Autor: May, Georg Buch: Reformation und deutsche Bischöfe Titel: Reformation und deutsche Bischöfe Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - die sittlichen Mängel Kurzinhalt: Die Nuntien, welche die Päpste nach Deutschland entsandten, lassen in ihren Berichten an dem sittlichen Ungenügen vieler Bischöfe keinen Zweifel.
Textausschnitt: 9. Die sittlichen Mängel
98a Von einem Bischof, der regelmäßig unter vielen hundert Geistlichen ausgewählt wird, muß Vorbildlichkeit im Lebenswandel verlangt werden. Auf ihn schaut eine ganze Diözese, sein Beispiel ist bis zu einem gewissen Grade für das Verhalten von Klerus und Volk maßgeblich. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Untertanen leicht die Sitten jener annehmen, die sie regieren. Ein Bischof, der sich bei Mandaten und Visitationen immer an eigene vergangene oder gar gegenwärtige schwere sittliche Mängel erinnern lassen mußte, konnte kaum durchschlagend reformieren. Zwischen dem persönlichen Glauben und der sittlichen Haltung eines Bischofs einerseits und seinem Einsatz für die Kirche andererseits bestehen regelmäßig engste Verbindungen. Wer sittlich faul ist, wird sich niemals für die Sache Gottes und die Seelen verzehren; er wird arbeiten, wie ein Mietling arbeitet. Nun sind die sittlichen Anforderungen, die an den katholischen Klerus gestellt werden, sehr hoch, und jenen steht am allerwenigsten das Recht der Kritik zu, die an ihre eigenen Religionsdiener nicht auch nur annähernd vergleichbare Ansprüche stellen. Es ist eine Paradoxie, daß viele protestantische Autoren sich über Fleischesvergehen katholischer Fürstbischöfe entrüsten und dieselben oder viel schlimmeren Verfehlungen protestantischer Landesherren und sogenannter Reformatoren entweder stillschweigend übergehen oder verharmlosen. Ebenso muß bedacht werden, daß es schwierig ist, in einer Zeit des allgemeinen Zusammenbruchs und des verbreiteten sittlichen Libertinismus das unablässige Streben nach hohen Idealen zu bewahren. Zu leicht werden auch gutgesinnte Männer von der sie umgebenden Zersetzung ergriffen oder jedenfalls in ihrem Bemühen gelähmt. Aber der katholische Klerus ist nun einmal auf den Heroismus verpflichtet, der sich aus der Nachfolge Christi ergibt, und zumal von den Bischöfen muß das mitreißende Beispiel verlangt werden. (Fs)
98b Die Vorbildlichkeit, die von einem Oberhirten zu fordern ist, fehlte vielen Bischöfen des 16. Jahrhunderts. Daran besteht kein Zweifel. Zwar ist bei ihrer Beurteilung das von ihren Feinden, den Protestanten, stammende Material über ihre angeblichen sittlichen Mängel, mit Vorsicht zu gebrauchen. Denn diese waren lebhaft daran interessiert, ein düsteres Bild der Bischöfe zu zeichnen, um das Volk gegen sie aufzubringen und in ihre Hürden zu treiben. Aber es gibt reinere Quellen, die den moralischen Stand des deutschen Episkopates beleuchten. Die Nuntien, welche die Päpste nach Deutschland entsandten, lassen in ihren Berichten an dem sittlichen Ungenügen vieler Bischöfe keinen Zweifel. Mag auch nicht in jedem Fall alles zutreffen, was sie an Nachrichten oder Gerüchten über einen Bischof dem Heiligen Stuhl zutrugen, so bleibt doch des gesicherten Materials genug, um das Urteil zu rechtfertigen, daß der Lebenswandel zahlreicher Prälaten ärgerniserregend war. Der Nuntius Giovanni Morone schrieb am 23. März 1538, die Verfehlungen der Prälaten seien so ungeheuerlich in Deutschland, daß es nicht verwunderlich sei, wenn sich das Luthertum infolge ihres schlechten Beispiels immer mehr ausbreite. Der Nuntius Girolamo Aleander fand am 9. September 1538 die deutschen Prälaten, also zuerst die Bischöfe, in nichts gebessert. Vergerio schrieb am 12. Januar 1541 aus Worms an Papst Paul III., die religiöse Spaltung, der Aufruhr und die Gefahr seien hauptsächlich wegen der Schuld der deutschen Bischöfe entstanden. Sie hätten den Zorn Gottes und den Neid, den Haß und den Aufstand der Völker hervorgerufen, weil sie die geistliche Seite ihres Amtes vernachlässigt und die weltliche Seite bevorzugt hätten; man spüre bei ihnen nichts von Seelenhirten. Die Geistlichen folgten dem schlechten Beispiel ihrer Vorgesetzten und führten ein epikuräisches Leben. Das Volk, ohne Führer und Lehrer, sei ohne Gottesfurcht und falle in tausend Irrtümer, und es nehme Ärgernis am Klerus. Die vielen Laster und Mißstände, vor allem der Bischöfe und der Priester, hätten die gegenwärtigen Häresien in Deutschland verursacht und befördert. Die häretischen Wölfe seien durch die Türen der Mißbräuche in die Herden eingefallen und hätten die Schafe leicht reißen und verzehren können, weil sie ohne Verteidigung und durch Hunger geschwächt gewesen seien. Gelegentlich scheint der Zustand mancher Prälaten an die Sünde der Unbußfertigkeit herangekommen zu sein. Morone schrieb am 7. März 1542 in bezug auf die Reform der deutschen Bischöfe, sie seien in ihrer schlechten Gewohnheit derart verwurzelt, daß sie sich über Ermahnungen lustig machen. Die Nuntien Lippomano und Pighino charakterisierten in ihrem Bericht vom 15. Januar 1549 gegenüber dem Kaiser die deutschen Bischöfe und Geistlichen als verrottet (deformatissimi). Kardinal Delfino zeichnete noch 1573 vor der Deutschen Kongregation ein düsteres Bild der deutschen Bischöfe, die ihren Leidenschaften nachlebten und ihre kirchlichen Pflichten versäumten (non hanno di prelati altro ehe il nome). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß bei all diesen Feststellungen auch jene Inhaber von Bischofsstühlen einbezogen wurden, die mit dem Protestantismus sympathisierten oder bereits zu ihm übergegangen waren. Das zusammenfassende Urteil wird davon ausgehen müssen, daß eine beträchtliche Zahl von Bischöfen sittlich nicht einwandfrei war. Nach Hermann Tüchle gab es unter den Bischöfen "einige offenbar Unwürdige und viele ohne genügende Einsicht in die Schwere ihres Amtes". Es fehlte ihnen die aszetische Strenge, die nun einmal für den zölibatären Mann Gottes unentbehrlich ist. Der Hang nach Genießen war bei nicht ganz wenigen stark ausgebildet. Einige Bischöfe lebten unenthaltsam. Sie verrieten damit nicht nur eine sittliche Schwäche, sondern gaben auch ein schlechtes Beispiel. Es sei indes erwähnt, daß manche Bischöfe zeitweise den Zölibat verletzten, sich aber dann bekehrten und fortan die priesterliche Keuschheit gewissenhaft beobachteten. So manchem Bischof fehlte infolge seines sittlich nicht einwandfreien Lebenswandels die Kraft, entschieden gegen die Aufrührer einzuschreiten. Leider gab es auch Bischöfe, die energisch die protestantische Bewegung zu unterdrücken suchten, die aber wegen ihres unpriesterlichen Lebenswandels den Gläubigen ein Ärgernis und der feindlichen Agitation ein leichtes Ziel waren. Selbst angesichts der schwersten Bedrängnisse der Kirche bekehrten sie sich nicht und änderten sie ihr Leben nicht. So kompromittierten sie ihre eigenen Anstrengungen und die Kirche, der sie dienten. (Fs)
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