Autor: May, Georg Buch: Reformation und deutsche Bischöfe Titel: Reformation und deutsche Bischöfe Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Macht der Protestanten
Kurzinhalt: Die politische Lage und die militärische Kraft waren in diesem mit allen Mitteln durchgefochtenen Kampf in weitem Ausmaß für Erfolg oder Mißerfolg sowohl der Glaubensneuerung als auch der Gegenmaßnahmen ausschlaggebend.
Textausschnitt: 4. Die Macht der Protestanten
69c War ein Bischof in den unangefochtenen Besitz seines Amtes gelangt, konnte er nicht ohne weiteres anordnen und durchführen, was ihm notwendig und nützlich erschien, um die heilige Religion zu erhalten und zu fördern; er mußte sich vielmehr fragen, welche Macht ihm zur Verfügung stand. Die politische Lage und die militärische Kraft waren in diesem mit allen Mitteln durchgefochtenen Kampf in weitem Ausmaß für Erfolg oder Mißerfolg sowohl der Glaubensneuerung als auch der Gegenmaßnahmen ausschlaggebend. Zahlreiche Fürsten, Herren und Reichsstädte fielen früh zum Protestantismus ab. Unter den protestantisch gewordenen Gebieten waren so mächtige Territorien wie Sachsen und Brandenburg. Die Lutheraner verfügten über Männer, die an Listigkeit, Rücksichtslosigkeit, Skrupellosigkeit und Sittenlosigkeit ihresgleichen suchten. An erster Stelle sind hier die sächsischen Kurfürsten Friedrich, Johann und Johann Friedrich zu erwähnen. Ihre zugleich tückische und gewalttätige Haltung war ein mächtiges Hindernis für alle Versuche, das Unheil rechtzeitig abzuwenden oder anzuhalten. Man denke weiter an einen so würdigen Vertreter des neuen "Evangeliums" wie den Landgrafen von Hessen, Philipp, der nach menschlichem Urteil fast immer in der Todsünde lebte, oder an den Herzog bzw. Kurfürsten von Sachsen, Moritz, für den Treue und Wahrhaftigkeit Fremdworte waren. An ihre Seite ist Fürst Christian von Anhalt-Bernburg, ein Intrigant und Agitator, Verräter und Desperado ersten Ranges, zu rücken. Es sei schließlich auf Männer wie Albrecht Alcibiades, Markgraf von Kulmbach-Bayreuth, und Albrecht III., Graf von Mansfeld, verwiesen, die als grausame militärische Anführer überall Furcht und Schrecken verbreiteten. Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel war ihnen ebenbürtig; er trägt den Namen "der tolle Halberstädter", den ihm die Geschichte gegeben hat, zu Recht. Zu diesen und anderen Fürsten, die ihre Mittel für die neue Lehre einsetzten, traten zahlreiche Reichsstädte. Sie besaßen Menschen und Geld in gleicher Weise. Man denke an so bedeutende Gebilde wie Nürnberg, Augsburg und Ulm, Bremen, Hamburg und Lübeck. Die Macht der großen Reichsstädte, die entweder völlig protestantisiert worden waren oder in denen der Protestantismus herrschend geworden war, fiel schwer ins Gewicht. Ihre gewaltige Finanzkraft kam der Neuerung zugute. Die kleineren Herren und die Ritter endlich lieferten die Anführer der verwegenen Scharen, die nach Beute lüstern waren, Klöster einzogen, überfielen und ausplünderten, die Hochstifte erpreßten und auf ihre Art das "Evangelium" voranbrachten. Die Protestanten waren agil und entschlossen; viele von ihnen kannten weder rechtliche Schranken noch sittliche Bedenken. Was 1529 in Speyer geschah, war eine Rebellion; die neugläubigen Reichsstände zerbrachen hier die Einheit des Reiches und legten den Keim zum Religionskrieg. Der bald danach abgeschlossene Schmalkaldische Bund war zeitweilig infolge seiner inneren Geschlossenheit und seiner Zusammenfassung der reichsständischen Opposition gegen das Haus Habsburg die stärkste Macht in Deutschland. Daß auch ein mutiger und von seiner Sendung erfüllter Bischof mit diesen Kräften rechnen mußte, ist selbstverständlich. Auf dieser Erde sind nun einmal Macht und Gewalt regelmäßig stärker als die Wahrheit. Noch niemals hat eine Sache sich allein deswegen durchgesetzt, weil sie im Recht war. (Fs)
71a Viel hing für die Haltung, das Wirken und den Erfolg der Bischöfe von der Einstellung der Landesherren ab. Solange beispielsweise Männer wie Herzog Georg von Sachsen und Herzog Heinrich von Braunschweig lebten bzw. im Besitz ihres Landes waren, konnten sich die benachbarten Bischöfe auf sie verlassen und sich an sie anlehnen. Als sie aber starben bzw. ihr Land verloren, waren sie schutzlos dem Druck und Terror der Protestanten ausgeliefert. Ihr eigenes Land war regelmäßig zu klein, um ihnen die Machtmittel zu liefern, die für eine erfolgreiche Behauptung gegen die protestantischen Kräfte erforderlich waren. Mochten sie immerhin im Hochstift noch der Neuerung wehren, so stand ihnen außerhalb desselben in den Ländern, deren Herren zum Protestantismus abgefallen waren, der weltliche Arm nicht mehr zur Verfügung. Die Bischöfe waren aber bei Maßnahmen gegen Geistliche, die nicht ihrer Landeshoheit unterstanden, regelmäßig auf den guten Willen der Territorialherren angewiesen und konnten nur mit deren Hilfe etwas gegen sie ausrichten; fehlte sie ihnen, so waren ihre gutgemeinten Anordnungen und Entscheidungen zur Erfolglosigkeit verurteilt. Das Beispiel des Meißener Bischofs redet hier eine deutliche Sprache. Selbst im eigenen Lande blieb den Bischöfen angesichts ihrer Machtlosigkeit in manchen Fällen nichts anderes übrig, als gewisse Schäden hinzunehmen, um nicht durch allzu rasches und strenges Vorgehen die Lage zu verschlimmern. Die Anhänger der neuen Religion fanden regelmäßig Rückhalt im Ausland, bei den protestantisch gewordenen Fürsten, Herren und Städten. Wenn irgendwo gegen Protestanten vorgegangen wurde, dauerte es gewöhnlich nicht lange, bis sich protestantische Reichsstände mit Fürsprache, Mahnungen oder Drohungen einmischten. In zahlreichen Fällen erreichten diese Interventionen ihren Zweck zur Gänze oder teilweise; geplante Maßnahmen unterblieben, die verhängte Strafe wurde gemildert, die Vollstreckung von Strafen wurde aufgeschoben oder unterlassen. Mochte mancher Bischof aus Feigheit und Schwäche zurückweichen und nachgeben, so war doch in anderen Fällen die Macht der Verhältnisse stärker als der gute Wille. Kardinal Otto Truchseß von Waldburg schrieb jedenfalls in einem Gutachten, daß die Bischöfe viele Mißstände duldeten, sei nicht böser Wille, sondern die Not der Zeit binde ihnen die Hände. (Fs)
71b Auf katholischer Seite fehlte meist die überlegene Macht, um den Protestantismus zurückzuwerfen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts waren Ost-, Mittel- und Norddeutschland zwar nicht etwa lückenlos protestantisch, aber ganz überwiegend in den Händen protestantischer Fürsten und Städte. Nun besaßen ja die meisten Bischöfe auch ein weltliches Gebiet, über das sie als Fürsten, häufig sogar als Reichsfürsten herrschten. Mochte dieses Territorium auch in vielen Fällen klein sein, so gab es doch auch Hochstifte, die einen ansehnlichen Umfang besaßen; man denke an die Stifte Bremen, Münster, Trier, Würzburg und Salzburg. Es war aber gerade das Unglück, daß ein großer Teil der mächtigeren Hochstifte entweder sehr früh wegen Abfalls zum Protestantismus für die katholische Sache ausfiel, wie Bremen und Magdeburg, oder jahrzehntelang von Bischöfen regiert wurde, die als Versager oder Verräter zu gelten haben, wie Münster und Osnabrück. Die Macht der übrigen reichte entweder nicht aus, um den (häufig mit Frankreich konspirierenden) protestantischen Kräften mit Aussicht auf Erfolg zu begegnen, oder wurde nicht zielbewußt und risikobereit eingesetzt. Die Ämterkumulation, die der Heilige Stuhl richtig als Mittel zur Konzentration politischer Macht verwandte, wurde leider auch von protestantischer Seite betrieben. So kam es, daß in Norddeutschland jahrzehntelang und mehr als einmal mehrere Hochstifte in der Hand eines schwankenden oder abgefallenen Mannes vereinigt waren; ihre Kraft fehlte der katholischen Sache. Der Mangel an hinreichenden Mitteln ist in Rechnung zu stellen, wenn es darum geht, die Bischöfe des 16. Jahrhunderts zu beurteilen. (Fs)
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