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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Nachkonzilszeit; falsche Rückbesinnung auf die Urkirche

Kurzinhalt: Es verhält sich im Gegenteil so, daß die Kirche zu allen Zeiten eine gemischte Masse war, ein Feld mit Weizen und Unkraut, ein aus Guten und Bösen vermengtes Ganzes.

Textausschnitt: 57. Die falsche Rückbesinnung auf die Urkirche

127a Die Schwarzfärberei der Kirche durch die vom Geist der Neuerung getragene Geschichtsschreibung1 hat paradoxerweise zu einer unüberlegten Schwärmerei für die Urkirche geführt, auf deren Geist und Seinsweisen man zurückgreifen zu müssen meint. Die Urkirche wird als eine Gemeinschaft Vollkommener hingestellt, die von Nächstenliebe beseelt gewesen sei und genau nach den Geboten des Evangeliums gehandelt habe. (Fs)

127b Es verhält sich im Gegenteil so, daß die Kirche zu allen Zeiten eine gemischte Masse war, ein Feld mit Weizen und Unkraut, ein aus Guten und Bösen vermengtes Ganzes. Zeugnisse dafür finden sich bereits beim hl. Paulus. Es genügt, an die im Liebesmahl eingerissenen Mißbräuche zu erinnern, an die Entzweiungen unter den Gläubigen, die moralischen Schwächen, die Apostasien während der Verfolgungen. Zur Zeit des hl. Cyprian (3. Jh.) fielen die Christen auf die bloße Kunde von der Verfolgung hin zuhauf vom Glauben ab, noch bevor die eigentliche Gefahr begonnen hatte. »Bei den ersten Worten des drohenden Feindes verriet der größte Teil der Brüder sogleich seinen Glauben (...) Sie warteten nicht einmal ab, bis sie als Verhaftete vor dem Gericht erscheinen würden, um erst nach dem Verhör abzuschwören (...) sie liefen aus freien Stücken dorthin«2. War es übrigens nicht gerade in den ersten christlichen Jahrhunderten, daß Häresien und Schismen so mächtig um sich griffen? Der hl. Augustinus zählt in De haeresibus ad Quodvultdeum (P.L., 42, 17-50) davon nicht weniger als 87 Formen auf, angefangen von solchen mit größter Breiten- und Tiefenwirkung wie Arianismus, Pelagianismus und Manichäismus bis hin zu den lokal beschränkten und verschrobenen wie Kainiten und Ophiten. (Fs)

128a Die für das Christentum der vorkonstantinischen Zeit aus der Rückschau entstandene Begeisterung, mit der man Ausschau nach Erneuerung der Kirche hält, ist also, wie die Geschichte zeigt, haltlos, denn das Christentum war zu allen Zeiten dieses im Gleichnis vom Unkraut behandelte Gemenge. Abt Wolbero von Sankt Pantaleon zu Köln schrieb sogar, die Kirche enthalte die Stadt Gottes und die Stadt des Teufels3, was ich für unrichtig halte, weil nach der Lehre des hl. Augustinus die Welt, nicht die Kirche, die beiden Städte in sich birgt. (Fs)

128b Damit erklären wir keineswegs, es sei unmöglich, die einzelnen Epochen unterschiedlich einzuschätzen: Neben »Richtet nicht« (Lk. 6,37) steht geschrieben »Urteilt nicht nach dem Äußeren, sondern fällt ein gerechtes Urteil«4. Die Taten Einzelner wie auch ganzer Generationen sind Gegenstand dieser so schwierigen Urteilsfindung. Ihr Richtmaß ist das Beständige der Religion, dem sich die Menschen in ihrer Unbeständigkeit unterschiedlich anpassen. Im übrigen verhält es sich mit dem geschichtlichen Urteil über die Religion nicht anders als mit dem ästhetischen Urteil. Die Meisterwerke der Kunst sind nach dem Typus5 zu bewerten, und wenn sie nach diesem, den sie anstreben, bewertet sind (dafür steht die Mühe des Künstlers ein, der weiß, wann er dem Ideal nahekommt und wann nicht), können sie auch im Vergleich miteinander bewertet werden. Ebenso sind die verschiedenen Epochen des Christentums jeweils nach dem Prinzip der Religion zu bewerten, und ist dies so geschehen, lassen sie sich auch untereinander bewerten. Eine Krisenperiode der Kirche liegt also vor, wenn sie derart vom Prinzip abrückt, daß sie in Gefahr gerät. Aber wohlgemerkt! Wir haben nicht vor, als Kriterium für die Beurteilung eines historischen Zeitpunkts einen anderen, willkürlich bevorzugten Zeitpunkt heranzuziehen; so werden wir z.B. über den gegenwärtigen Zustand der Kirche nicht nach der mittelalterlichen Kirche als Vereleichsmaßstab urteilen, sondern alle Epochen nach dem Grundprinzip aller einschätzen, das überzeitlich und - in Einklang mit der göttlichen Unwandelbarkeit - unwandelbar ist. (Fs)

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