Datenbank/Lektüre


Autor: May, Georg

Buch: Reformation und deutsche Bischöfe

Titel: Reformation und deutsche Bischöfe

Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Verantwortung der Päpste

Kurzinhalt: Fast alle Päpste der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren ihrem Amt nicht gewachsen und haben der Kirche schweren Schaden zugefügt.

Textausschnitt: VII. Die Hemmnisse erfolgreicher Abwehr der Irrlehre

65a Nachdem die Gründe namhaft gemacht wurden, die ohne Rücksicht auf das Verhalten der Bischöfe das Voranschreiten der Glaubensneuerung in Deutschland erklären, soll nunmehr der Blick auf die Bischöfe selbst gerichtet und gefragt werden, welchen Anteil ihr Tun oder Unterlassen an dem großen Abfall hatte. Dabei dürfen die Schwierigkeiten, mit denen die Oberhirten des 16. Jahrhunderts zu kämpfen hatten, nicht verkannt werden; sie waren groß und vielfältig. Es besteht kein Zweifel, daß auch die besten Bischöfe die Lawine, die Luther auslöste, nicht hätten aufhalten können. Dennoch waren Charakter und Verhalten der Diözesanoberhirten für den Gang der Entwicklung nicht unbeachtlich. Die Persönlichkeit und die Aktivität bzw. Passivität der Bischöfe war vielmehr für die Ausbreitung und die Festigung des Protestantismus in hohem Maße bestimmend. Zeitgenössische Beobachter, denen niemand Sachkenntnis und Willen zur gerechten Beurteilung absprechen kann, gaben der Überzeugung Ausdruck, daß die Hirten der Kirche zum erheblichen Teil ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. So nannte beispielsweise Johannes Eck die Schuld von Bischöfen und Papst an dem Erfolg der Religionsneuerung deutlich beim Namen. Herzog Georg von Sachsen sah sogar den Ursprung der Wirren in dem Versagen der meisten Bischöfe. (Fs)

1. Die Verantwortung der Päpste

65b Die Sache Luthers.war in Deutschland entstanden, aber sie zog die gesamte Kirche in Mitleidenschaft. Die Päpste als das sichtbare Oberhaupt der Kirche waren aufgerufen, dazu Stellung zu nehmen. Sie haben das in gewissem Umfang getan. Am 15. Juni 1520 erklärte Leo X. in der Bulle "Exsurge Domine" 41 Sätze Luthers als verworfen, ketzerisch und ärgerniserregend, verbot seine Schriften und forderte ihn innerhalb 60 Tagen zur Rückkehr zur Kirche auf. Die Bulle "Exsurge Domine" hatte indes bei aller Verdienstlichkeit ihre Schwächen; vor allem legte sie nicht fest, welche Sätze Luthers, die sie verurteilte, lediglich anstößig und welche häretisch waren. Am 3. Januar 1521 erließ Leo X. die Bulle "Decet Romanum Pontificem", in der Luther und seine Anhänger als der Exkommunikation verfallen erklärt und alle Bischöfe aufgefordert wurden, die Exkommunikation zu verkünden. Dem nachträglichen Betrachter fällt die Langsamkeit des Vorgehens auf. Von der Anzeige Luthers durch Erzbischof Albrecht von Mainz im Dezember 1517 bis zu der Bulle "Decet Romanum Pontificem" vom Januar 1521 brauchte der Apostolische Stuhl drei Jahre, um dem Wittenberger Irrlehrer den Prozeß zu machen. Die Römische Kurie hat dennoch die Gefährlichkeit dieses Gegners rascher erfaßt und mehr getan, um ihn unschädlich zu machen, als die meisten deutschen Bischöfe. (Fs)

66a Die Päpste ergriffen auch fernerhin eine Reihe von Maßnahmen, um des Abfalls Herr zu werden. Sie entsandten Nuntien nach Deutschland, unter denen viele bedeutende, ja hervorragende Männer waren. Ihr Anteil an der Erhaltung und an der Wiederaufrichtung der katholischen Religion ist beträchtlich. Große Verdienste um die Besserung von Mißständen und die Bekämpfung des religiösen Umsturzes erwarben sich sodann die von den Päpsten in Gang gesetzten Visitationen. Man braucht nur an den Namen von Felician Ninguarda zu erinnern, um den Segen dieser Prüfungsbesuche in den Blick zu bekommen. Der Apostolische Stuhl unterstützte weiter die katholische Sache im Reich mit Truppen und Subsidien, aber nicht in genügendem Maße und nicht immer. Die Päpste begriffen auch, daß eine außergewöhnliche Lage außergewöhnliche Mittel verlangte. So überwanden beispielsweise mehrere von ihnen, die als ausgesprochene Männer der Reform gelten müssen, ihre Abneigung gegen die Kumulation von Benefizien. Ein Bischof, der mehrere Bistümer in seiner Person vereinigte, vermochte nämlich die gesammelte Kraft dieser Stifte in das Spiel der politischen Mächte einzubringen. Pius V. gründete endlich am 23. Juli 1568 eine ständige Kardinalsdeputation zur Bekehrung der Häretiker jenseits der Alpen. Ende des Jahres 1572 rief Gregor XIII. die Congregatio Germanica ins Leben. In diesen Gremien widmeten sachkundige Männer den deutschen Angelegenheiten die gebührende Aufmerksamkeit. (Fs)

66b Dieser positiven Bilanz stehen beträchtliche Negativposten gegenüber. Fast alle Päpste der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren ihrem Amt nicht gewachsen und haben der Kirche schweren Schaden zugefügt. Die unglaubliche Pflichtvergessenheit der Päpste, von denen manche mehr an ihre Verwandten als an die Kirche dachten, war gleichzeitig ein schweres Hindernis für die katholische Erneuerung. So beförderte beispielsweise in Dezember 1534 Paul III. zwei seiner Enkel, die im Alter von 14 und 15 Jahren standen, zu Kardinalen. Julius III. war ein schwankendes Rohr und am meisten um seine Familie besorgt. Die Päpste waren lange Zeit nicht imstande oder nicht gewillt, den Bischöfen in ihren Diözesen die kraftvolle Jurisdiktionelle Stellung zu verschaffen, ohne die weder die Abwehr der Irrlehre noch die katholische Erneuerung wirksam betrieben werden konnte; vor allem die bischöfliche Position gegenüber dem Domkapitel und den klösterlichen Verbänden war schwach. Die reichen Privilegien der Bettelorden entzogen sie zu weitgehend der Jurisdiktion der Bischöfe. Lange Zeit entnervten die Päpste die kirchliche Disziplin durch fortwährende Ausnahmeregelungen. Sie waren nicht der Tatsache eingedenk, daß Dispensen dem Gesetz Wunden schlagen. Johannes Eck hat die laxe Dispenspraxis der Römischen Kurie scharf getadelt. Der Heilige Stuhl war schließlich zu nachsichtig gegenüber den Bischöfen. Er ließ es zu, daß sich die Administratoren von Bistümern lange Zeit nicht die Weihen erteilen ließen und ein dementsprechend ungeistliches Leben führten. Er gestattete, daß Bischöfe von der Residenzpflicht in ihren Diözesen befreit wurden. Der Heilige Stuhl hatte regelmäßig Geduld und Nachsicht, zu viel Geduld und zu viel Nachsicht mit den unbrauchbaren Bischöfen. Er ließ gewöhnlich lange Zeit hingehen, ehe überhaupt etwas gegen sie unternommen wurde, und was dann meist geschah, waren Mahnungen und Untersuchungen, nicht aber die erforderlichen Maßnahmen. Ein Mann wie der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau beispielsweise hätte niemals jahrzehntelang auf seinem Bischofsstuhl geduldet werden dürfen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Gründe, die das Stillhalten so manches Bischofs angesichts von Mißständen entschuldigen oder wenigstens erklären, auch für den Heiligen Stuhl galten. Mehr als einmal mußte der Papst einen unwürdigen Bischof in seinem Amte dulden, damit man ihn nicht bei scharfem Vorgehen den Protestanten in die Arme triebe. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt