Autor: May, Georg Buch: Reformation und deutsche Bischöfe Titel: Reformation und deutsche Bischöfe Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Appell an Geltungsdrang und Ressentiment
Kurzinhalt: Der Geltungsdrang wurde aber nicht nur beim Klerus und bei den Klosterleuten angesprochen, sondern auch bei den Laien.
Textausschnitt: 3. Der Appell an Geltungsdrang und Ressentiment
33a Kein geringerer als John Fisher sah im Ehrgeiz oder Geltungsdrang die entscheidende Triebkraft Luthers. Diese Beobachtung gilt auch für zahllose seiner Anhänger. Sehr wirksam für die Verbreitung der Wittenberger Lehre erwies sich der Appell an Ehrgeiz, Geltungsdrang und Ressentiment. Luther war schlau. Er wußte, wo er die Menschen packen konnte, welche Saiten bei ihnen leicht zum Klingen zu bringen sind und welche Argumente bei ihnen verfangen; er wußte, was "ankommt". Aus namenlosen Klerikern, die unter der Autorität von Bischöfen und Klosteroberen standen, wurden sie nun durch ihn zu Kritikern der Kirche, ihrer Lehren, Einrichtungen und Amtsträger, ihrer Übungen und Gebräuche, sowie zu (angeblich) selbständigen Auslegern der Schrift und Richtern des Glaubens. Diese Emanzipation und diese Erhöhung mußten den Geistlichen und den Ordensleuten schmeicheln. Eine Lehre, die ihnen solche Vorteile brachte, erschien ihnen anziehend und einnehmend. Der Geltungsdrang wurde aber nicht nur beim Klerus und bei den Klosterleuten angesprochen, sondern auch bei den Laien. Luther propagierte Freiheit und Gleichheit aller Getauften in religiösen Dingen. Jeder habe das Recht, sich seinen Glauben aus der Heiligen Schrift selbst zu erheben ohne Rücksicht auf eine menschliche Autorität. Niemand sei durch ein Gesetz in seinem Gewissen gebunden, wenn er es nicht für gut erachte. In der Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation" forderte er die Fürsten und die Adligen auf, sich der angeblichen Not und Beschwerung der Christenheit zu erbarmen und die "Besserung" der Kirche in die Hand zu nehmen. Damit gab er dem Adel die ideologische Waffe, um in den geistlichen Reichsfürsten die landesherrliche Gewalt zu bekämpfen. (Fs)
34a Zu Ehrgeiz und Geltungsdrang traten Unterlegenheitsgefühl und Groll, um dem neuen "Evangelium" den Weg zu bahnen. Schon vor dem Auftreten Luthers bestand aus verschiedenen Gründen ein gefährlicher Gegensatz zwischen Klerus und Laien. Die Überordnung der Geweihten über die Nichtgeweihten in der Kirche wurde von manchen bitter empfunden; man erinnere sich zum Verständnis nur der Lage in der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Erst recht kam die Unterordnung der (hochgestellten) Laien unter die Geistlichen viele schwer an. Die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit war mit manchen Demütigungen verbunden, die Traumata schufen. Vor allem gegen den Send bestand eine verbreitete Abneigung. Weiter erregte die wirtschaftliche Vorzugsstellung des Klerus den Neid der Konkurrenten in Handel und Gewerbe. Die Feindschaft gegen die Geistlichen in den großen Städten war im Wachsen. Es zeigten sich bedrohliche Symptome der Auflehnung gegen die geistliche und weltliche Gewalt der Bischöfe. Auch im Klerus selbst gab es starke Gegensätze, Groll und Verbitterung. Die ungleiche und teilweise ungerechte Verteilung der materiellen Subsistenzmittel auf die Angehörigen desselben wurde nicht von allen geistlich bewältigt. Der Vorbehalt der hohen Stellen (in Domkapiteln) und der Bischofsstühle für Angehörige des Adels wurmte manche Geistliche aus bürgerlichen oder bäuerlichen Verhältnissen. Die Nachlässigkeit und die Pflichtvergessenheit hoher Würdenträger empörten Priester, die für ein häufig karges Auskommen den geistlichen Dienst verrichteten. (Fs)
34b In die gereizte Atmosphäre warf der Wittenberger seine Parolen; er wußte, wo er die Menschen fassen mußte. Geschickt verstand es Luther, das Ressentiment der Nichtgeweihten gegen die Geweihten aufzustacheln, das allgemeine Priestertum gegen das besondere auszuspielen. Er beseitigte den Unterschied zwischen Geweihten und Nichtgeweihten, erklärte das besondere Priestertum für abgeschafft und entzog damit die Laien dem geistlichen Regiment. Es nimmt nicht wunder, daß diese neue Lehre den Menschen schmeichelte, ihnen Freiheit vorgaukelte und sie in ihrem Selbstbewußtsein stärkte. Die Kirchenverfassung, die hierarchische Ordnung, die sakramentale Weihe, der Unterschied zwischen Klerus und Laien wurden als schriftwidriges Menschenwerk und teuflischer Mißbrauch ausgegeben. Jeder einzelne sei ein Priester, und andere Priester als diese gebe es nicht. Jeder habe die Gewalt zu predigen. Die Prediger der neuen Lehre wurden nicht müde zu wiederholen, daß jeder einzelne berufen sei, die Heilige Schrift auszulegen, und daß es einem jeden zukomme, souverän in Sachen der christlichen Lehre zu richten. Der christlichen Gemeinde, also allen Gläubigen in gleicher Weise, sprach er das Recht zu, die Entscheidung zu fällen, ob ein Prediger die reine Lehre verkündet, und die Vollmacht, Lehrer des Wortes zu berufen. Auch mit der Forderung nach dem Laienkelch gelang es Luther vorzüglich, das Ressentiment in den Dienst seiner Sache zu stellen und emanzipatorische Gelüste wachzurufen. Unermüdlich machte er sich zum Anwalt des niederen Klerus gegen die höhergestellten Geistlichen, vor allem gegen die Hierarchie. Das Ressentiment gegen adelige Stifte und hochmütige Domkapitel war rasch geweckt. Kapläne und Vikare als Angehörige des geistlichen Proletariats traten als Sprecher der volkstümlichen Opposition gegen die bevorrechtete soziale Stellung der Geistlichkeit auf. Es nimmt nicht wunder, daß diese Lehren Luthers einen gewaltigen Nachhall und begeisterte Aufnahme fanden. (Fs)
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