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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Notion der Objektivität; normative Objektivität; dynamische Ausrichtung - Zielobjekt; Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten

Kurzinhalt: Der Grund der normativen Objektivität liegt in der Entfaltung des uneingeschränkten, unvoreingenommenen und uneigennützigen Erkenntnisstrebens.

Textausschnitt: 3. Die normative Objektivität

439c Der zweite Teilaspekt der Objektivität ist der normative. Es ist die Objektivität als Gegensatz zur Subjektivität des Wunschdenkens, der voreiligen oder übertrieben vorsichtigen Urteile, des Sich-Einmischens von Freude oder Traurigkeit, Hoffnung oder Furcht, Liebe oder Abscheu, in den richtigen Verlauf des Erkenntnisprozesses. (Fs)

439d Der Grund der normativen Objektivität liegt in der Entfaltung des uneingeschränkten, unvoreingenommenen und uneigennützigen Erkenntnisstrebens. Weil dieses Streben uneingeschränkt ist, stellt es sich dem Obskurantismus entgegen, der die Wahrheit verbirgt oder den Zugang zu ihr völlig oder teilweise versperrt. Weil es unvoreingenommen ist, stellt es sich den Hemmungen des Erkenntnisprozesses entgegen, die ihre Quelle in anderen menschlichen Wünschen und Tendenzen haben. Weil es uneigennützig ist, stellt es sich der gut gemeinten aber verhängnisvollen Verstärkung des Erkenntnisprozesses von Seiten anderer Wünsche entgegen, die in der Tat die Ausrichtung des Erkenntnisstrebens in die engen Grenzen ihrer beschränkten Tragweite hineinzwängen. (Fs) (notabene)

440a Die normative Objektivität besteht in dem Erfordernis, das dem reinen Erkenntnisstreben beim Trachten nach seinem uneingeschränkten Zielobjekt innewohnt. Eine dynamische Ausrichtung definiert das Zielobjekt dieses Strebens. Sie definiert ebenfalls die Mittel, um sein Zielobjekt zu erreichen. Nicht nur zielt das reine Streben nach dem Universum des Seins, sondern es tut dies auch, indem es zu verstehen und das Verstandene als Unbedingtes zu erfassen sucht. Objektiv zu sein in normativem Sinne des Terminus bedeutet daher, dem reinen Streben - seinen Fragen nach Einsicht und seinen Fragen nach Reflexion - die Zügel schießen zu lassen. Weiter bedeutet es zu unterscheiden zwischen Fragen nach Einsicht, die unmittelbare Lösungen gestatten, und anderen Fragen desselben Typs, die zur Zeit noch nicht gelöst werden können. Ähnlich bedeutet es, zwischen gesunden Fragen zu unterscheiden und andererseits Fragen, die sinnlos oder inkohärent oder illegitim sind. Denn das reine Streben strebt nicht nur; es strebt intelligent und vernünftig; es will verstehen, weil es intelligent ist, und es will das Unbedingte erfassen, weil es vernünftig sein will. (Fs) (notabene)

440b Auf den normativen Erfordernissen des reinen Strebens beruht die Gültigkeit aller Logik und Methode. Eine Logik oder Methode ist nicht ein schlechthin Letztes, das nur durch den Lärm einer unrealistischen Lobpreisung für mittelalterliche Philosophie oder für moderne Wissenschaft eingesetzt werden kann, zusammen mit [381] einem unsicheren Ressentiment gegen alles andere. Logik und Methode sind intelligent und rational; ihre Gründe sind nicht Glaube oder Propaganda oder die pragmatische Nützlichkeit von Atombomben und Nylonstrümpfen; ihre Gründe sind die inneren Erfordernisse des reinen Erkenntnisstrebens. Sie müssen akzeptiert werden, insofern es ihnen gelingt, diese dynamischen Erfordernisse zu formulieren; und sie sind zu revidieren, insofern sie versagen. (Fs)

440c Diese Abhängigkeit wurde schon auf verschiedene Weisen festgestellt. So resultieren die logischen Prinzipien von Identität und Widerspruch aus dem Unbedingten und dem Zwang, den es auf unsere Vernunft ausübt. Das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten besitzt eine letzte, aber nicht unmittelbare Gültigkeit; es besitzt eine letzte Gültigkeit; denn wenn ein Urteil vorkommt, muß es entweder eine Bejahung oder eine Verneinung sein; es besitzt keine unmittelbare Gültigkeit, weil bezüglich jeder Aussage das rationale Bewußtsein vor den drei Alternativen der Bejahung, der Verneinung und der Suche nach einem besseren Verständnis und damit nach einer adäquateren Formulierung des Problems steht. Ferner, die Vorgehensweisen der empirischen Methode in ihren klassischen und statistischen Phasen wurden erklärt durch die Bewegung des reinen Strebens nach Verstehen, und zwar nach einem Verstehen, das die Dinge betrachtet, nicht nur insofern sie auf uns durch unsere Sinne bezogen sind, sondern auch insofern sie funktionell aufeinander bezogen sind; nach einem Verstehen, das Daten voraussetzt, die in der klassischen Phase eine Systematisierung zulassen, während sie in anderen Hinsichten nicht-systematisch sind und so eine statistische Phase notwendig machen. Schließlich können Vorschriften für Urteile aus der allgemeinen Anforderung des Unbedingten abgeleitet werden und aus den besonderen Umständen der verschiedenen Arten von Urteilen, die ursprünglich oder abgeleitet, theoretisch oder konkret, beschreibend oder erklärend, gewiß oder wahrscheinlich sein können. (Fs)

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