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Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Mangel an Eifer

Kurzinhalt: Der Eifer ging ihnen ab, weil es ihnen an Tiefe der Glaubensüberzeugung und an Willen zur Selbstaufopferung gebrach.

Textausschnitt: VIII. Fehler und Versäumnisse der Bischöfe

76c Bei aller gebührenden Berücksichtigung der äußeren und inneren Schwierigkeiten, die einer kraftvollen Regierung der Bischöfe im 16. Jahrhundert entgegenstanden, kann nicht übersehen werden, daß ein beträchtlicher Rest in der Bilanz von Tun und Unterlassen bleibt, der den Bischöfen zugerechnet werden muß. Kurz gesagt: Es besteht kein Zweifel, daß ein erheblicher Teil der deutschen Bischöfe des 16. Jahrhunderts ihrem Amt und den von der Zeit gestellten Aufgaben nicht gewachsen war. Ihre Unfähigkeit und ihre Pflichtvergessenheit zogen schlimme Folgen nach sich. Durch die Versäumnisse, Fehler und Laster der Oberhirten wurden Klerus und Volk wankend und unsicher. Georg Schwaiger sieht die Auflösungserscheinungen der katholischen Kirche im Deutschen Reich des 16. Jahrhunderts "wesentlich als Versagen der Bischöfe in der Stunde höchster Gefahr". Obwohl es einzelne tüchtige Bischöfe gegeben habe, hätten "die überragenden Führergestalten" und, von Ausnahmen abgesehen, "die großen religiösen Persönlichkeiten" gefehlt. Das Urteil über die Hilflosigkeit und die Nachlässigkeit der Bischöfe ist nicht eine nachträgliche Feststellung von Historikern; es wurde vielmehr von den eifrigsten und treuesten Zeitgenossen der Glaubensspaltung in völliger Einmütigkeit ausgesprochen. (Fs)

1. Der Mangel an Eifer

77a Vielen Bischöfen des 16. Jahrhunderts fehlte es an Regsamkeit und Glut, um Gottes und der Kirche Sache gebührend zu schützen und voranzubringen. Der Eifer ging ihnen ab, weil es ihnen an Tiefe der Glaubensüberzeugung und an Willen zur Selbstaufopferung gebrach. Wegen der Nachlässigkeit und der Saumseligkeit der Bischöfe wurden Initiativen unterlassen, Gelegenheiten versäumt, Mittel nicht angewandt, die der Erhaltung des wahren Glaubens gedient hätten. Es besteht kein Zweifel, daß an vielen Orten der neuen Lehre hätte Einhalt geboten werden können, wenn die Bischöfe die Pflichten ihres Amtes erfüllt hätten. Schon bei der Verkündigung der Bannbulle waren die meisten deutschen Bischöfe nachlässig. In der Folgezeit begingen sie eine Fülle von Versäumnissen. Bei wichtigsten Entscheidungen waren die Bischöfe nicht zur Stelle. Ihre Anwesenheit auf dem wichtigen Reichstag zu Speyer 1526 war beschämend gering. Auf dem Speyerer Reichstag von 1529 erschienen zahlreiche Bischöfe überhaupt nicht, andere verspätet. Manche Fürsten und Städte waren eifriger für die Erhaltung der katholischen Religion besorgt als viele Bischöfe. Fortwährend mußte der Nuntius Aleander sie drängen, ihre Pflicht zu tun. Die Domkapitel übertrafen häufig die Bischöfe an Aktivität für die Erhaltung des Glaubens. Auf der zur Abwehr der lutherischen Neuerung einberufenen Mainzer Versammlung kamen bezeichnenderweise nicht die Bischöfe selbst zusammen, sondern Mitglieder der Kathedralkapitel. (Fs)

77b Es hätte eine propagandistische Offensive größten Stiles gegen den Protestantismus einsetzen müssen. Die Städte und die Dörfer hätten mit Schriften und Bildern eingedeckt werden müssen, in denen die Haltlosigkeit, die Ungereimtheiten und die Schädlichkeit der Irrlehre durchschlagend und eingängig aufgezeigt wurden. Aber die meisten Bischöfe wußten die Macht und die Wirkung von Agitation und Propaganda nicht recht einzuschätzen. Der Massensuggestion, die von den Religionsneuerern ausging, standen sie hilflos gegenüber. Sie verkannten die Bedeutung, welche die Stimmung der Massen für die Erhaltung und für die Zerstörung der Religion besitzt, sie verfügten nicht über das Instrumentarium und schufen es nicht, mit dem sie hätten zündende Parolen in die Bevölkerung werfen können. Nur wenige Bischöfe trugen ernsthaft dafür Sorge, daß die Gläubigen durch Predigten und Schriften über die Verderblichkeit der Irrlehren aufgeklärt wurden. Verhältnismäßig spät und keineswegs überall wurden Druckereien eingerichtet, die katholische Schriften druckten. Es ist vielleicht ein typisch katholischer Fehler, das Feld der Beeinflussung der Öffentlichkeit und der Einwirkung auf die Menschen zu vernachlässigen. Von den Protestanten hätten die Katholiken lernen können, was Propaganda ist und vermag. Aber sie gingen bei diesen nicht in die Schule, beschränkten sich meist auf die Verteidigung, bereiteten ihre eigenen Aktionen publizistisch nicht oder nicht genügend vor und verstanden sich nicht auf die Kunst, das Unrecht der anderen Seite allgemein plausibel zu machen. (Fs)

78a Jahrzehntelang klagten die Männer, denen die Verteidigung und die Erneuerung der Kirche am Herzen lag, über mangelnden Eifer der Bischöfe. Johannes Cochläus bezeichnete in dem Gutachten zur Reform der Kirche, das er während seines Aufenthaltes in Rom 1523/4 verfaßte, die Bischöfe seiner Zeit als "schlaftrunkene Hirten". Johannes Eck schrieb am 17. September 1525 nach seiner großen Reise an Clemens VII., zu den von den Fürsten drohenden Gefahren trete die Trägheit und die Lauheit der Bischöfe (multorum Episcoporum segnities et tepiditas). Johannes Fabri bemerkte am 9. September 1525, die deutschen Bischöfe hätten in der Abwehr der lutherischen Irrlehre ihre Pflicht nicht getan (fuerunt profecto et sunt, ut veritatem libere loquar, Germaniae Episcopi satis in hac re negligentes). Der sächsische Dominikaner Petrus Sylvius stellte 1526 die Frage: "Sintemal nur wenige Prälaten die Verteidigung der Kirche zu Herzen nehmen, was kann ich oder meinesgleichen, mit Armut und Elend beschwert, dazu tun?" Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 klagte Herzog Georg von Sachsen über "die Wächter des Heiligtums", die zu schlafen schienen, während der Wolf in die Herde einbreche, und fragte, ob die Bischöfe denn nicht Gottes Gericht angesichts ihrer Nachlässigkeit fürchteten. Aleander bemerkte am 9. Oktober 1531, kaum jemand tue seine Pflicht, ein jeder suche nur seinen Vorteil und vernachlässige die Sache Christi. Im Jahre 1540 schrieb Eck an Kardinal Contarini von der ungeheuerlichen Nachlässigkeit der deutschen Bischöfe (supinam habent negligentiam in religionis causa). Das Kölner Provinzialkonzil von 1549 stellte mit Bezug auf die Unterlassung der Visitation fest: "Bisher haben die Bischöfe, was sich nicht bestreiten läßt, in tiefem Schlafe dahingelebt." Der Nuntius Delfino sah in seinem Schreiben vom 21. September 1556 den Glauben im Reich und vor allem in den österreichischen Erbländern in größter Gefahr. Als Gründe gab er die Notlage des Königs und die Lauheit fast aller Prälaten an (la tiepideza de quasi tutti li nostri prelati). Delfino stellte am 20. April 1561 erneut fest, bei den deutschen Bischöfen sei wenig Eifer im Dienste Gottes zu finden; der katholische Klerus füge der Kirche mehr Schaden zu als die offenen Häretiker. Petrus Canisius schrieb am 23. Juli 1567 an Commendone von den deutschen Bischöfen, daß sie schlüfen, statt für das Wohl ihrer Herde zu wachen (eos dormire magis quam gregi suo pas-cendo advigilare). "Selten visitieren die Bischöfe ihre Diözesen, noch seltener erreicht eine Visitation einen Nutzen. Dies kommt vor allem daher, daß sie nicht wissen, was zu verbessern und was anzuordnen ist, oder weil ihnen der nötige Eifer und die geistige Schwungkraft zur Erreichung des Notwendigen fehlt", bemerkte er im Sommer 1576. In vielen Diözesen ließen sich die Bischöfe so selten bei ihren Gläubigen sehen, daß der päpstliche Nuntius Ninguarda im Jahre 1577 bemerken konnte, es seien Greise vorhanden, die nicht wüßten, daß es eine Firmung gibt. Kardinal Ludwig Madruzzo schrieb am 15. März 1582 von der "üblichen Nachlässigkeit der Katholiken" (la ordinaria ne-gligenza di catholici). Minutio Minucci beklagte noch 1588 die "Kälte" (freddezza) vieler deutscher Bischöfe. Diesen Urteilen von Zeitgenossen über den mangelnden Eifer zahlreicher Bischöfe in der Erfüllung ihres Amtes ließen sich ebenso viele Feststellungen von Historikern an die Seite stellen. Richtig schreibt Edmund Aelschker: "Überhaupt fehlte es vielen Kirchenoberhäuptern an dem gehörigen Nachdrucke oder dem Verständnisse, die Bewegung einzudämmen, solange sie sich noch nicht zur reißenden Flut gestaltet hatte." Joseph Schmidlin sagt von den Diözesanbischöfen nach dem Konzil von Trient: "Die Bischöfe ... kamen größtenteils ihren kirchlichen Berufspflichten gar nicht oder lässig nach." Für die Zeit des Papstes Sixtus V. stellt Ludwig von Pastor fest, daß "nur einzelne Oberhirten" ihrer Verantwortung "völlig gerecht" wurden, während "nicht wenige andere" es nach wie vor "an dem nötigen Eifer fehlen" ließen. (Fs)

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