Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Christentum - Weltreligionen; Mystik - Geschichte Kurzinhalt: Die Tatsache eines Einbruchs des Ewigen in die Zeit, der ihr Bestand verleiht und sie zur Geschichte macht, ist ihnen unbekannt«.1 Diesen Zug der Geschichtslosigkeit teilt die Mystik
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a) Als den eigentlichen Unterschied zwischen mystischem und monotheistischem Weg haben wir im vorigen kennengelernt, daß im ersten Fall »Gott« völlig passiv bleibt und das Entscheidende im Erleben des Menschen liegt, der seine Identität mit dem Sein alles Seienden erfährt, während im zweiten Fall die Aktivität Gottes geglaubt wird, der den Menschen ruft. Aus diesem Tatbestand folgt dann ein weiter im Vordergrund liegender Unterschied, der religionsphänomenologisch besonders deutlich ins Auge fällt und seinerseits eine Reihe weiterer Konsequenzen aus sich entläßt. Daraus ergibt sich nämlich der geschichtliche Charakter der auf der prophetischen Revolution aufbauenden Gläubigkeit und der ungeschichtliche Charakter des mystischen Weges. Das Erlebnis, an dem in der Mystik alles hängt, drückt sich nur in Symbolen aus, sein Kern ist für alle Zeiten identisch. Nicht der Zeitpunkt des Erlebens ist wichtig, sondern allein sein Inhalt, der eine Überschreitung und Relativierung alles Zeitlichen bedeutet. Der göttliche Anruf hingegen, von dem der Prophet sich getroffen weiß, ist datierbar, er hat ein Hier und Jetzt, mit ihm beginnt eine Geschichte: eine Beziehung ist gesetzt, und Beziehungen zwischen Personen haben geschichtlichen Charakter, sie sind das, was wir Geschichte nennen. Diesen Tatbestand hat besonders Jean Danielou mit großem Nachdruck herausgearbeitet, wenn er immer wieder betont, daß das Christentum »wesenhaft Glaube an ein Ereignis ist«, während die großen nichtchristlichen Religionen das Dasein einer ewigen Welt behaupten, »die zur Welt der Zeit in Gegensatz steht. Die Tatsache eines Einbruchs des Ewigen in die Zeit, der ihr Bestand verleiht und sie zur Geschichte macht, ist ihnen unbekannt«.1 Diesen Zug der Geschichtslosigkeit teilt die Mystik übrigens mit dem Mythos und den primitiven Religionen, für die nach Mircea Eliade »ihre Auflehnung gegen die konkrete Zeit, ihr Heimweh nach einer periodischen Rückkehr zur mythischen Urzeit« charakteristisch ist.2 Umgekehrt wäre dies der Ort, um das Besondere des Christentums innerhalb des monotheistischen Weges herauszustellen, sofern sich wohl zeigen ließe, daß nur hier der geschichtliche Ansatz zu seiner vollen Strenge geführt worden ist, daß also der monotheistische Weg erst hier in seiner vollen Eigentlichkeit zur Auswirkung kam.3 (Fs)
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