Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Notion der Objektivität; absolute Objektivität; Objektivität von Raum (Zeno) und Zeit
Kurzinhalt: Die Interpretationen des Seins oder der absoluten Objektivität in den Termini von Raum und Zeit sind bloß ungebührliche Einmischungen der Phantasie. Die absolute Objektivität ist einfach eine Eigenschaft des Unbedingten; ... Textausschnitt: 2. Die absolute Objektivität
437a Außer der Hauptnotion der Objektivität gibt es auch die partiellen Aspekte der erfahrungsmäßigen, normativen und absoluten Objektivität. Es wird nützlich sein, bei der letzten der drei zu beginnen. (Fs)
Der Grund für die absolute Objektivität ist das virtuell Unbedingte, das durch das reflektierende Verstehen erfaßt und im Urteil gesetzt wird. Das formal Unbedingte, das überhaupt keine Bedingungen hat, steht außerhalb des zusammenhängenden [378] Feldes von bedingenden und bedingten Termini; es ist in sich selbst absolut. Das virtuell Unbedingte steht innerhalb dieses Feldes; es hat Bedingungen; es ist selbst eine der Bedingungen für andere Fälle des Bedingten; seine Bedingungen sind aber erfüllt; es ist ein de facto Absolutes. (Fs)
437b Weil der Inhalt des Urteils ein Absolutes ist, entzieht er sich der Relativität zum Subjekt, das ihn ausspricht, zum Ort, an dem er ausgesprochen wird, zur Zeit, da er ausgesprochen wird. Caesars Überschreiten des Rubikon war ein kontingentes Ereignis, das an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit stattfand. Aber eine wahre Bejahung dieses Ereignisses ist ewig, unveränderlich und definitiv gültig. Denn wenn es wahr ist, daß er den Rubikon überschritten hat, dann kann niemand, zu keiner Zeit und an keinem Orte, bestreiten, daß er es getan hat. (Fs)
437c Kraft dieser absoluten Objektivität gewinnt also unsere Erkenntnis das, was ihre "Öffentlichkeit" genannt wurde. Aus demselben Grunde, aus dem das Unbedingte der Relativität zu seiner Quelle entzogen ist, ist es auch zugänglich nicht nur für das erkennende Subjekt, das es ausspricht, sondern für jedes andere erkennende Subjekt. (Fs)
437d Weiter, es ist die absolute Objektivität des Unbedingten, die in den logischen Prinzipien von Identität und Widerspruch ihre Formulierung findet. Das Prinzip der Identität besagt die unveränderliche und definitive Gültigkeit des Wahren. Das Prinzip vom Widerspruch besagt die Exklusivität dieser Gültigkeit. Es ist, und was im Gegensatz zu ihm steht, ist nicht. (Fs) (notabene)
437e Weiter, die absolute Objektivität gehört zu den Einzelurteilen als einzelnen. Wie wir erwiesen haben, entsteht die Hauptnotion der Objektivität nur durch eine geeignete Konstellation von Urteilen. Aber jedes Urteil in einer solchen Konstellation ist ein Absolutes, und, außerdem, es ist ein Absolutes kraft seiner eigenen Bejahung des Unbedingten. Die Gültigkeit der Hauptnotion ist eine abgeleitete Gültigkeit, die auf dem Satz von Absoluten beruht, die sie miteinschließt. Aber der absolute Aspekt der Objektivität hat seinen Grund im Einzelurteil, zu dem die Objektivität gehört. Dieser Aspekt ist durchaus kompatibel mit der Behauptung, daß es nur ein Seiendes gibt, daß es kein Objekt gibt außer dem bejahenden Subjekt. Infolgedessen impliziert der absolute Aspekt der Objektivität keine Subjekt-Objekt-Beziehung; er macht den Eintritt unserer Erkenntnis in den Bereich des Seins aus; aber er genügt für sich selbst nicht, um Seiende zu setzen, zu unterscheiden und in Verbindung zu setzen. Diese Insuffizienz entsteht allerdings nicht aus einem Mangel der absoluten Objektivität und auch nicht, weil die gesetzten Seienden, ihre Unterschiede und Beziehungen nicht alle unbedingt sind, sondern weil mehrere Urteile benötigt werden, um zu setzen, zu unterscheiden und Beziehungen herzustellen. (Fs)
438a [379] Es ist wichtig, die absolute Objektivität eines beliebigen korrekten Urteils nicht mit der Invarianz zu verwechseln, die dem Ausdruck allgemeiner Urteile eigen ist. Sowohl die allgemeinen Urteile als auch die partikulären Urteile sind absolut objektiv, wenn sie korrekt sind. Die ersteren werden aber invariant ausgedrückt, weil der Ausdruck unabhängig von den Variationen im raumzeitlichen Referenzrahmen ist, während die letzteren relativ ausgedrückt werden, weil ihr Ausdruck sich nicht solcher Unabhängigkeit erfreut. Die Variation des Ausdruckes aber setzt die absolute Objektivität dessen, was ausgedrückt wird, voraus und offenbart sie. Weil "Ich bin jetzt hier" absolute Objektivität hat, gibt es eine identische Wahrheit, die wiederholt werden kann, nur indem man andere Wörter verwendet, etwa: "Er war damals dort."
438b Weiter, die absolute Objektivität impliziert gar nicht einen absoluten Raum oder eine absolute Zeit. Wenn es wahr ist, daß der Raum ist, dann ist das Absolute die Wahrheit und nicht der Raum. Ob der Raum absolut oder relativ ist, ist eine andere Frage. Wenn es wahr ist, daß der Raum aus einer unendlichen Anzahl unbeweglicher und leerer Orte besteht, dann ist Raum absolut. Wenn es wahr ist, daß Raum nicht ein solcher Inbegriff von Orten ist, dann ist Raum relativ. Was ist korrekt? Zumindest kann das Problem nicht gelöst werden, indem man sich auf die Tatsache beruft, daß ein wahres Urteil ein Unbedingtes setzt. (Fs)
438c Ferner, wie Zeno bewiesen hat, impliziert die Behauptung, daß etwas oder etwas anderes ist, nicht, daß es sich im Raum befindet. Würde sie dies implizieren, so könnte man fragen, ob der Raum (in dem dieses etwas ist) ist. Wenn der Raum nicht ist, dann ist er nichts; und zu behaupten, daß die Dinge im Nichts sind, ist sinnlos. Wenn der Raum aber ist, dann wiederholt sich die Frage - weil "sein" ja "im Raum sein" bedeutet. Wenn "X ist" "X ist im Raum" bedeutet, dann scheint zu folgen, daß "der Raum ist" "der Raum ist im Raum" bedeutet; der zweite Raum kann nicht mit dem ersten identisch sein, sonst würde er ihn nicht enthalten; und wenn er verschieden ist, dann kann er sein, nur wenn er in einem weiteren Raum ist, und so weiter ins Unendliche. (Fs) (notabene)
439a Dasselbe Argument gilt für das Sein in der Zeit. Wenn "sein" "sein zu irgendeiner Zeit" bedeutet, dann gibt es entweder die Zeit, oder es gibt die Zeit nicht. Wenn es die Zeit nicht gibt, dann ist "sein zu irgendeiner Zeit" einfach "sein". Wenn es die Zeit gibt, dann muß sie zu irgendeiner Zeit sein, und diese zu irgendeiner Zeit, und so weiter ins Unendliche. (Fs) (notabene)
439b Die Interpretationen des Seins oder der absoluten Objektivität in den Termini von Raum und Zeit sind bloß ungebührliche Einmischungen der Phantasie. Die absolute Objektivität ist einfach eine Eigenschaft des Unbedingten; und das Unbedingte als solches sagt nichts über Raum und Zeit. Wenn die eigene Phantasie den Gebrauch der Präposition "in" aufzwingt, dann könnte man sagen, daß jedes Urteil sich im Kontext anderer Urteile befinde und jedes Unbedingte in einem Universum des Seins. Dann "der Raum ist", insofern er im Universum des Seins ist, und "die [380] Zeit ist", insofern sie im Universum des Seins ist, wobei "im Universum des Seins zu sein" "unbedingt zusammen mit anderen Fällen des Unbedingten zu sein" bedeutet. (Fs) (notabene)
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