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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Religion und Kultur in der technischen Welt; Relativismus: Grundproblem unserer Zeit; Gegenüberstellung: Kultur - Wahrheit; Regno-Zentrik


Kurzinhalt: Die Wahrheit ist durch den Mehrheitsentscheid ersetzt, so sagt er, eben weil es Wahrheit als gemeinsam verbindlich zugängliche Größe für den Menschen nicht geben könne.1 So wird die Vielheit der Kulturen zum Nachweis der Relativität aller.

Textausschnitt: 59b Das alles trifft dann zu, wenn Jesus von Nazareth wirklich der menschgewordene Sinn der Geschichte, der Logos, das Sichzeigen der Wahrheit selber ist. Dann ist klar, daß diese Wahrheit der offene Raum ist, in dem alle zueinander finden können und nichts seinen eigenen Wert und seine eigene Würde verliert. An dieser Stelle setzt heute Kritik ein. Für die konkreten Glaubensaussagen einer Religion den Anspruch der Wahrheit zu erheben, erscheint heute nicht nur als Anmaßung, sondern als Zeichen mangelnder Aufklärung. Hans Kelsen hat den Geist unserer Epoche ausgedrückt, wenn er den großen sittlichen und religiösen Problemen der Menschheit gegenüber für die Gestaltung der staatlichen Gemeinschaft die Pilatusfrage »Was ist Wahrheit?« als einzig angemessene Haltung darstellt. Die Wahrheit ist durch den Mehrheitsentscheid ersetzt, so sagt er, eben weil es Wahrheit als gemeinsam verbindlich zugängliche Größe für den Menschen nicht geben könne.1 So wird die Vielheit der Kulturen zum Nachweis der Relativität aller. Kultur wird der Wahrheit entgegengestellt. Dieser Relativismus, der heute als Grundgefühl des aufgeklärten Menschen bis weit in die Theologie hineinreicht, ist das tiefste Problem unserer Zeit. Er ist auch der Grund dafür, daß nun Wahrheit durch Praxis ersetzt und damit die Achse der Religionen verschoben wird: Was wahr ist, wissen wir nicht, aber was wir machen müssen, wissen wir: eine bessere Gesellschaft heraufführen, das »Reich«, wie man mit einem der Bibel entnommenen und ins Profan-Utopische gewendeten Wort gerne sagt. Ekklesiozentrik, Christozentrik, Theozentrik - sie scheinen nun alle überholt durch die Regno-Zentrik, die Zentrierung auf das Reich als gemeinsame Aufgabe der Religionen, und nur unter diesem Gesichtspunkt und nach diesem Maßstab sollten sie sich begegnen.2 So besteht nun kein Grund mehr, sie in ihrem Kern, in ihrer sittlichen und religiösen Weisung aufeinander zuzubewegen; wohl aber werden sie alle in ihrem tiefsten Wesen umgeformt, sofern sie als Instrumente einer Zukunftsgestaltung dienen sollen, die ihnen bisher als Aufgabe fremd war und die ihre Inhalte letztlich gegenstandslos werden läßt. (Fs) (notabene)

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