Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Bedeutung: Quellen, Akte, Termine, Kern; Intention der Bedeutung: Sein; Urteil: wahr - falsch; Empirismus, Gesten Kurzinhalt: Der allumfassende Terminus der Bedeutung ist nun das Sein; denn außer dem Sein gibt es nichts. Umgekehrt ist der Kern aller Bedeutung die Intention von Sein. Textausschnitt: 5. Der Kern der Bedeutung
415a So wie die Notion des Seins alle Inhalte untermauert, sie durchdringt und sie als erkenntnismäßige konstituiert, so ist sie auch der Kern der Bedeutung. (Fs)
415b Für unsere gegenwärtigen Zwecke wird es genügen, zu unterscheiden zwischen
(1) den Quellen der Bedeutung,
(2) den Akten des Bedeutens,
(3) den Termini der Bedeutung und [eg: terms of meaning]
(4) dem Kern der Bedeutung. (Fs)
Jedes Element der Erkenntnis kann als Quelle der Bedeutung dienen. Die Quellen der Bedeutung schließen deshalb Daten und Bilder, Ideen und Begriffe, Erfassen des Unbedingten und Urteil und zudem auch das unvoreingenommene und uneingeschränkte Streben nach Erkenntnis ein. (Fs)
415c Akte des Bedeutens gibt es in drei Arten. Sie sind
(1) formal,
(2) voll,
(3) instrumentell. (Fs)
415d Der formale Akt des Bedeutens ist ein Akt der Begriffsbildung, des Denkens, Überlegens, Definierens, Annehmens, Formulierens. Der volle Akt des Bedeutens ist ein Akt des Urteilens. Der instrumenteile Akt des Bedeutens ist die Ausführung eines formalen oder vollen Aktes durch die Verwendung von Wörtern oder Symbolen in einer gesprochenen, geschriebenen, oder auch bloß gedachten Äußerung. (Fs)
415e Termini der Bedeutung sind das, was gemeint wird. Sie sind formal oder voll. Formale Termini der Bedeutung sind das, was begriffen, gedacht, betrachtet, [358] definiert, angenommen oder formuliert wird. Volle Termini der Bedeutung sind das, was bejaht oder verneint wird. (Fs)
425f Der allumfassende Terminus der Bedeutung ist nun das Sein; denn außer dem Sein gibt es nichts. Umgekehrt ist der Kern aller Bedeutung die Intention von Sein. (Fs) (notabene)
415g Jedes gegebene Urteil gehört somit zu einem Kontext von Urteilen und die Bedeutung des gegebenen Urteiles wird aus diesem Kontext heraus bestimmt. Warum aber ist die Bedeutung des gegebenen Urteils eine Funktion eines Kontexts anderer Urteile? Weil jedes Urteil nur eben ein Zuwachs in einem Ganzen ist, das Erkenntnis genannt wird; weil die Bedeutung des Urteils bloß ein Element ist in der Bestimmung der universalen Intention von Sein. (Fs)
416a Ferner, Urteile können wahr oder falsch sein. Das wahre Urteil bejaht, was ist, und verneint, was nicht ist. Im wahren Urteil gibt es Harmonie zwischen dem, was intendiert wird, und dem, was gemeint ist. Im falschen Urteil aber gibt es einen Konflikt zwischen Intention und Bedeutung. Das falsche Urteil intendiert als Urteil das Sein; es intendiert, das zu bejahen, was ist, und das zu verneinen, was nicht ist. Aber das falsche Urteil als falsches versagt in der Ausführung seiner Intention als Urteil. Es bejaht, was nicht ist, und verneint, was ist. Es bedeutet nicht das, was ist, sondern nur das, was wäre, wenn das Urteil nicht falsch, sondern wahr wäre; in seiner negativen Form wiederum bedeutet es, nicht, was nicht ist, sondern was nicht wäre, wäre es nicht falsch, sondern wahr. (Fs) (notabene)
416b Vielleicht hat dieser Konflikt manche Denker zu dem Schluß geführt, daß ein falsches Urteil bedeutungslos sei. Ein solcher Schluß scheint aber erstaunlich falsch. Wäre das falsche Urteil bedeutungslos, dann gäbe es nichts, was falsch wäre. Das falsche Urteil ist falsch, gerade weil es einen Stand der Dinge meint, der das Gegenteil des Standes ist, den man zu bejahen intendiert, des Standes nämlich, der wahr ist. (Fs)
416c Auf der Ebene der Begriffsbildung gibt es einen ähnlichen, wenn auch weniger offensichtlichen, Kontrast zwischen der Bedeutung und ihrem Kern, der die Intention des Seins ist. Pferde und Einhörner, Elektronen und Phlogiston können als formale Termini der Bedeutung gleich gültig sein. Man kann sie annehmen, oder über sie Überlegungen anstellen, oder sie definieren, und das ist alles, was für den formalen Terminus der Bedeutung verlangt wird. Nun scheint es aber, daß Pferde und Elektronen als formale Termini der Bedeutung den Einhörnern und dem Phlogiston vorzuziehen sind. An sich kann man die letzteren denken; aber dieses Denken scheint irgendwie müßig, überflüssig und vergeblich. Der Grund dafür ist, daß das Denken ein Moment im reinen Streben nach Erkennen ist; wenn auch das Gedachte als Gedachtes bloß ein formaler Terminus der Bedeutung ist, wenn auch das [359] Einhorn als formaler Terminus gerade so gültig ist, wie das Pferd; dennoch denken wir nicht bloß. Unser Denken ist zweckgerichtet. Es ist ein versuchsweises Bestimmen der allumfassenden Notion des Seins. Es denkt nicht nur das Gedankenobjekt, sondern nimmt auch das Objekt des Urteils vorweg. Es meint nicht allein den formalen Terminus der Bedeutung, sondern blickt voraus auf den vollen Terminus. Weil das Einhorn und das Phtogiston als erfolglose Bestimmungsversuche des Seins erkannt werden, sind sie formale Termini, an denen der Kern der Bedeutung, die Intention des Seins, nicht mehr interessiert ist. (Fs)
417a In Anbetracht der Vorherrschaft empiristischer Theorien der Bedeutung sollen einige Worte zu den instrumentellen Akten hinzugefügt werden. Gewöhnliche instrumentelle Akte, wie etwa gesprochene oder geschriebene Wörter oder Symbole, sind nicht von besonderem Interesse. Der Empirist aber legt Nachdruck auf ostensive Akte, wie Demonstrativpronomen und -aujektive, und selbstverständlich Gesten. Der Grund für diese Betonung ist leicht einzusehen, wenn wir unterscheiden zwischen der Funktion der Gesten in jeder beliebigen Theorie der Bedeutung und der Funktion, welche Gesten kraft der empiristischen Behauptungen erlangen. In jeder beliebigen Theorie der Bedeutung ist der ostensive Akt ein instrumenteller Akt der Bedeutung; er setzt formale oder volle Akte der Bedeutung voraus, insofern man weiß, was man meint; und er bezieht sich auf formale oder volle Termini der Bedeutung, insofern alle Bedeutung auf das Bedeutete verweist. Ferner, in einer beliebigen Theorie der Bedeutung ist der ostensive Akt operativ, insofern es ihm gelingt, die Aufmerksamkeit eines anderen auf eine sinnesmäßige Quelle der Bedeutung zu ziehen, so daß dieser durch Bezugnahme auf diese Quelle, durch Verstehen und Reflektieren den passenden formalen oder vollen Terminus der Bedeutung erreichen kann, der gemeint ist. Gemäß der empiristischen Notion aber hat der ostensive Akt eine dritte Funktion; der Empirist nämlich identifiziert das gültige Feld der vollen Termini der Bedeutung (d.h. das Universum des Seins) mit dem Bereich der sinnesmäßigen Vorstellungen; für den Empiristen verweist der ostensive Akt deshalb nicht nur auf eine Quelle der Bedeutung, sondern auch auf einen vollen Terminus der Bedeutung. Ob diese empiristische Modifikation der allgemeinen Theorie korrekt ist, hängt von der Frage ab, ob die Sätze, welche den Empirismus formulieren, für wahr oder falsch erklärt werden müssen. (Fs)
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