Autor: Amerio, Romano Buch: Iota Unum Titel: Iota Unum Stichwort: Die nachkonziliare Kirche; Uneinigkeit der Hierarchie: Enzyklika Humanae vitae; CUA Washington (200 Theologen gegen den Kardinal); Würzburger Synode
Kurzinhalt: Fast alle Bischofskonferenzen veröffentlichten Dokumente zur Enzyklika, die teils Zustimmung, teils abweichende Meinungen enthielten.
Textausschnitt: 62. Die in puncto »Humanae vitae« zerstrittene Kirche
139a Die berühmte Enzyklika Humanae vitae vom 25. Juli 1968 führte dazu, daß der innere Zwist der Kirche sich allenthalben in seiner vollen Tragweite und bisweilen auch in überheblichster Weise kundtat. Fast alle Bischofskonferenzen veröffentlichten Dokumente zur Enzyklika, die teils Zustimmung, teils abweichende Meinungen enthielten. Bischofsdokumente anläßlich päpstlicher Lehren oder Entscheidungen stellen in der Kirche nichts Neues dar. Dazu mag der Hinweis auf die vielen Hirtenworte von Bischöfen an ihre Diözesanen zur Zeit Pius' IX. genügen. Neu ist allerdings, daß in diesen Hirtenbriefen heute kein zustimmendes, sondern ein kritisches Urteil erfolgt, als wäre der Grundsatz »Prima Sedes a nemine iudicatur« (»Der oberste Stuhl kann von niemandem gerichtet werden«), hinfällig geworden. Es ist allgemein bekannt, wie sehr sich damals die Opposition gegen das Unfehlbarkeitsdogma regte, wobei es bald um dessen Grundlage, bald um die Zweckmäßigkeit des Zeitpunktes der Verkündigung ging, sowohl bei der historisch-theologischen Auseinandersetzung als auch auf der Konzilsdebatte. Die deutschen Bischöfe z.B. waren uneins über die Schriften des Ignaz von Döllinger, welche Mgr. von Ketteler, der Bischof von Mainz, verurteilte, andere hingegen gelten ließen. Sobald jedoch das Dogma definiert war, stimmten ihm alle Opponenten binnen weniger Monate zu (mit Ausnahme von J.J. Stroßmayer, der damit bis 1881 zögerte). Päpstliche Definitionen pflegten nämlich nicht nur die begriffliche Abgrenzung (eben die »fines«) der einmal disputierte Wahrheit festzusetzen, sondern auch dem Disput ein Ende zu setzen. Es wäre wirklich absurd, die Lehre der Kirche einem nie endende Referendum-Verfahren zu unterziehen. (Fs)
140a Anders verhielt es sich mit der Enzyklika Pauls VI. Nachdem Vatikanum II speziell das Prinzip der Kollegialität und generell das der Mitverantwortung aller in allem festgelegt hatte, sah man in der Enzyklika einen Text, der - entsprechend der von mir in § 50 behandelten Hermeneutik - für verschiedene Lesearten zugänglich wäre. Nicht allein die Bischöfe, auch die Theologen, Pastoralräte, Landessynoden, die breite Masse, ob gläubig oder ungläubig, alle machten sich daran, die päpstliche Lehre der Debatte und der Kritik zu unterwerfen. (Fs)
140b Ich möchte die zahllosen Veröffentlichungen zur Enzyklika außer Betracht lassen und mich nur der Meinungsverschiedenheit unter den Bischöfen widmen. Fest steht, daß Paul VI. mit seiner Entscheidung, so wie sie gefallen ist, den bedeutsamsten Akt seines Pontifikats vollzogen hat, wenn auch gegen die Mehrheit seiner Berater, gegen den Theologenkonsens, den Zeitgeist, die von maßgeblichen Statements und seinem eigenen Verhalten ausgelöste Erwartung, ja gegen die von ihm selbst als doctor privatus vertretene Meinung (wie es heißt)1. Der bedeutsamste Akt, weil zum einen die alte, immer gültige, auf natürlichen und übernatürlichen Wahrheiten beruhende Lehre in ihrer Wesensidentität erneut herausgestellt wurde. Zum anderen war die Entscheidung des Papstes, die auf den innerkirchlichen Zwist stieß und diesen klar erkennbar machte, ein deutliches Wahrnehmen seiner höchsten Lehrautorität aus sich und nicht auf Grund der Zustimmung der Kirche, wie im I. Vatikanum formuliert. (Fs)
141a Die Auseinandersetzung war scharf, allgemein und öffentlich. Sie wurde über die bischöflichen Dokumente hinaus auch in einer Unmenge von Publikationen offenbar, die sich mit dem Thema befaßten, wie die Enzyklika zu lesen und anzuwenden sei, tatsächlich aber den jeweils bevorzugten Sinn in diese hineinlegten. (Fs)
141b Die Enzyklika wurde in den Zeitschriften mit großem Leserkreis in den Rubriken »Religion« angegriffen und verzerrt dargestellt. Hier ist besonders ihre Entstellung durch den angesehenen Jesuitenpater Giacomo Perico in Vorträgen und Schriften zu erwähnen. In der Wochenzeitschrift »Amica« - Auflage: 700.000 Exemplare - vom 12. August 1969 äußerte er sich so: »Es ist unrichtig, von Neuorientierungen im absoluten Sinne zu sprechen. Vielmehr kann man sagen, daß gewisse Kirchenmänner früher die Ehemoral zu restriktiv ausgelegt haben. Dies war ein Irrtum«. Hier liegt eine Rollenkonfusion vor, denn nicht ein paar Kirchenmänner, sondern die Kirche, alle Päpste einschließlich Pauls VI. und die gesamte Tradition urteilten im engen Sinne. Einige Kirchenmänner, die die entgegengesetzte Ansicht vertraten, wurden verurteilt. Pater Perico blieb bei der entstellenden Auslegung der Enzyklika auf Fortbildungskursen für den Klerus sowie im »Giornale del popolo« vom 22. März 1972. Ich habe seine Meinung in zwei Artikeln der gleichen Zeitung (8. und 29. April) erörtert. Dem gefeierten Jesuiten zufolge ist »die Norm für den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel präzise. Die Eheleute sollten niemals kontrazeptive Techniken heranziehen«. Falsch. Die Enzyklika lehrt, sie sollen niemals. Wenn man aus dem Imperativ des Papstes einen Konjunktiv macht, wird die Enzyklika verfälscht. (Fs)
141c Die Einwände gegen die Enzyklika betreffen teils die im Dokument des Papstes enthaltene Verbindlichkeit, teils die Lehraussage. Kardinal Döpfner, Erzbischof von München, Befürworter empfängnisverhütender Mittel, erklärte: »Jetzt setze ich mich mit den anderen Bischöfen in Verbindung, um zu sehen, wie es möglich ist, den Gläubigen Hilfe anzubieten« (»Corriere della sera«, 30. Juli 1968). Der Münchner Oberhirte schien auf dem Standpunkt zu stehen, die Gläubigen benötigten Hilfe gegen die Enzyklika und diese sei ein gegen das Menschengeschlecht gerichteter feindlicher Akt. In Amerika, wo die Bischöfe, dem päpstlichen Erlaß perfide zuvorkommend, anscheinend ein Programm für kontrazeptive Hilfeleistung verwirklicht hatten, war die Reaktion schroff. Die katholische Universität von Washington, die gegen den eigenen Bischof, Kardinal O'Boyle, in einer von zweihundert Theologen unterstützten Erklärung vorging, wies nicht nur die Lehre zurück, sondern focht zudem noch die päpstliche Autorität an, weil die Meinung der Mehrheit verworfen und das Bischofskollegium nicht konsultiert worden war (ICI, Nr. 317-318,1968, Suppl., S. XIX). (Fs)
142a Der deutsche Episkopat, der im allgemeinen für die Antikonzeptiva war, akzeptierte die Lehre Pauls VI., doch gestand er den Gläubigen zu, davon abzuweichen, und verwies letztlich auf die private Erleuchtung des Gewissens: »Wer glaubt, in seiner privaten Theorie und Praxis von einer nicht unfehlbaren Lehre des kirchlichen Amtes abweichen zu dürfen - ein solcher Fall ist tatsächlich denkbar -, muß sich nüchtern und selbstkritisch in seinem Gewissen fragen, ob er dies vor Gott verantworten kann«. Den deutschen Bischöfen nach beruht der Widerspruch gegen die Enzyklika »nicht auf einer grundsätzlichen Ablehnung der päpstlichen Autorität«1. Wir möchten dazu bemerken, daß es vielleicht keine Ablehnung des Grundsatzes der Autorität bedeutet, zweifellos aber der konkreten Akte jener Autorität. Die Abweichung in der Kirche Deutschlands wurde im September 1968 auf dem Katholikentag in Essen in aufsehenerregender Weise demonstriert. Dort diskutierte und verabschiedete man mit erdrückender Mehrheit (5000 gegen 90) in Gegenwart des päpstlichen Legaten Gustavo Kardinal Testa und des gesamten Episkopats der Nation die Resolution, daß die Enzyklika zu revidieren sei, wobei auch Stimmen für den Rücktritt des Papstes laut wurden. Auf diesen schwerwiegenden Protest reagierte der OR vom 9. September mit der Veröffentlichung einer päpstlichen Botschaft, in der die deutschen Katholiken zu Treue und Gehorsam aufgefordert wurden (RI, 1968, S. g78). Dennoch lehnte man die Enzyklika weiterhin ab, so auf der Schweizer Synode 1972 und auf der Würzburger Synode. »Das Vaterland«, bedeutendes Tageblatt des Schweizer Katholizismus, erhält den Protest bis heute unvermindert aufrecht. Im übrigen geht der Riß zwischen den deutschen Katholiken und ihre Trennung vom römischen Stuhl weiter und wird immer offensichtlicher. Der Katholikentag 1982 erlebte eine zur gleichen Zeit neben ihm verlaufende Gegenveranstaltung, »Katholikentag von unten«, ein Sammelpunkt der Dissidenten. Diese Katholiken forderten die eucharistische Promiskuität*, das Frau-enpriestertum, die Abschaffung des Zölibats und feiern eine Messe nach ihrer Fasson (ICI, Nr. 579, S. 15ff., Oktober 1982. Nach dieser Zeitschrift gibt es in Deutschland Katholiken von zweierlei Typus, die jedoch glauben, einen einzigen zu verkörpern). (Fs)
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