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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Theologie der Religionen: Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus; K. Barth, Bonhoeffer K. Rahner, J. Hick; Kritik an den Positionen

Kurzinhalt: An der Fragestellung, die den drei Positionen zugrunde liegt, übe ich freilich insofern Kritik, als ihr meiner Überzeugung nach eine voreilige Identifizierung der Problematik der Religionen mit der Heilsfrage ...

Textausschnitt: 41a Wie ich in der Vorbemerkung zu diesem Beitrag schon kurz angedeutet habe, werden in der Theologie der Religionen heute drei Grundpositionen unterschieden, die zugleich als die einzig Möglichen angesehen werden: Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. Für die exklusivistische Position steht in den üblichen Darstellungen vor allem Karl Barth. Ihr Inhalt wäre, daß exklusiv der christliche Glaube rettet und die Religionen keine Heilswege sind. Dabei muß man aber beachten, daß Barth nicht einfach das Christentum etwa als absolute Religion und alle anderen Religionen gegeneinanderstellt, sondern zwischen Glaube einerseits und Religion andererseits unterscheidet. Er sieht »Religion« als Gegensatz zum Glauben an: Die Religion ist für ihn ein Geflecht menschlicher Haltungen, durch die der Mensch zu Gott aufzusteigen versucht; der Glaube ist demgegenüber eine Gabe von Gott her, der dem Menschen die Hand entgegenstreckt: Nicht unser Tun rettet, sondern allein Gottes gütige Macht. Auch was im Christentum »Religion« ist, fällt unter das Verdikt von Barth. D. Bonhoeffer hat von da aus das Programm eines religionslosen Christentums entworfen, das dann in den 1950er und 1960er Jahren ein lebhaftes Echo gefunden hat. Kürzlich hat der italienische Theologe und Religionsphilosoph G. Baget Bozzo ein Buch unter dem Titel veröffentlicht: »Prophetie. Das Christentum ist keine Religion.«1 Übrigens hat auch R. Guardini die wesentliche Differenz von Glaube und Religion unterstrichen, auch wenn er nicht die Radikalität der Position von Barth teilen mochte.2 (Fs)

42a Für mich ist der Begriff eines religionslosen Christentums widersprüchlich und unrealistisch. Der Glaube muß sich auch als Religion und in Religion ausdrücken, ist freilich nicht auf sie rückführbar. Unter diesem Betracht sollte man die Tradition beider Begriffe neu studieren. Für Thomas von Aquin ist zum Beispiel »Religion« eine Unterabteilung der Tugend der Gerechtigkeit und als solche notwendig, aber natürlich etwas ganz anderes als die »eingegossene Tugend« des Glaubens. Mir scheint, daß es ein vorrangiges Postulat für eine differenzierte Theologie der Religionen wäre, die Begriffe Religion und Glaube präzis zu klären, die meist verschwommen ineinander übergehen und beide gleichermaßen generalisiert werden. So spricht man von »Glauben« im Plural und will damit alle Religionen bezeichnen, obwohl der Begriff Glaube keineswegs in allen Religionen vorkommt, schon gar nicht für alle konstitutiv ist und bei ihnen - soweit er vorkommt - je sehr Verschiedenes bedeutet. Umgekehrt ist auch die Ausweitung des Begriffs Religion als Gesamtbezeichnung des Verhältnisses der Menschen zur Transzendenz erst in der zweiten Hälfte der Neuzeit erfolgt.3 Gerade für das rechte Selbstverständnis des Christentums und die Weise seiner Beziehung zu den Weltreligionen ist eine solche Klärung dringlich. Wir werden später auf dieses Problem zurückkommen. (Fs) (notabene)

42b Wie Barth als Hauptvertreter der exklusivistischen Position angesehen wird, so gilt Rahner als der klassische Repräsentant des Inklusivismus: Das Christentum sei in allen Religionen gegenwärtig, oder umgekehrt: Alle Religionen gehen - ohne es zu wissen - ihm entgegen. Aus dieser inneren Zuordnung beziehen sie ihre Heilskraft: Sie führen zur Rettung, insofern und weil sie verborgen das Geheimnis Christi in sich tragen. Mit dieser Sicht bleibt einerseits bestehen, daß allein Christus und die Verbindung mit ihm rettende Kraft hat; andererseits kann man den Religionen einen - freilich gleichsam geliehenen - Heilswert zuerkennen und so die Rettung der Menschen außerhalb der »einen Arche des Heils« erklären, von der die Väter sprechen. Zugleich läßt sich doch noch - wenn auch weniger radikal als auf exklusivistischer Basis - die Notwendigkeit der Mission erklären: Was alle Religionen nur ungenau, unter dunklen Chiffren und zum Teil auch entstellt darbieten, ist im Glauben an Jesus Christus sichtbar geworden. Erst er reinigt die Religionen und führt sie ihrem eigenen Wesen, ihrer tiefsten inneren Sehnsucht entgegen. (Fs) (notabene)
43a Schließlich ist vor allem mit dem in Amerika wirkenden anglikanischen Theologen J. Hick und mit P. Knitter als Drittes die pluralistische Position in Erscheinung getreten, als deren stärkster Anwalt im deutschen Sprachraum sich P. Schmidt-Leukel profiliert hat.4 Der Pluralismus bricht klar mit dem Glauben, daß allein von Christus das Heil kommt und daß zu Christus seine Kirche gehört. Die pluralistische Position ist der Meinung, daß der Pluralismus der Religionen von Gott selbst gewollt ist und daß sie alle Heilswege sind oder wenigstens sein können, wobei im einzelnen Christus durchaus eine herausgehobene, aber eben keine exklusive Stellung zugesprochen werden kann. Der Varianten sind hier wie bei der sogenannten inklusivistischen Position viele, so daß da und dort die Positionen nahezu ineinander übergehen. (Fs)

43b Deswegen fehlt es auch nicht an Vermittlungsversuchen, zu denen etwa das Buch von B. Stubenrauch »Dialogisches Dogma« zu zählen wäre.5 Als herausragender Vertreter eines Vermittlungsversuchs ist aber vor allem J. Dupuis zu nennen, den freilich die Pluralisten dennoch klar als »Inklusivisten« einstufen.6 Mit seinem Werk hat sich auch die Glaubenskongregation befaßt, da der durchschnittliche Leser daraus - bei aller Treue zur Einzigkeit Jesu Christi - dennoch ein Gefälle zu pluralistischen Positionen entnehmen mußte. Der Dialog führte zu einer »Notifikation«, in der einvernehmlich die Punkte geklärt wurden, die für P. Dupuis theologisch wesentlich sind und damit auch die Abgrenzung zum Pluralismus deutlich markieren. (Fs)

44a Der Disput dieser drei Positionen ist nicht Sache dieses Buches; die Problematik selbst wird uns freilich durchgehend begleiten, wobei der Glaube an Jesus Christus als den einzigen Retter und an die Untrennbarkeit von Christus und Kirche Grundlage dieses Buches ist. An der Fragestellung, die den drei Positionen zugrunde liegt, übe ich freilich insofern Kritik, als ihr meiner Überzeugung nach eine voreilige Identifizierung der Problematik der Religionen mit der Heilsfrage und eine zu undifferenzierte Betrachtung der Religionen als solcher zugrunde liegt, wie schon eingangs angedeutet. Woher weiß man, daß das Thema Heil allein an den Religionen festzumachen ist? Muß es nicht viel differenzierter vom Ganzen der menschlichen Existenz her angegangen werden, und muß nicht immer auch der letzte Respekt vor dem Geheimnis von Gottes Handeln führend bleiben? Müssen wir unbedingt eine Theorie erfinden, wie Gott retten kann, ohne der Einzigkeit Christi Abbruch zu tun? Ist es nicht vielleicht wichtiger, diese Einzigkeit von innen her zu verstehen und damit zugleich auch die Weite ihrer Ausstrahlung zu erahnen, ohne daß wir sie im einzelnen definieren können? Dazu kommt die undifferenzierte Behandlung der Religionen, die ja keineswegs den Menschen in die gleiche Richtung führen, die aber vor allem auch in sich selbst nicht in einer Gestalt existieren. Heute haben wir zum Beispiel sehr deutlich verschiedene Weisen vor Augen, wie Islam gelebt und verstanden werden kann - zerstörerische Formen und solche, in denen wir eine gewisse Nähe zum Geheimnis Christi zu erkennen glauben. Kann oder muß ein Mensch sich einfach mit der von ihm vorgefundenen, in seinem Umfeld praktizierten Gestalt der ihm zugefallenen Religion abfinden, oder muß er nicht auf jeden Fall ein Suchender sein, der nach den Reinigungen des Gewissens strebt und so auf die reineren Formen seiner Religion - mindestens das - zugeht?

45a Wenn wir nicht ein solches inneres Unterwegssein voraussetzen dürfen und müssen, fällt auch die anthropologische Grundlage für die Mission dahin. Die Apostel, überhaupt die frühe Christengemeinde konnte in Jesus den Retter nur finden, weil sie nach der »Hoffnung Israels« Ausschau hielten - weil sie nicht einfach die ererbten religiösen Formen ihrer Umgebung für in sich genügend ansahen, sondern wartende, suchende Menschen des offenen Herzens waren. Die Heidenkirche konnte nur entstehen, weil es die »Gottesfürchtigen« gab, die Menschen, die ihre traditionellen Religionen überschritten und nach Größerem Ausschau hielten. Diese Dynamisierung der »Religion« gilt ja in gewissem Sinn auch - das ist das Richtige an Barth und Bonhoeffer - im Christentum selbst. Nicht einfach ein Gefüge von Einrichtungen und Ideen ist weiterzugeben, sondern im Glauben doch immer nach seiner innersten Tiefe, nach der wahren Berührung mit Christus zu suchen. So bildeten sich - um es nochmals zu sagen - im Judentum die »Armen Israels«, so müssen sie sich auch in der Kirche immer wieder bilden, und so können und sollen sie sich in den anderen Religionen bilden: Die Dynamik des Gewissens und seiner stillen Anwesenheit Gottes darin ist es, die die Religionen aufeinander zuführt und die Menschen auf den Weg zu Gott bringt, nicht die Kanonisierung des jeweils Bestehenden, die den Menschen der tieferen Suche enthebt. (Fs)

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