Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Sein - Theorien: Plato; das Unbedingte als Form -> Vermischung der Formen im rationalen Diskurs Kurzinhalt: Die Unzulänglichkeit dieser Position liegt darin, daß sie nicht zwischen der Ebene der Intelligenz und der Ebene der Reflexion unterscheidet. Ohne diese Unterscheidung wird das Unbedingte erschlichenerweise den reinen Gedankenobjekten zugesprochen ... Textausschnitt: 423c Platos Formen waren Projektionen in den noetischen Himmel dessen, was die gewöhnliche, sinnliche Erfahrung transzendiert. Die Formen sind dann also die idealen Zielobjekte
(1) der ästhetischen Erfahrung,
(2) der Einsichten des Mathematikers und Physikers,
(3) des Unbedingten des reflektierenden Verstehens,
(4) des moralischen Gewissens und
(5) des intelligent und vernünftig zweckgerichteten Lebens. (Fs)
Das ist eine verworrene Ansammlung, und es scheint, daß der Parmenides-Dialog den Wendepunkt markiert, an dem die Notwendigkeit von Unterscheidungen und einer umfassenderen Theorie offensichtlich wird. (Fs)
423d Im Sophistes wird der Philosoph beschrieben, der sich durch rationalen Diskurs auf die Idee des Seins zubewegt (254 a). Es wird vermerkt, daß die Isolierung jeder Form von allen anderen die Möglichkeit des Diskurses eliminieren würde, die in der Konjunktion unterschiedener Formen oder Kategorien liegt. Es gibt dann also eine Vermischung oder Teilhabe unter den Formen (259 a), und es gibt eine Form des Nicht-Seins, genau so wie es die Form des Großen oder des Schönen gibt (258 c). (Fs)
424a Die Unzulänglichkeit dieser Position liegt darin, daß sie nicht zwischen der Ebene der Intelligenz und der Ebene der Reflexion unterscheidet. Ohne diese Unterscheidung wird das Unbedingte erschlichenerweise den reinen Gedankenobjekten zugesprochen, die dadurch in ewige Formen transformiert werden, und umgekehrt können das "ist" und "ist nicht", durch die das Urteil das Unbedingte setzt, nur Bedeutung haben, wenn sie als Formen aufgefaßt werden. Es resultiert ein Aggregat von Formen, deren jede radikal und ewig von allen andern verschieden ist. Erreicht werden können sie aber nur durch den rationalen Diskurs, und wenn der Diskurs [366] sich auf sie beziehen soll, dann muß es auf ihrer Seite eine Vermischung geben, die dem synthetischen Element im Diskurs entspricht. Was ist dieses Sich-Vermischen verschiedener Formen? Ehe wir eine so schwierige Frage zu beantworten versuchen, ist es wohl besser abzuklären, ob sich diese Frage überhaupt stellt. Wir würden dartun, daß es in der Tat nicht der Fall ist. Ehe das Urteil erreicht wird, ist der Erkenntniszuwachs unvollständig. Ehe das Urteil erreicht wird, ist das synthetische Element bereits vorhanden in der Erkenntnis. Das Urteil fügt der Frage nach Reflexion einzig das "Ja" oder "Nein", das "ist" oder "ist nicht" hinzu. Was bejaht oder verneint wird, kann eine einzelne Aussage sein, oder der Inbegriff der Aussagen, die eine Hypothese ausmachen; denn beide können als bedingt angesehen werden, und beide können als virtuell Unbedingte erfaßt werden. Das Urteil ist also nicht eine Synthese von Termini, sondern die unbedingte Setzung einer solchen Synthese. Dem Urteil entspricht nicht eine Synthese von Formen, sondern das Absolute der Tatsache. Der Platonismus ist glänzend in seiner Hingabe an das reine Erkenntnisstreben. Da er aber die Natur des Urteils nicht erfaßte, führte dies zu seinem Abweichen vom konkreten Universum in den idealen Himmel. (Fs)
____________________________
|