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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Tatenlosigkeit

Kurzinhalt: "Aus kleinlichen Rücksichten oder aus Furchtsamkeit" (Ludwig von Pastor) zögerten viele deutsche Bischöfe schon, die Bulle "Exsurge Domine" zu veröffentlichen; ...

Textausschnitt: 5. Die Tatenlosigkeit

91b Es ist eine allgemeinmenschliche Erscheinung, Anstrengendes, Lästiges, Peinliches und Schwieriges aufzuschieben oder zu unterlassen. Wer handelt, zumal wer als erster oder einziger und wer deckungslos handelt, braucht Mut. Denn er setzt sich der Kritik aus, zieht Vorwürfe auf sich und riskiert das Mißlingen. Es ist eine verbreitete Ansicht, daß derjenige, der gar nichts tut, auch nichts falsch machen könne. Aber diese Meinung ist irrig. Denn Versäumnis und Tatenscheu wiegen auf der Waage der Geschichte nicht minder schwer als verkehrte Maßnahmen. "Denn oft tut auch der unrecht, der nichts tut, nicht bloß der, der etwas tut" (Marc Aurel). Ein Fehlgreifen in der Wahl der Mittel beim Handeln ist sogar regelmäßig weniger schwerwiegend als das Unterlassen des Handelns überhaupt. Lieber etwas Falsches als gar nichts tun, muß die Devise heißen. Dies gilt zumal angesichts von Umwälzungen größten Ausmaßes. Revolutionen haben ihre eigenen Gesetze. Sie können mit Gewalt unterdrückt, niemals aber mit Diplomatie oder Verlockungen überwunden werden. Die Niederwerfung einer Revolution benötigt also Taten, rasche, konsequente, durchgreifende und rücksichtslose Taten. (Fs)

91c Diese geschichtlichen Erkenntnisse waren vielen Bischöfen des 16. Jahrhunderts nicht gegenwärtig. So mancher von ihnen saß tatenlos in einem Schloß und führte dort ein zurückgezogenes Leben, während draußen der Sturm an den Grundfesten der Kirche zerrte. "Aus kleinlichen Rücksichten oder aus Furchtsamkeit" (Ludwig von Pastor) zögerten viele deutsche Bischöfe schon, die Bulle "Exsurge Domine" zu veröffentlichen; sie machten formale oder Opportunitätsgründe dagegen geltend. Diese Tatsache am Anfang setzte sich in der Folgezeit fort. Jahrelang wurde gegen Luther und seinen Anhang nicht mit den Mitteln eingeschritten, die ihnen gegenüber allein angebracht gewesen wären. In diesen Jahren konnte sich ihre Agitation fast ungehemmt entfalten. Man arbeitete auf katholischer Seite mit dem Argument, daß durch scharfes Durchgreifen gegen die lutherische Neuerung Unruhen zu gewärtigen seien, und verschaffte auf diese Weise der Revolution Ruhe, sich ungestört weiter auszubreiten. Gerade das gegenteilige Verhalten wäre richtig gewesen. Die Bischöfe hätten in dem Maße, in dem die Neugläubigen auf Zeitgewinn hinarbeiteten, diese Atempause verhindern müssen. Statt dessen waren sie saumselig und untätig. Johannes Eck mußte die Bischöfe immer wieder antreiben und unter Druck setzen, um zu erreichen, daß sie etwas gegen die Ausbreitung des Luthertums unternahmen. In seinem ersten Gutachten für Papst Clemens VII. (1523) gab Aleander den Rat, die nachlässigen deutschen Bischöfe unter Androhung von Kirchenstrafen dazu anzuhalten, daß sie endlich energisch gegen die Irrlehre einschritten. Die meisten Bischöfe besaßen nicht die Kraft, gegen die abgefallenen Geistlichen und die entsprungenen Mönche, die den Samen der Zwietracht auswarfen, wirksam vorzugehen. In manchen Territorien ergab sich die groteske Situation, daß die Landesherren gegen die lutherische Neuerung einschreiten wollten, wenn die Bischöfe handelten, und daß die Bischöfe gegen das Luthertum vorgehen wollten, wenn die Landesherren vorangingen. Bei solcher Verschleppung der notwendigen Maßnahmen blühte der Weizen der Neuerer. Ende der dreißiger Jahre war es soweit gekommen, wie Ludwig von Pastor schreibt, daß die Protestanten überall im Angriff waren, während die Katholiken vielfach nicht einmal die Kraft fanden, sich zu verteidigen. Daran trug "vor allem der deutsche Episkopat einen großen Teil der Schuld" (Ludwig von Pastor). "Der Kleinmut und die Verweltlichung der meisten deutschen Kirchenfürsten" werden von Pastor hauptverantwortlich für den trostlosen Zustand der Kirche in den katholischen Territorien gemacht. Der Nuntius Morone schrieb im Jahre 1540 von den deutschen Bischöfen: "Diese Oberhirten wollen in Frieden leben, wenn er nur für ihr Leben aushält." Friedrich Nausea gab den Bischöfen an erster Stelle die Schuld für die Geschehnisse in Deutschland seit 1517. Im Jahre 1540 warf er ihnen vor, "sie schlafen auf beiden Ohren, als ob es sich nicht um ihre höchst eigene Sache handelte, sie lassen die Dinge laufen, als ob sie nicht die Wiederaufrichtung, sondern die Zerstörung der Religion wünschten, nur auf ihre Einkünfte bedacht". Die Bischöfe ließen sich von den Protestanten das Gesetz des Handelns vorschreiben. Sie nahmen die unaufhörlichen Angriffe schweigend oder mit nur schwacher Abwehr entgegen, überlegten, was sie den Protestanten zuliebe preisgeben könnten, gingen aber nicht ihrerseits zur Offensive vor, deckten nicht die Ungereimtheiten des protestantischen Systems und die Willkür ihrer Schriftdeutung auf. Der Bischof Johann Fabri schrieb in seinen "Monita", weder in Augsburg noch in Regensburg noch in Hagenau hätten die Bischöfe auch nur mit einem Wort auf die Häresien und gottlosen Lehren der Protestanten hingewiesen, sondern seien wie stumme Hunde gewesen, die nicht bellen können. Sie vergaßen, daß der Sieg nur im Angriff liegt und daß der Angriff regelmäßig das einzige Mittel ist, um aus einer mißlichen Lage herauszufinden. Der Legat Commendone nahm die Nachlässigkeit und Untätigkeit der katholischen Fürsten, unter ihnen der Fürstbischöfe, zum Anlaß, sarkastisch zu erklären, es sehe ganz so aus, als ob sie allein auf den Glauben ohne die Werke vertrauten. Es fehlten auf katholischer Seite fast allgemein das Bewußtsein der eigenen Kraft, der Mut zum energischen Vorgehen und der Wille zur Rückeroberung. Als der Kardinal Lodovico Madruzzo 1582 daran dachte, systematisch den Gegenangriff gegen den Protestantismus zu führen, mußte er die bittere Erfahrung machen, daß die Mehrheit der katholischen Reichsstände dafür nicht zu gewinnen war. Am 15. August 1582 hielt er an die geistlichen Fürsten eine Rede, in der er ihre Nachlässigkeit, Unentschlossenheit und Uneinigkeit rügte und sie zu energischem Handeln aufrief. "Alle erkennen die ihnen zugefügten Schädigungen, wagen es aber nur mit nutzlosen Seufzern sich zu beklagen", schrieb Madruzzo nach Rom. Stanislaus Hosius war sich darüber im klaren, daß das Versagen sehr vieler Bischöfe einer der Hauptgründe für den Abfall, nach Lortz "der praktisch schwächste Einzelpunkt der katholischen Front" war. Er sprach einmal davon, daß "wir Bischöfe durch unsere Nachlässigkeit bereits zu Mördern an vielen Seelen geworden sind".

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