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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Krisen der Kirche; Zeitgeist, Alessanaro Manzoni

Kurzinhalt: Ist der Zeitgeist womöglich eine zerlegbare Zusammensetzung, oder ist er statt dessen eine Quiddität (von deren Definition ich jetzt absehe), die die Teile des zusammengesetzten Gebildes zusammenhält und einem jeden von ihnen ein Sein verleiht, ...

Textausschnitt: 25. Der Zeitgeist. Alessanaro Manzoni

37c Im zweiten Teil der Morale cattolica1 Alessandro Manzonis trägt ein Kapitel die Überschrift Spirito del secolo, Zeitgeist. In diesem Kapitel, das mehr Mühe gekostet hat als an die anderen des Werkes, ja seines Gesamtwerkes überhaupt, steht Manzoni dem gleichen Problem gegenüber, das auch uns beschäftigt: Ist der Zeitgeist mit der katholischen Religion vereinbar oder nicht? Er findet die Lösung in einem analytischen und unterscheidenden Verfahren. Gegen das fehlerhafte systematische Vorgehen eingestellt, das entweder alles aufnimmt oder alles verwirft, prüft Manzoni bis ins einzelne die verschiedenen Teile jener heterogenen Zusammensetzung, in der wahre, nützliche und gerechte sowie falsche, irreligiöse und schädliche Ideen nebeneinander bestehen. Nach Freilegen der guten Teile zeigt er, daß sie der Religion, die sie in sich barg, entstammen und allenfalls Schuld vorlag, wenn sie aus ihr nicht erschlossen wurden, sondern man ihr Erschließen den Feinden der Religion überließ. Ferner darf die Analyse des Zeitgeistes nicht mit dem Zeitgeist selbst (weder mit dem der Vergangenheit noch mit dem der Gegenwart) vorgenommen werden, sondern mit dem Lichte der religiösen Wahrheit, die von Geschlecht zu Geschlecht die werdenden Intelligenzen erleuchtet, selbst aber kein Werdendes ist und alle Zeiten in einer Art Ou-chronie [eg: sic], Zeitlosigkeit, überragt2. Vergleicht man die in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit vorherrschenden Überzeugungen miteinander, so kann man jene discretio spirituum, Unterscheidung der Geister, vornehmen, die nicht charismatisch, sondern philosophisch ist und das zusammengesetzte Gebilde nicht als Ganzes ablehnt oder annimmt, sondern Werte und Unwerte mit einem jenseits der Geschichte angelegten Maßstab unterscheidet. (Fs)


38a Hier jedoch erhebt sich ein Zweifel. Ist der Zeitgeist womöglich eine zerlegbare Zusammensetzung, oder ist er statt dessen eine Quiddität (von deren Definition ich jetzt absehe), die die Teile des zusammengesetzten Gebildes zusammenhält und einem jeden von ihnen ein Sein verleiht, das anders ist als nur Teil-Sein? Ist der Geist nicht etwa jenes quid, das durch Formen der Teile diese aus der Vielheit und Teilung herausführt und sie zu einer unverkennbar gekennzeichneten Einheit macht, zu einem Unteilbaren geradezu, in sich ungetrennt und abgetrennt von allem anderen?

39a Gesichert bleibt jedenfalls der von Manzoni in diesen Seiten beleuchtete Punkt, daß nämlich der Zeitgeist nicht geschichtlich beurteilt werden darf, sondern nur nach ou-chronischer, zeitloser, Maßgabe, sprich von der Religion und nicht von der Geschichte. Dieses Kriterium wird sicher nicht anerkannt von Vertretern einer Wertlehre ohne wahre und vom Noumenon getragene Werte, aber es ist das katholische Kriterium, mit dem wir hier zu erkennen beabsichtigen, wo Krise vorliegt. Dieses Kriterium ist also nicht nur rechtmäßig, sondern das allein rechtmäßige. (Fs)

39b Das Werturteil, das der Katholizismus und die ihm entgegengesetzten Systeme über ein und dieselbe Sache abgeben, z.B. über die Hoch- und Wertschätzung einer Person, kann sich identisch darstellen. Aber diese Übereinstimmung im Urteil ist nur scheinbar, weil diese Wertschätzung sich für den Katholizismus auf etwas anderes gründet als für die entgegengesetzten Systeme. Hier wie dort liebt man einen Menschen, aber hier ist der Mensch liebenswert um seiner selbst willen, während er dort nicht um seiner selbst willen liebenswert ist, sondern das oberste Prinzip seiner Liebenswertigkeit ein in sich LIEBENSWERTES ist, das den Menschen liebenswert macht. (Fs)

39c Aus diesem Beispiel kann erhellen, was der Geist einer Epoche, der Geist einer Gesellschaft, der Geist eines Systems ist. Es ist das Letztendliche, das sich auf kein Darüber-hinaus zurückführen läßt und das jedes Moment des Systems und jeden Moment des Jahrhunderts erkennbar macht. Es handelt sich um das caput mortuum, d.h. jenen endgültigen Gedanken, in dem sich alles löst, der umgekehrt aber in nichts anderem auflösbar ist. Der Zeitgeist ist also kein Ideenkomplex, sondern das, was den Komplex zusammenfügt, doch selbst nicht zerlegbar ist. Analog dem Zeitgeist im Leben der Gesellschaft ist im Leben des Einzelnen der Baum oder das Herz, wie es in der Bibel heißt (Mt. 7,7 und 15,18), das eine als Quelle der guten oder bösen Gedanken des Menschen, des Heils oder des Verderbens, das andere als Erzeuger der guten oder der schlechten Früchte, je nachdem, ob der Baum beziehungsweise das Herz gut oder schlecht ist. Der Mensch ist nämlich nach der Religion im ganzen gut oder im ganzen böse, und sein Los wird in puncto besiegelt (s. hierzu § 202). (Fs)

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