Autor: Lortz, Joseph Buch: Die Reformation in Deutschland Titel: Die Reformation in Deutschland Stichwort: Reformation - Voraussetzungen; abendländische Einheit: Sprengung; Reiferklärung der christlichen Völker des Abendlandes; Laientum
Kurzinhalt: Die entscheidende Frage war: Würde die Überleitung der bis dahin nur geführten Völker in ein Verhältnis der freien Mitarbeit gelingen, oder würde ... die Reformation ist eine Äußerung des geistigreligiös selbständig gewordenen Abenlandes Textausschnitt: 8b
2. Diese Sprengung der abendländischen Einheit in vorreformatorischer Zeit darf nicht mit einer der beiden einseitigen Deutungen des Spätmittelalters verknüpft oder gar verwechselt werden, die uns Janssen in seiner Über- und Denifle in seiner Unterbewertung dieser Zeit vortrugen. Vielmehr läßt dieser Prozeß der Spaltung der mittelalterlichen Einheit selbstverständlich auch Platz für einen Aufbau, für die Entwicklung eines Neuen, und zwar eines wertvollen Neuen. Es ist nach dem Willen der Kirche selbst in einem eminenten Maße verwirklicht in der großen kirchlichen Erziehungsarbeit an den abendländischen Völkern, deren Ziel das Reif- und Mündigwerden dieser selben Völker sein mußte. Dieses Ziel schließt notwendig eine Änderung des im frühen Mittelalter geprägten Gefolgschaftsverhältnisses der Völker zur Kirche ein. Die entscheidende Frage war: Würde die Überleitung der bis dahin nur geführten Völker in ein Verhältnis der freien Mitarbeit gelingen, oder würde die Änderung des Gefolgschaftsverhältnisses zur feindlichen Trennung führen? (Fs) (notabene)
9a Wir kennen die Antwort auf diese Frage. Warum aber kam die feindliche Trennung?
3. Das Wachsen der abendländischen Völker ist unter anderem auch durch eine gefährliche Ungleichmäßigkeit belastet. Religion und politisch-gemeindliches Wesen, zu einem Ganzen des Lebens verknüpft, das ist die Unterlage. Unter der Mitwirkung und Führung der Kirche wächst das weltliche Gemeinwesen in vielen Jahrhunderten zäh und folgerichtig zu einer immer größeren Selbständigkeit. Das entspricht natürlicher Notwendigkeit und, wie schon gesagt, dem Sinn jeder wirklichen Erziehung. Aber dieser, von ihr selbst grundgelegten und geförderten Selbständigkeit gab die Kirche nicht in allem genügende Befriedigung; die Kirche: d. h. hier der sozial und wirtschaftlich privilegierte Priesterstand, die Bischöfe, die geistlichen Gerichte, die in den Städten lebenden und die Seelsorge ausübenden großen Ordensgenossenschaften, die römische Kurie. Zwei Ordnungen desselben einen lebendigen Sozialdaseins wachsen in wesentlich verschiedenem Tempo, und sogar einigermaßen in verschiedener Richtung: der innere Bruch wird leicht, wenn nicht notwendig. Umgekehrt herrschte, und wurde kirchlich geduldet, eine Sorglosigkeit der religiösen Meinungsäußerung, die der Freiheit zu viel Spielraum ließ und zur gefährlichen Versuchung wurde. Wir werden gewisse beherrschende Auffassungen des Humanismus in dieses Spiel einzuordnen haben. (Fs)
9b Man sieht die Konsequenz: die Reformation ist eine Äußerung des geistigreligiös selbständig gewordenen Abendlandes. Sie ist die revolutionäre Reiferklärung der christlichen Völker des Abendlandes. Die kirchenpolitischen Streitschriften schon um 1300 waren voll vom Aufbegehren des Laientums in jeder Form; und so elementar, daß sie einfach nicht übersehen werden konnten. (Fs)
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