Autor: May, Georg Buch: Reformation und deutsche Bischöfe Titel: Reformation und deutsche Bischöfe Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Schwäche der Bischöfe
Kurzinhalt: Joseph Lortz spricht von "der entsetzlichen Schwäche jener der Theologie unkundigen Bischöfe, die nichts wollten, als ihre Ruhe und ihren Besitz retten".
Textausschnitt: 7. Die Schwäche der Bischöfe
95a Wer regiert, muß viele tragen. Dazu braucht es Kraft. Regenten müssen stark sein, wenn sie ihre Führungsaufgabe erfüllen wollen. Denn unweigerlich werden sich ihnen Hindernisse entgegenstellen, die sie überwinden müssen, werden sich Gegner finden, mit denen sie ringen müssen, und werden Prüfungen über sie kommen, die sie bestehen müssen. Ein intaktes System vermag gewiß auch schwache Männer zu verkraften, weil es sie mitträgt. Sobald aber die Stütze der Organisation entfällt, zeitigt die Schwäche verhängnisvolle Wirkungen. Die Menschen spüren, ob ein Regent Energie besitzt oder nicht, und sie reagieren entsprechend. Es ist eine Eigenart des Charakters zumal der Deutschen, daß sie Respekt haben vor einer entschlossenen Macht und sich ihr beugen. (Fs)
95b Das Hauptkennzeichen der Mehrheit der Bischöfe des 16. Jahrhunderts war Schwäche, Schwäche der Entscheidung, Schwäche im Kampfe, Schwäche im Durchhalten, Schwäche im Unglück. Auf zu vielen Bischofsstühlen fehlten starke, entschlossene Männer. Zu viele Bischöfe waren kraftlose, unsichere und schwankende Persönlichkeiten. Die harte Entschlossenheit, die zumal in Zeiten äußerster Gefahr vonnöten ist, ging ihnen fast ausnahmslos ab. Die Schwäche der Bischöfe zeigte sich in ihrer Kampfesscheu. Sie gingen in der Regel dem Kampf aus dem Wege, auch wenn dieses Ausweichen mit noch so großen Verlusten bezahlt werden mußte. Jene Haltung war bei ihnen beliebt, die in vornehmer Ruhe macht, sich gelassen gibt, Gefahren abstreitet und dies alles tut, um nicht kämpfen und sich Unannehmlichkeiten zuziehen zu müssen. Die Bischöfe bewiesen dort Milde, wo allein scharfes und unnachsichtiges Durchgreifen Heil versprochen hätte. Die Protestanten spekulierten in zahllosen Fällen auf die bekannte Gutmütigkeit der geistlichen Herren und nahmen sich Freiheiten heraus, die sie sich gegenüber weltlichen Fürsten nicht getraut hätten. (Fs)
95c Die Schwäche war besonders verhängnisvoll, wo harte Personalentscheidungen notwendig waren. Denn hier wurde den Hetzern und Wühlern, den Spionen und Verrätern ihr Manövrierfeld erhalten. Statt daß sie rücksichtslos von ihren Posten entfernt wurden, duldete man sie. Viele Bischöfe hatten nicht die Kraft, die von der Sache, nämlich der Erhaltung der heiligen Religion, geforderte Entschiedenheit aufzubringen. Sie deckten und entschuldigten Leute, die den Boden unterwühlten, auf dem sie selbst standen. (Fs)
95d Wer schwach ist, besitzt regelmäßig auch keine Konsequenz. Er vermag Entscheidungen nicht durchzuhalten, wenn Hemmnisse auftreten, sondern tritt den Rückzug an und gibt auf. Eben diese Beobachtung läßt sich bei zahlreichen Bischöfen des 16. Jahrhunderts machen. Fast alle ihre Maßnahmen krankten an Halbheit. Guten Ansätzen fehlte die Ausführung, der Arbeit die unerläßliche Nacharbeit. Bei Menschen muß man gewisse Dinge immer wieder einschärfen und vor allem kontrollieren. Aber dies geschah nur in seltenen Fällen. (Fs)
95e Die Schwäche verhinderte, daß die meisten Bischöfe rechtzeitig und nachhaltig durchgegriffen hätten. Aus Bequemlichkeit, Gutmütigkeit oder Feigheit ließen sie allzu lange das Unheil wachsen und sahen den Mißbräuchen zu. Schwäche und Versagen führten die Zustände herbei, die zu wenden auch einem gutgesinnten und charakterfesten Bischof allein nicht mehr möglich war. Den meisten Bischöfen lag das Lavieren näher als das Regieren. Das geistliche Amt und die klerikale Milde verhinderten häufig, daß sie von ihrer Macht als Landesherren den rigorosen Gebrauch machten, der angesichts des zu allem entschlossenen Gegners allein Erfolg versprochen hätte. (Fs)
96a Ein markantes Zeichen der Schwäche sind die vielen vollzogenen und beabsichtigten Rücktritte von Bischöfen des 16. Jahrhunderts. Soweit sie aus eigenem Antrieb hervorgingen, sind sie zum großen Teil Ausdruck der Erkenntnis, der Situation des Kampfes nicht gewachsen zu sein, und Zeugnis der Flucht vor den unermeßlichen Schwierigkeiten, die nun einmal das Zeichen gefahrdrohender Epochen sind. Die Herren waren des Kampfes müde und zogen sich regelmäßig auf ein möglichst schön gelegenes Schloß zurück, anderen die Sorge um die Kirche und den Widerstand gegen den Protestantismus überlassend. Die Schwäche veranlaßte sie zur Flucht von dem Kampffeld. (Fs)
96b Zeitgenossen und Historiker haben die Schwäche zahlreicher Bischöfe des 16. Jahrhunderts in gleicher Weise festgestellt. Die Nuntien Lippomano und Delfino schrieben am 31. Juli 1555 an Giovanni Carafa, die katholischen Prälaten seien wie Kaninchen und ließen sich für einen Halm alles aufladen (per filo si lasciano attaccare ogni cosa alle spalle). Am 3. August 1555 urteilte Lippomano, man finde bei den kirchlichen Fürsten wenig Standhaftigkeit (poca constanza), die aber heute nötig sei wie zu der Zeit des Arianismus. Sie hätten so schwache Knie, daß sie sogar jeder schändlichen Sache zustimmten und bloß auf den König hofften. Minutio Minucci beklagte 1588 "die Schlaffheit und die Schwäche der Bischöfe" und wies dabei auf die Hirten von Köln, Mainz und Augsburg sowie ,,viele andere" hin. Joseph Lortz spricht von "der entsetzlichen Schwäche jener der Theologie unkundigen Bischöfe, die nichts wollten, als ihre Ruhe und ihren Besitz retten". Niemand wird der Meinung sein, die sogenannte Reformation hätte vermieden werden können, wenn die deutschen Bischöfe andere Männer gewesen wären. Zu viele Ursachen kamen zusammen, um diese Explosion auszulösen. Wohl aber ist zu vermuten, daß die revolutionäre Bewegung einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn alle Bischöfe ihre Pflicht getan hätten und mit schonungsloser Energie den Kampf aufgenommen hätten. (Fs)
____________________________
|