Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Mystik, All-Einheits - Problem des Bösen; Sudbrack, Guardini Kurzinhalt: In einer Philosophie der All-Einheit wird notwendig die Differenz von gut und böse relativiert ... In der Identitätsmystik dagegen gibt es keine letzte Trennung von gut und böse ... Textausschnitt: 40a Schließlich macht Sudbrack im Fortgang seiner Überlegungen auf ein nicht minder grundlegendes Unterscheidungskriterium aufmerksam, von dem her die Problematik der All-Einheits-Position grell sichtbar wird: »Das Problem des Bösen als Wenden gegen Gottes absolute Güte macht den Unterschied der Seinsentwürfe am deutlichsten.«1 In einer Philosophie der All-Einheit wird notwendig die Differenz von gut und böse relativiert. Wichtige Klärungen zu dieser Frage kann man im Denken von Guardini finden. Guardini hat in seiner Philosophie des Gegensatzes den fundamentalen Unterschied zwischen »Gegensatz« und »Widerspruch« herausgearbeitet, auf den es hier letztlich ankommt. Gegensätze sind komplementär, sie machen den Reichtum der Wirklichkeit aus. In seinem wichtigsten philosophischen Werk hat er den »Gegensatz« zum Prinzip seiner Wirklichkeitssicht gemacht, in der vielfältigen Spannung des Lebendigen den Reichtum des Seins geschaut. Gegensätze verweisen aufeinander, brauchen einander und ergeben so erst die Symphonie des Ganzen. Aber der Widerspruch bricht aus dieser Symphonie aus und zerstört sie. Das Böse ist nicht noch einmal - wie Hegel meinte und wie Goethe im Faust uns zeigen will - eine Seite des Ganzen, derer wir bedürfen, sondern ist die Zerstörung des Seins.2 Es kann sich gerade nicht, wie Fausts Mephistopheles, mit den Worten vorstellen: Ich bin »ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«. Dann bedürfte das Gute des Bösen, und das Böse wäre gar nicht wirklich böse, sondern eben ein notwendiger Teil der Dialektik der Welt. Mit dieser Philosophie sind die Hekatomben von Opfern des Kommunismus gerechtfertigt worden, der auf der Dialektik Hegels aufbaute, die Marx in politische Praxis gewendet hatte. Nein, das Böse gehört nicht zur »Dialektik« des Seins, sondern greift es in seiner Wurzel an. Der Gott, der als dreifaltige Einheit in der Verschiedenheit gerade die höchste Einheit darstellt, ist reines Licht und reine Güte (vgl. Jak 1,17). In der Identitätsmystik dagegen gibt es keine letzte Trennung von gut und böse. »Gut und bös stehen nach dem Buddhismus in ursprünglicher wechselseitiger Abhängigkeit. Es gibt keine Priorität des einen vor dem anderen. Erleuchtung ist eine Realisation meines Seins noch vor der Dualität von Gut und Böse«, sagt Sudbrack dazu.3 Die Alternative zwischen personalem Gott und Identitätsmystik ist beileibe nicht nur theoretischer Natur - sie reicht von der innersten Tiefe der Seinsfrage ins ganz Praktische hinein. (Fs) (notabene) |