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Autor: Lortz, Joseph

Buch: Die Reformation in Deutschland

Titel: Die Reformation in Deutschland

Stichwort: Reformation - Voraussetzungen; objektive Kirche (Lehramt, Sakrament) - Gewissensreligion

Kurzinhalt: Die Reformation ist in ihrem religiöskirchlichen Geschehen die Verneinung der im objektiven Lehramt und im sakramentalen Priesteramt verankerten sichtbaren Kirche; und die auf dem Entscheid des einzelnen aus dem Bibelwort aufgebaute Gewissensreligion.

Textausschnitt: 4. Nicht also nur ändern sich die geistig-seelischen Grundhaltungen, die das Mittelalter kennzeichnen, sondern auch ihre Darstellungen, die sie in Kirche und Welt gefunden hatten: die mittelalterlichen Ordnungen lösen sich auf. In der Kirche gehört hierher alles, was wir als Aufspaltung ihrer Idee als einer apostolisch-religiösen bezeichnen und unter dem Begriff der kirchlichen 'Mißstände' im weitesten Sinne des Wortes zusammenfassen. In der Welt: die ungeheuren Umordnungen auf sozialem, kulturellem und politischem Gebiet. (Politisch etwa: die Ohnmacht des Reiches und des Kaisers, die gewaltige Schwächung durch den Wegfall von großen Grenzgebieten, das Auseinander und Gegeneinander einer Vielzahl von emporsteigenden Territorien und Ländern.) (Fs)

10a Im Kampf gegen diese Un- und Umordnungen in Welt und Kirche steigen die Kräfteströme auf, die die deutsche Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung beherrschten. Aber nicht nur im Kampf gegen! Wesentlich auch aus eigenen Wurzeln. Nur dies Letztere bewirkt, daß die Reformationsgeschichte nicht Episode blieb, sondern Epoche macht in der deutschen Geschichte. Die Gewalt ihrer Erhebung auf religiösem Gebiet erreichte sogar, daß sie Epoche macht in der Weltgeschichte. (Fs)

10b Tatsächlich ist zu Beginn des 16. Jahrhunderts jene Auflösung der mittelalterlichen Prinzipien auf allen Gebieten des nationalpolitischen, kirchlichen, religiösen und wissenschaftlichen Lebens, in der Kirche, neben ihr und gegen sie verlaufend, so weit gediehen, daß in weitestem Umfang der Rahmen für die Reformation bereitgestellt scheint. Die Reformation ist in ihrem religiöskirchlichen Geschehen die Verneinung der im objektiven Lehramt und im sakramentalen Priesteramt verankerten sichtbaren Kirche; und die auf dem Entscheid des einzelnen aus dem Bibelwort aufgebaute Gewissensreligion. Das heißt, durch diese beiden Seiten ihrer Entwicklung verdrängt die Reformation die mittelalterlichen Grundhaltungen des Objektivismus, des Traditionalismus und des Klerikalismus und setzt an deren Stelle die Haltungen des Subjektivismus, des Spiritualismus und des Laientums: eine Entwicklung also, die in überraschender Fülle Tendenzen des spätmittelalterlichen Kräftespiels aufnimmt, zusammenfaßt und weiterführt. Die Reformation ist ein revolutionärer Aufstand gegen die Papstkirche durch eine theologische Laienbewegung. Alles, was die Feindschaft des Laientums gegen das Papsttum und die Kirche vorbereitet, gehört zu den Ursachen der Reformation. (Fs) (notabene)

10c Im geistigen Sinne am weitesten reicht die Wirkung jener allmählich aufkommenden Kraft, die wir kurz subjektivistische Tendenz nennen wollen, obwohl sie auf Jahrhunderte hinaus von dem modernen Subjektivismus noch entscheidend getrennt war. Diese Entwicklung war angesetzt in dem Augenblick, als der abendländische Geist begann, selbständig und eigenartig zu der christlichen Verkündigung Stellung zu nehmen, eigenwillige Fragen zu stellen, vordem nicht gehörte Antworten zu geben. Das geschah zunächst innerhalb, aber alsbald auch außerhalb der Kirche. Die beiden epochemachenden Gestalten, noch ganz im hohen Mittelalter stehend, sind Bernhard von Clairveaux und Waldes.

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