Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Kultur - Glaube; Glaube als Kultursubjekt unter andern Kultursubjekten

Kurzinhalt: Aber in aller Konsequenz tritt die Doppelung erst im Christlichen auf, so daß der Mensch nun in zwei Kultursubjekten lebt: in seinem historischen und in dem neuen des Glaubens, ...

Textausschnitt: 55a Mit alledem sind wir nun beim zweiten Teil unserer Überlegungen angelangt. Wir hatten bisher das Wesen von Kultur und von da aus die Bedingungen kultureller Begegnung und Verschmelzung in neuen Kulturgestalten erörtert. Nun müssen wir uns aus dem Bereich des Grundsätzlichen in den der Tatsachen vorwagen. Vorher müssen wir aber noch einmal das wesentliche Ergebnis unserer Überlegungen zusammenfassen und fragen: Was kann Kulturen miteinander so verbinden, daß sie nicht äußerlich aneinander geheftet werden, sondern innere Befruchtung und Reinigung aus ihrem Begegnen wird? Das Medium, das sie beide zueinander bringt, kann nur die gemeinsame Wahrheit über den Menschen sein, bei der die Wahrheit über Gott und über die Wirklichkeit im Ganzen immer im Spiele ist. Je menschlicher eine Kultur ist, je höher sie steht, desto mehr wird sie auf Wahrheit ansprechen, die ihr bisher verschlossen geblieben war; desto mehr wird sie fähig sein, solche Wahrheit sich zu assimilieren und sich ihr zu assimilieren. An dieser Stelle wird nun das besondere Selbstverständnis des christlichen Glaubens sichtbar. Er weiß, wenn er wach und unbestechlich ist, sehr wohl darum, daß in seinen einzelnen kulturellen Ausprägungen viel Menschliches am Werk ist, vieles, das der Reinigung und der Öffnung bedarf. Aber er ist auch gewiß, daß er in seinem Kern das Sich-Zeigen der Wahrheit selbst und darum Erlösung ist. Denn das Wahrheitsdunkel ist die eigentliche Not des Menschen. Es verfälscht unser Tun und bringt uns gegeneinander auf, weil wir mit uns selbst im Unreinen, uns selbst entfremdet sind, abgeschnitten vom Grund unseres Wesens, von Gott. Wenn Wahrheit sich schenkt, bedeutet dies Herausführung aus den Entfremdungen und damit aus dem Trennenden; Aufleuchten des gemeinsamen Maßstabs, der keiner Kultur Gewalt antut, sondern jede zu ihrer eigenen Mitte führt, weil jede letztlich Erwartung von Wahrheit ist. Das bedeutet nicht Uniformierung, im Gegenteil: nun erst, wenn dies geschieht, kann Gegensatz zu Komplementarität werden, weil alle, vom zentralen Maßstab geordnet, nun ihre je eigene Fruchtbarkeit entfalten können. (Fs)

55b Das ist der hohe Anspruch, mit dem der christliche Glaube in die Welt getreten ist. Aus ihm folgt die innere Verpflichtung, alle Völker in die Schule Jesu zu schicken, weil er die Wahrheit in Person und damit der Weg des Menschseins ist. Wir wollen einstweilen nicht in den Streit um das Recht dieses Anspruchs eintreten, müssen aber darauf später selbstverständlich noch einmal zurückkommen. Zunächst fragen wir: Was folgt daraus für das konkrete Verhältnis des christlichen Glaubens zu den Kulturen der Welt?
56a Als erstes müssen wir feststellen: Der Glaube selbst ist Kultur. Es gibt ihn nicht nackt, als bloße Religion. Einfach indem er dem Menschen sagt, wer er ist und wie er das Menschsein anfangen soll, schafft Glaube Kultur, ist er Kultur. Dieses sein Wort ist nicht ein abstraktes Wort, es ist in einer langen Geschichte und in vielfältigen interkulturellen Verschmelzungen gereift, in denen es eine ganze Gestalt des Lebens, den Umgang des Menschen mit sich selbst, mit dem Nächsten, mit der Welt, mit Gott geformt hat. Der Glaube ist selbst Kultur. Das bedeutet dann auch, daß er ein eigenes Subjekt ist: eine Lebens- und Kulturgemeinschaft, die wir »Volk Gottes« nennen. In diesem Begriff kommt der geschichtliche Subjektcharakter des Glaubens wohl am deutlichsten zum Ausdruck. Steht nun deshalb der Glaube als ein Kultursubjekt unter anderen, so daß man wählen müßte, ob man ihm - diesem Volk als Kulturgemeinschaft - oder einem anderen Volk zugehören möchte? Nein. An dieser Stelle wird das ganz Besondere und Eigene der Kultur des Glaubens sichtbar. Von den klassischen Kultursubjekten, die stammlich, völkisch oder sonstwie durch die Grenzen eines gemeinsamen Lebensbereiches definiert sind, weicht das Subjekt Volk Gottes dadurch ab, daß es in verschiedenen Kultursubjekten besteht, die ihrerseits dabei nicht aufhören, auch für den einzelnen Christen erstes und unmittelbares Subjekt seiner Kultur zu sein. Auch als Christ bleibt man Franzose oder Deutscher, Amerikaner oder Inder usw. In der vorchristlichen Welt, auch in den Hochkulturen Indiens, Chinas, Japans gilt die Identität und Untrennbarkeit des Kultursubjekts. Doppelte Zugehörigkeit ist im allgemeinen unmöglich, wobei freilich der Buddhismus eine Ausnahme bildet, der sich mit anderen Kultur Subjekten sozusagen als deren innere Dimension verbinden kann. Aber in aller Konsequenz tritt die Doppelung erst im Christlichen auf, so daß der Mensch nun in zwei Kultursubjekten lebt: in seinem historischen und in dem neuen des Glaubens, die sich in ihm begegnen und durchdringen. Dieses Miteinander wird nie eine ganz fertige Synthese sein; es schließt die Notwendigkeit fortwährender Versöhnungs- und Reinigungsarbeit ein. Immer wieder muß die Überschreitung ins Ganze, ins Universale eingeübt werden, das nicht empirisches Volk, sondern eben Volk Gottes und daher der Raum aller Menschen ist. Immer wieder muß umgekehrt dieses Gemeinsame ins Eigene hereingeholt und am konkreten Ort der Geschichte gelebt oder auch gelitten werden. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt