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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Durchschnittlichkeit

Kurzinhalt: Auf den Bischofsstühlen aller Zeiten überwiegt das Mittelmaß. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist es sicher, daß überdurchschnittliche Männer, herausragende Persönlichkeiten auf den meisten deutschen Bischofsstühlen fehlten.

Textausschnitt: IX. Die Mängel in der Persönlichkeitsstruktur

85a Das Versagen vieler Bischöfe in den stürmischen Zeiten des 16. Jahrhunderts legt die Fragen nahe, welche Eigenschaften des Charakters ihnen fehlten, so daß sie den Anforderungen nicht gewachsen waren, und welche Mängel in der Persönlichkeitsstruktur sie gleichsam disponierten, in der Erprobung zu unterliegen. Im folgenden soll versucht werden, sie zu beantworten. Es wird sich dabei zeigen, daß es sich hier um eine konsti-tutive Schwäche des katholischen Episkopats handelt. (Fs)

1. Die Durchschnittlichkeit

85b Die Höhe der Stellung und die Bedeutung der Aufgabe, die jemandem übertragen werden, sollen in einer angemessenen Relation zu Charakter, Begabung und Leistungsfähigkeit der Personen stehen, die damit betraut werden. Herausragende Positionen fordern überdurchschnittliche Persönlichkeiten, und außergewöhnliche Lagen verlangen außerordentliche Persönlichkeiten. Mittelmäßigkeit in führenden Positionen mag in ruhigen Zeiten hingenommen werden können; in Perioden des Sturmes und der Entscheidung wird sie zum Verhängnis. Durchschnittlichkeit ist gewiß keine Schuld, aber sie kann eine Katastrophe hervorrufen. Denn der durchschnittliche Mensch liebt es, dem Anspruch des lästigen Erstrangigen dadurch scheinbar zu entgehen, daß er sich mit bequemem Zweitrangigem beschäftigt. Das Unheil wächst dadurch unvorstellbar an. (Fs)

85c Nun hat die Kirche wohl noch nie Überfluß an gewaltigen oder wenigstens mitreißenden Persönlichkeiten gehabt. Aber für so herausragende und zahlenmäßig relativ eng begrenzte Stellen wie das Bischofsamt sollte es möglich sein, wenigstens in der einen oder in der anderen Hinsicht überlegene Kandidaten zu finden. Doch ist dies kaum jemals im Lauf der Kirchengeschichte der Fall gewesen. Auf den Bischofsstühlen aller Zeiten überwiegt das Mittelmaß. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist es sicher, daß überdurchschnittliche Männer, herausragende Persönlichkeiten auf den meisten deutschen Bischofsstühlen fehlten. Zu viele erwiesen sich als zu klein für die Größe ihres Amtes und ihrer Aufgabe. Sie betätigten sich auf Gebieten, die sich an Wichtigkeit mit der Aufgabe, den Glauben und die Kirche zu retten, nicht messen konnten, die ihnen aber lagen und sie nicht in Konflikte stürzten. Für Moriz Ritter gingen die wenigen energischen und eifrigen Bischöfe "unter der Masse der Mittelmäßigen oder Unfähigen" unter. Es war keiner da, der echte Schöpferkraft und die Begabung zur großen Tat besaß. "Eine der gewaltigen Aufgabe wirklich entsprechende geniale Kraft fehlte jedenfalls", stellt Joseph Lortz fest. Nach Theodor Wolters läßt sich "ein bedeutender Vertreter des geistlichen Fürstentums" während der sogenannten Reformationszeit "überhaupt nicht namhaft machen". Johannes Janssen bemerkt, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der deutsche Episkopat in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts "eine durchwegs sehr traurige Rolle gespielt" habe. Angesichts der geringen Zahl regierender Bischöfe, verglichen mit der Menge an Geistlichen, ist das Fehlen hervorragender Gestalten im deutschen Episkopat nicht ohne Mängel des Systems der Auswahl zu erklären. Allerdings soll nicht verkannt werden, daß die seltenen überdurchschnittlichen Persönlichkeiten auf Bischofsstühlen an Schranken ihres Wirkens stießen, die teilweise unüberwindbar waren. (Fs)

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