Autor: Amerio, Romano Buch: Iota Unum Titel: Iota Unum Stichwort: Kirche; Eingeständnis der Krise (Paul VI., Johannes Paul II; Ansprachen)
Kurzinhalt: ... »... die Öffnung zur Welt hat geradezu eine Invasion der Kirche durch weitläufiges Denken gezeitigt«. Diese Invasion nimmt der Kirche die Kraft zur Gegenwehr und bringt sie um ihren Eigencharakter. Textausschnitt: 6a In vielen Augenblicken, wo Paul VI. gegen das »loquimini nobis placentia« (Isai. 30,10)1 eingestellt war, faßte er den Niedergang der Religion in dramatische Wendungen. In der Ansprache vom 7. Dezember 1968 an das Lombardische Seminar in Rom sagte er: »Die Kirche befindet sich in einer unruhigen Stunde der Selbstkritik, oder besser gesagt, der Selbstzerstörung. Es ist wie eine heftige und komplexe Zerrüttung, die niemand nach dem Konzil erwartet hätte. Mit der Kirche ist es beinahe so weit, daß sie sich selbst angreift«. Ich halte mich nicht weiter auf mit der berühmten Rede vom 30. Juni 1972, in der der Papst bestätigte, er habe den Eindruck, »daß von irgendwoher der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen sei«. »Auch in der Kirche«, fuhr er fort, »herrscht dieser zweifelhafte Zustand. Man glaubte, nach dem Konzil werde ein Sonnentag für die Geschichte der Kirche kommen. Gekommen ist dagegen ein Tag voller Wolken, Sturm und Finsternis«. In einem gleichermaßen berühmt gewordenen Passus sah der Papst den Grund für diesen allgemeinen Schaden im Handeln des Teufels, der Wirkkraft des Bösen, der ein Verderben stiftendes, personales Wesen ist. Somit brachte er seine geschichtliche Analyse insgesamt auf einen Nenner mit der rechtgläubigen Ätiologie. Diese erblickt gerade im Fürsten dieser Welt (»Welt« ist hier das Wort für den richtig verstandenen Gegensatz, vgl. § 2) nicht etwa nur eine Metapher für die rein menschliche Sünde und das Kantische radikal Böse, sondern ein personales Wesen, das unleugbar gegen den menschlichen Willen ankämpft und in ihm mitzuwirken sucht. Mit der Rede vom 18. Juli 1975 schritt der Papst dann von der Diagnose und Ätiologie zur Therapie dieses historisch zu nennenden Übelstands der Kirche und bewies, dabei, bestens erkannt zu haben, daß der innere Verfall die Kirche schlimmer heimsucht als der Ansturm von außen. Tief im Herzen bewegt, fordert er: »Schluß mit dem Hader im Innern der Kirche. Schluß damit, den Pluralismus in zersetzender Weise auszulegen. Schluß damit, daß die Katholiken selbst ihren unbedingt notwendigen Zusammenhalt zerstören. Schluß mit dem als Freiheit ausgegebenen Ungehorsam«. (Fs)
7a Der Irrweg wird auch von den Nachfolgern bezeugt. Johannes Paul II. schilderte anläßlich eines Treffens zum Thema Volksmission die Lage der Kirche wie folgt: »Man muß realistisch und mit tiefem Nachempfinden zugeben, daß heute zahlreiche Christen sich verloren, verwirrt, ratlos und sogar enttäuscht fühlen; mit vollen Händen sind Ideen ausgesät worden, die in Widerspruch zur offenbarten und seit jeher gelehrten Wahrheit stehen; es sind ausgesprochene Häresien im dogmatischen und moralischen Bereich verbreitet worden, was zu Zweifeln, Verwirrungen und Auflehnungen geführt hat; man hat die Liturgie manipuliert; eingetaucht in den intellektuellen und sittlichen »Relativismus« und somit in die Permissivität, werden die Christen vom Atheismus verführt, vom Agnostizismus, vom moralisch verschwommenen Aufklärertum, von einem soziologischen Christentum ohne definierte Dogmen und ohne objektive Moral« (OR 7. Februar 1981). (Fs)
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9. Weitere Eingeständnisse der Krise
10a Die Seinsverfassung jedes Wesens entspricht seiner inneren Einheit, sei es ein Individuum im körperhaften Sinne, sei es eine Gesellschaft oder eine juristische Person. Wird der Organismus zerstückelt und zerrissen, geht das Individuum zugrunde und verwandelt sich in eine andere Substanz. Gehen die Überzeugungen und Bestrebungen der gesellschaftlich Zusammengeschlossenen auseinander und treten Spaltungen ein, dann ist es vorbei mit dem Zusammenwirken der einzelnen Glieder auf ein Ziel hin, und die Gemeinschaft geht zugrunde. So schädigt die innere Zerrissenheit auch im Falle der Kirche, die ohne Zweifel eine Gesellschaft ist, deren Einheit und folglich deren Seinsweise. Tatsächlich wird der Schaden an der Einheit in der Ansprache Pauls VI. vom 30. August 1973 weitgehend zugegeben, beklagt er doch »die Spaltung, die Zersetzung, die jetzt in nicht wenigen Bereichen der Kirche eingetreten ist«, und erklärt er doch ohne Umschweife: »... die Wiederherstellung der spirituellen und greifbaren Einheit im Innern der Kirche ist heute eines der ernstesten und dringendsten Probleme der Kirche«. Sodann, in der Ansprache vom 23. November 1973, spricht der Papst auch die Ursache der gewaltigen Verwirrung an und bekennt den eigentlichen Fehler, wenn er eingesteht: »... die Öffnung zur Welt hat geradezu eine Invasion der Kirche durch weitläufiges Denken gezeitigt«. Diese Invasion nimmt der Kirche die Kraft zur Gegenwehr und bringt sie um ihren Eigencharakter. Dramatisch in dieser Ansprache ist der Gebrauch des Personalpronomens in der ersten Person Plural, allerdings ohne eindeutigen Bezug. »Wir«, so sagt er, »sind vielleicht zu schwach und unbedacht gewesen«, usw. Meint er wir oder Wir?
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