Daher hat es - wir sprachen davon - in der Geschichte immer den interkulturellen Austausch, die Verschmelzung der Kulturen gegeben. »Inklusivismus« gehört zum Wesen der Kultur- und Religionsgeschichte der Menschheit, die nun gerade nicht in der Form eines strengen Pluralismus gebaut ist. Der Pluralismus in seiner radikalen Form leugnet letztlich die Einheit der Menschheit und leugnet die Dynamik der Geschichte, die ein Prozeß der Vereinigungen ist. (Fs) (notabene)
67a Bis hierher bewegen wir uns noch im rein phänomenologischen Bereich; der Glaube ist für diese Aussagen nicht in Anspruch genommen. Er tritt erst mit der Aussage in Erscheinung, daß in diesem Prozeß der Vereinigungen die in Christus ergangene Offenbarung deren eigentlicher Bezugspunkt ist, eben deswegen, weil der Glaube an diese Offenbarung nicht aus einer einzelnen Kultur, sondern durch einen Eingriff von oben zustande kommt und daher nichts einfach »absorbiert«. In einer vielfältigen Symphonie läßt er allen großen spirituellen Menschheitserfahrungen Raum: Eben dies sieht der Christ in der Geschichte vom Pfmgstwunder vorgebildet, bei dem nicht wie in Babylon (Typus der Kultur des Machens und der Macht) eine Einheitssprache (Einheitszivilisation) allen anderen vorgeschrieben wird, sondern Einheit in der Vielheit geschieht. Die vielen Sprachen (Kulturen) verstehen sich im einen Geist. Sie werden nicht aufgehoben, sondern in einer Symphonie zueinander geführt. Phänomenologisch betrachtet ist es als das Neue und Besondere des Christentums anzusehen, daß es sich nicht einfach in der Religionsgeschichte, als »absolute Religion« unter den »relativen Religionen« angesiedelt hat - obgleich man eine solche Begriffsbildung auch recht verstehen könnte. Der christliche Glaube hat seine Vorgeschichte in den ersten Jahrhunderten mehr in der Aufklärung, also in der Bewegung der Vernunft gegen eine zum Ritualismus tendierende Religion gesucht. Die Vätertexte von den »Samen des Wortes« (und ähnliche Gedankenfiguren), die man heute als Belege für den Heilscharakter der Religionen anführt, beziehen sich im Original gerade nicht auf die Religionen, sondern auf die Philosophie, auf eine »fromme« Aufklärung, für die Sokrates steht, der gleichzeitig Gottsucher und Aufklärer war. Wir werden auf all das noch ausführlicher zu sprechen kommen. In diesem »aufklärerischen« religionskritischen Zug der frühen christlichen Verkündigung liegt auch der Grund dafür, daß man es von staatlicher Seite her als Atheismus, als Absage an die pietas und die den Staat erhaltenden Rituale eingestuft hat. Freilich darf man hier keiner Einseitigkeit verfallen. Obwohl das Christentum, wie gesagt, seine innere Vorgeschichte in der Aufklärung und nicht in den Religionen sah, hat es doch an das religiöse Suchen der Menschen angeknüpft, hat in der Gestaltung von Gebet und Kult auf das Erbe der Religionen zurückgegriffen. Seine innere Vorgeschichte - das Alte Testament - besteht demgemäß in einer immerwährenden Auseinandersetzung zwischen dem Aufgehen in den religiösen Formen der Völker und der prophetischen Aufklärung, die die Götter beiseite schiebt, um das Gesicht Gottes zu finden. So gibt es eine ganz eigentümliche Stellung des Christentums in der geistigen Geschichte der Menschheit. Wir könnten sagen, sie besteht darin, daß der christliche Glaube Aufklärung und Religion nicht getrennt, nicht gegeneinander gesetzt, sondern als ein Gefüge zusammengebunden hat, in dem immer wieder beide sich gegenseitig reinigen und vertiefen müssen. Dieser Wille zur Rationalität, der doch auch stets die Vernunft aufbricht zu einer Selbstüberschreitung, der sie sich gern verweigern möchte, gehört zum Wesen des Christentums. Wir könnten auch sagen: Der christliche Glaube, der aus dem Glauben Abrahams gewachsen ist, dringt unerbittlich auf die Wahrheitsfrage und so auf das, was auf jeden Fall alle Menschen angeht und sie miteinander verbindet. Denn Pilger der Wahrheit müssen wir alle sein.1
68a Der bloße Pluralismus der Religionen als für immer nebeneinander stehender Blöcke kann in der heutigen Geschichtsstunde das letzte Wort nicht sein. Vielleicht müssen wir das Wort »Inklusivismus«, das übrigens in der religionsgeschichtlichen Forschung bis vor kurzem in einem anderen Sinn verwendet wurde, durch bessere Begriffe ersetzen. Gewiß, nicht Absorption der Religionen durch eine einzelne ist angesagt, aber Begegnung in einer Einheit, die Pluralismus in Pluralität wandelt, ist notwendig. Sie wird heute auch durchaus gesucht. Wenn ich recht sehe, gibt es gegenwärtig drei Modelle dafür: Der spirituelle Monismus Indiens - die Identitätsmystik, wie Radhakrishnan sie zuerst klassisch formuliert hatte - sieht sich als den übergreifenden Weg an: Er kann allen anderen Religionen Raum bieten, sie in ihrer symbolischen Bedeutung stehen lassen, so scheint es, und überschreitet sie zugleich in eine letzte Tiefe hinein. Er »relativiert« alles andere und läßt es zugleich in seiner Relativität stehen; das Absolute, mit dem er sie umgreift, liegt außerhalb jeder Benennbarkeit, ist strikt »nicht-kategorial«. Es darf daher ebensogut Sein wie Nichtsein, Wort wie Nichtwort heißen. Es ist offenkundig, daß diese Lösung heute eine breite Anhängerschaft findet, zumal sie den Relativismus auf ihre Weise bestätigt, der in gewisser Hinsicht geradezu die Religion des modernen Menschen geworden ist. (Fs)
69a Daneben steht die christliche Weise der Universalität, die als das Letzte nicht das schlechthin Unnennbare ansieht, sondern jene geheimnisvolle Einheit, die die Liebe schafft und sich jenseits aller unserer Kategorien in der Dreieinheit Gottes darstellt, welche ihrerseits das höchste Bild der Versöhnung von Einheit und Vielfalt bedeutet. Das letzte Wort des Seins ist nicht mehr das absolut Unnennbare, sondern die Liebe, die sich dann konkret in dem Gott versichtbart, der selbst Geschöpf wird und so das Geschöpf dem Schöpfer eint. Diese Form erscheint in vieler Hinsicht komplizierter als die »asiatische«. Aber ist es nicht doch so, daß wir im Grund alle begreifen, daß Liebe das höchste Wort, das wahrhaft letzte Wort alles Wirklichen ist? Alle bisherigen Überlegungen und alle folgenden dienen dazu, dieses christliche »Modell« weiter als wahre Kraft der Vereinigung, als die innere Finalität der Geschichte zu verdeutlichen. (Fs)
69b Endlich steht der Islam im Raum mit der These, daß er die »letzte« Religion ist, die über Judentum und Christentum hinausfuhrt in die wahre Einfachheit des einzigen Gottes, während das Christentum mit dem Glauben an die Gottheit Christi und die Dreieinigkeit Gottes in heidnische Irrtümer zurückgefallen sei. Der Islam komme ohne Kult und Geheimnis aus als die universale Religion, in der die religiöse Entwicklung der Menschheit an ihr Ziel gekommen sei. Zweifellos verdient die Frage, die der Islam an uns stellt, eine eingehende Auseinandersetzung. Sie liegt aber nicht in der Absicht dieses Buches, das sich auf die -meiner Meinung nach - grundlegendere Alternative zwischen Identitätsmystik und Mystik der personalen Liebe beschränkt. (Fs)
____________________________
|