Autor: May, Georg Buch: Reformation und deutsche Bischöfe Titel: Reformation und deutsche Bischöfe Stichwort: Reformation, deutsche Bischöfe - Hemmungen der Politik
Kurzinhalt: Die sogenannte Reformation war ebenso sehr eine politische wie religiöse Bewegung. Von Anfang an steckte sich Luther hinter die weltliche Gewalt, um Schutz und Förderung zu erlangen.
Textausschnitt: 5. Die Hemmungen der Politik
25a Die sogenannte Reformation war ebenso sehr eine politische wie religiöse Bewegung. Von Anfang an steckte sich Luther hinter die weltliche Gewalt, um Schutz und Förderung zu erlangen. Er schrieb schon am 21. März 1518 an Johann Lang, daß der Kurfürst von Sachsen seiner Lehre gewogen sei und nicht dulden werde, daß er zur Verantwortung nach Rom gezogen werde. So war es ihm leicht, "mutig" zu sein. Als Kardinal Kajetan den sächsischen Herrscher am 25. Oktober 1518 aufforderte, Luhter auszuliefern oder wenigstens auszuweisen, lehnte der Kurfürst beides ab. Die Bedeutung des Schutzes, den der Irrlehrer fand, kann nicht leicht überschätzt werden. "Was wäre aus Luther und der Reformation geworden, wenn Kursachsen nicht drei Herrscher gehabt hätte, die ihn nicht nur gewähren ließen, sondern ihn mit dem weltlichen Arm aufs stärkste unterstützten!" (Robert Stupperich). Die politischen Mächte in Deutschland förderten ganz überwiegend die protestantische Bewegung. Der Protestantismus hat seine rasche und rücksichtslose Ausbreitung zum erheblichen Teil den Fürsten, dem Adel und den Städten zu verdanken. Ihnen war jedes Mittel recht, wenn es darum ging, ihre Macht und ihren Einfluß auszudehnen. Vor allem bedienten sie sich des Hoch- und Landesverrats, um ihre Sache voranzubringen. Es darf ja nicht vergessen werden, daß der Protestantismus eine verfassungsfeindliche Bewegung war. Richtig bezeichnet Hermann Tüchle den Schmalkaldischen Bund als "geradezu revolutionäre Opposition gegen Kaiser und Reich". Das Recht wurde von den Protestanten mit Füßen getreten. Sie dachten beispielsweise nicht daran, sich an den Geistlichen Vorbehalt zu binden. Ihm zum Trotz wurden zahlreiche Stifter und Klöster in den Ländern protestantischer Fürsten aufgelöst. (Fs)
25b Der Werbekraft, die von den zeitlichen Gewinnen, irdischen Erleichterungen und fleischlichen Konzessionen ausging, welche der Protestantismus seinen Anhängern versprach, konnte und mußte politische und militärische Stärke entgegengesetzt werden. Aber dazu vermochten sich die katholischen Obrigkeiten lange Zeit nicht zu entschließen. Das Luthertum, der Zwinglianismus und der Kalvinismus waren bei ihrem Auftreten, rechtlich gesehen, in einer schlechten Situation. Denn sie fielen als Ketzereien, exorbitante Lehrabweichungen, verfassungsfeindliche Bestrebungen und Friedensstörungen unter strengste Verbote und Sanktionen des Reichsrechtes. Man brauchte sie nur konsequent gegen die Irrlehre einzusetzen, um sie zu unterdrücken. Aber das geschah aus mehreren Gründen nicht. Zu viele Katholiken hofften immer noch auf die Macht des Rechts, während doch die Neuerer das Prinzip der Gewalt aufgerichtet hatten. Ein Mann wie Kurfürst Friedrich von Sachsen warnte davor, gewaltsam gegen Luther vorzugehen, weil dies gefährliche Unruhen hervorrufen könnte, während in Wahrheit die allergefährlichste Unruhe durch das Auftreten und Gewährenlassen Luthers entstand. Indem man aus Furcht vor etwaigen schädlichen Auswirkungen eines energischen Eingreifens gegen Luther tatkräftige Maßnahmen immer wieder aufschob, verschlimmerte man die Lage stets mehr, weil man dem Agitator Gelegenheit zu weiterer Aufwiegelung bot. Aufgrund der schlauen Taktik Luthers, immer wieder friedliche Versicherungen und verharmlosende Erklärungen abzugeben, wurde die Entscheidung gegen ihn lange Zeit verschleppt und aufgeschoben. Es hätte den katholischen Reichsfürsten klar sein müssen, daß die Zeit für die Abfallbewegung arbeitete und daß deswegen rechtzeitig die eines Tages doch unerläßlichen Maßnahmen getroffen werden mußten. Johann Eck war in seinem Schreiben vom 13. März 1540 an Contarini richtig der Meinung, daß es am Anfang, nach der Disputation zu Leipzig, noch möglich gewesen wäre, den kleinen Funken zu ersticken. Eine gewisse Parallele zu dem Vorgehen Luthers, freilich in wesentlich verschiedenem Maßstab, bietet das Verhalten des Schweizer Theologen Hans Küng in der Gegenwart. Ebenso ist die Reaktion der kirchlichen Hierarchie gegen ihn zu vergleichen mit ihrer Haltung im 16. Jahrhundert. (Fs)
26a Die entscheidenden Reichstage wurden ihrer Aufgabe, das Reichsrecht und den Glauben zu schützen, nicht gerecht. Teilweise begünstigten sie sogar, ungewollt oder gewollt, die Religionsneuerung. Nach dem Recht der Kirche und des Reiches hätte der Exkommunikation Luthers ohne weiteres die Verhängung der Reichsacht folgen müssen. Aber die Reichsstände bewogen den Kaiser, die Sache Luthers auf dem Reichstag zu Worms selbst zu prüfen. Damit wurde ein verhängnisvoller Präzedenzfall geschaffen. Die sogenannte Reformation wurde als Angelegenheit der Reichsstände behandelt und fortan hin- und hergeschoben, bis das Ergebnis von Augsburg (1555) sie zur Gleichberechtigung mit der Kirche erhob. Daß, wie der Nürnberger Reichstagsabschied vom 6. März 1523 forderte, das Evangelium wahr, rein, lauter und heilig zu verkündigen sei, war eine Selbstverständlichkeit auch für Katholiken. Aber der Begriff des Evangeliums, den die Protestanten verwendeten, war eben nicht mehr derselbe. Sie konnten daher aus dem Reichstagsabschied einen Freibrief für die Protestantisierung ableiten. Der Nürnberger Reichstagsabschied vom 18. April 1524 sprach lediglich die Erwartung aus, daß die Stände dem Wormser Edikt "so viel ihnen möglich" Gehorsam leisten sollten. Durch diese Formulierung wurde jede Sabotierung des Ediktes schon von vornherein sanktioniert. Auf dem Reichstag zu Speyer 1526 wurde beschlossen, die Reichsstände sollten sich in der Frage der Religion so verhalten, "wie ein jeder solches vor Gott und kaiserlicher Majestät hoffet und trauet zu verantworten". Die Protestanten verstanden diesen Beschluß dahin, daß das Reich die Regelung der Religionsangelegenheiten den Ständen überlasse. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 zeigte es sich, daß die Verhältnisse stärker waren als die Absicht des Kaisers, die religiösen Wirren durch seine Vermittlung beizulegen. Aber die notwendigen Folgerungen wurden aus dieser Erkenntnis nicht gezogen. Die Politik des Lavierens dauerte an. Am 8. Juli 1531 befahl der Kaiser dem Reichsfiskal, bis zum nächsten Reichstag keinen Prozeß wegen der Religion einzuleiten. Der Frankfurter Anstand von 1539 sah den Zusammentritt einer Kommission von katholischen und protestantischen Theologen und Laien vor, um eine "löbliche christliche Vereinigung" zustande zu bringen. Dabei mußte jedem, der halbwegs unterrichtet war, klar sein, daß die bestehenden Gegensätze durch kein Gespräch mehr beseitigt werden konnten. Aber die Protestantisierung ging, durch den erneuten Aufschub der Entscheidung gedeckt, weiter. (Fs)
27a Ein militärisches Vorgehen gegen Luther, seinen Anhang und seine Beschützer wäre rechtlich zulässig, ja geboten gewesen. Die sogenannte Reformation war Unrecht nach göttlichem und menschlichem Recht, und nur durch Rechtswidrigkeiten ohne Maß und Zahl konnte sie sich durchsetzen. Die ungeheure Menge der Rechtsbrüche und der Gewaltakte, deren sich die Neuerer schuldig gemacht hatten, ermächtigte nach Reichsrecht den Kaiser, mit der Waffe das zertretene Recht wiederherzustellen. Vor allem mit dem Kurfürsten von Sachsen und dem Landgrafen von Hessen als den Hauptstützen der protestantischen Bewegung hätte von vornherein ganz anders verfahren werden müssen; ihre Rechtsbrüche hätten viel früher mit der Gewalt der Waffen geahndet werden müssen. Aber niemals ist die Reichsgewalt gegen den sächsischen Kurfürsten Friedrich eingeschritten, der ja den Herd des Abfalls schützte. Hätte man rechtzeitig Philipp von Hessen und Friedrich von Sachsen niedergeworfen, dann hätte auch eine ansehnliche Landmasse zur Verfügung gestanden, die an zuverlässige Reichsstände hätte aufgeteilt werden können. Die treuen und entschiedenen Fürsten hätten durch Vergrößerung ihrer Gebiete auf Kosten der protestantischen Landesherren gestärkt werden müssen. So hätte etwa die Macht des Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel vermehrt werden müssen, und so hätte den bayerischen Herzögen viel früher, als es wirklich geschah, territorialer Gewinn ermöglicht werden müssen. Kurfürst Joachim von Brandenburg und Herzog Georg von Sachsen erkannten, daß Warten, gutes Zureden und Disputationen gegenüber den Neugläubigen sinnlos waren und daß allein die rasche Anwendung der bestehenden Gesetze Abhilfe schaffen konnte. Allerdings gingen auch sie nicht daran, den Herd der Rebellion auszuräumen und in einer Zangenbewegung die Ordnung wiederherzustellen. (Fs)
27b So mancher Beobachter und Beteiligter der ungeheuerlichen Ereignisse der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erkannte, daß dem gebeugten Recht durch die Macht aufgeholfen werden müsse. Nikolaus Ellenbog sah in seinen Schreiben vom 25. Juli 1529 und 11. Juli 1531 die Anwendung von Waffengewalt als unerläßlich an. Campeggio erklärte oft, z. B. am 24. Juni 1531, daß die Waffen sprechen müßten. Er wies den Kaiser darauf hin, daß ihn die geistlichen Fürsten dabei unterstützen würden, denn es sei besser, die Kirchengüter für die Beseitigung der Häresie zu verwenden als sie in die Hände der Lutheraner fallen zu lassen. Cochläus empfahl in seiner Ausarbeitung vom 17. Juni 1540 die Anwendung der Reichsgesetze gegen die Rebellen, wie es Rom 13 vorgesehen sei, notfalls mit Waffengewalt, die nicht wegen des Evangeliums, sondern wegen Rechtsverletzungen gebraucht würde. Was Tatkraft und Konsequenz vermochten, das zeigte später Maximilian I. von Bayern in der Donauwörther Streitsache. (Fs)
28a Der Kaiser war durch die Verwicklungen der europäischen Politik schwer beeinträchtigt. Die ständigen außenpolitischen Verwicklungen hinderten ihn daran, seine Macht zur Bekämpfung der Irrlehre einzusetzen. Karl V. war zudem ein kranker Mann. Die Gicht suchte ihn mit starken Schmerzen heim. In seinen Erinnerungen berichtet er von 17, oft langwährenden Anfällen dieser Krankheit. Neun Jahre lang, von 1521 bis 1530, war der Kaiser schließlich vom Deutschen Reich abwesend. Das Reichsregiment war schwach. Während der Abwesenheit des Kaisers konnte sich die Irrlehre in wichtigen Territorien etablieren. Im Osten drückten die Türken auf das Reich, im Westen die Franzosen. Die Protestanten standen in Verbindung mit allen Feinden des Kaisers, ob es sich um Frankreich, die Türken oder die Republik Venedig handelte. So propagierte beispielsweise Georg Erasmus Tschernembl, der Führer der Protestanten in Oberösterreich, wiederholt das Bündnis mit den Türken gegen die Katholiken. Das Verhalten der Protestanten kann nicht anders als schamlose Erpressung bezeichnet werden. Der Kaiser vermochte den Kampf gegen die Türken regelmäßig nicht allein mit den Kräften seiner Hausmacht zu führen; er bedurfte der Hilfe des Reiches, mithin auch der protestantischen Reichsstände. Diese aber ließen sich ihre pflichtmäßige Unterstützung durch Zugeständnisse teuer bezahlen. So erkaufte der Kaiser 1532 die Unterstützung der Protestanten durch die Konzessionen des sogenannten Nürnberger Religionsfriedens. So paradox es klingt, so wahr ist es: Der deutsche Protestantismus hat niemandem mehr zu verdanken als den Türken. Das Wort ging um: "Der Türk ist der Lutherischen Glück." "Die Belastung mit der Grenzwacht gegen die Türken ist seit dem Beginn der Reformation das Haupthindernis gewesen, das einem energischen Kampf des Kaisertums gegen den deutschen Protestantismus im Wege gestanden hat" (Arnold Oskar Meyer). Das protestantische Lexikon "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" räumt ein, daß die Angriffe der Türken "von entscheidender Bedeutung für die Ausbreitung der Reformation in Deutschland" wurden (F. Taeschner). (Fs)
28b Außerordentlich schwer wiegt auf der Waage der Geschichte das Verhalten der französischen Könige angesichts der Glaubensspaltung in Deutschland. Die Herrscher Frankreichs im 16. Jahrhundert haben ihre Pflichten gegenüber der katholischen Religion schlecht erfüllt. Anstatt sich mit den katholischen Fürsten zur Verteidigung der Kirche zusammenzutun, verbanden sie sich mit den Protestanten. Während der Kaiser die Einheit der Kirche zu retten bemüht war, fielen sie ihm in den Rücken, paktierten mit seinen Feinden im Reich und hetzten die Türken gegen ihn auf. Überall, wo Widerstand gegen Kaiser und Reich aufflammte, waren Emissäre des französischen Königs mit Geld und Versprechungen zur Stelle. Fünf Kriege mußte Karl V. gegen Frankreich führen. Um gegen diese Macht die Hände frei zu bekommen, mußte er sich immer wieder den Protestanten beugen und ihnen den erwünschten Zeitgewinn lassen. Unter seinen Nachfolgern Ferdinand II. und Philipp II. (von Spanien) war es nicht anders. Als beispielsweise die spanische Armee daran war, den Aufstand der Niederlande in den Griff zu bekommen, trat in Frankreich der protestantische Heinrich IV. die Regierung an, und Philipp II. mußte seine Truppen nach Süden richten. (Fs)
29a Der Kaiser war häufig schwerfällig und ermangelte auch der Härte, die jene Zeit verlangt hätte. Die nach dem Sieg des Jahres 1531 bestehende Chance, die Schweiz für den katholischen Glauben zurückzugewinnen, wurde nicht genutzt. Alle Bemühungen Campeggios waren nicht imstande, den Kaiser zur Unterstützung der katholischen Kantone zu bewegen. Ebensowenig wurde 1547/48, nach dem Sieg über die Schmalkal-ener, reiner Tisch gemacht. Karl V. verstand es vielfach nicht, klare und dauerhafte Lösungen zu schaffen, eine Sache wirklich zu Ende zu führen und Gefahrenherde für immer auszuräumen. In seiner Anständigkeit war er so skrupellosen Naturen wie Philipp von Hessen und Moritz von Sachsen nicht gewachsen. Karl V. hat während der ganzen Zeit seiner Regierung daran geglaubt und sich darum bemüht, daß durch Gespräche und Formulierungen ein Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten gefunden würde. (Fs)
29b Freilich haben auch viele andere Fürsten versagt. Der polnische König beispielsweise hätte die Macht besessen, in Preußen aufzuräumen. Er zog es vor, sich das Land von dem abgefallenen Hochmeister unterstellen zu lassen. Zu Beginn des Aufstandes in Böhmen (1618) besoldete Fürst Karl Emanuel von Savoyen das Heer des Söldnerführers Ernst von Mansfeld, das gegen den Kaiser zog. Lange Zeit bereitete den deutschen Fürsten, auch den katholischen, die wachsende Macht des Hauses Habsburg Sorge, und diese lähmte bei manchen den Willen zum Zusammenschluß und zu entschiedenem Vorgehen gegen die neugläubigen Kollegen. Selbst die bayerischen Herzöge taten wegen ihrer Eifersucht gegen das Haus Habsburg dem Kampf gegen die Irrlehre im Reich jahrelang schweren Eintrag. In einem entscheidenden Augenblick, als Herzog Heinrich von Braunschweig, aus seinem Lande vertrieben, in Bayern Hilfe suchte (1542), versagte sich Herzog Wilhelm der Bitte; die antikaiserliche Komponente der bayerischen Politik war damals stärker als die antilutherische. Es gab auch auf katholischer Seite Leute, die das unentbehrliche Bündnis mit Spanien nicht gern sahen oder ihm sogar entgegenarbeiteten; sie ließen sich lieber von einer deutschsprachigen Soldateska berauben als von spanischen Söldnern ausplündern. (Fs)
29c Auch die Politik der Päpste war nicht stets zuoberst auf die Überwindung des Protestantismus gerichtet. Andere Ziele und Interessen schoben sich gelegentlich in den Vordergrund. Vor allem Paul III. hat mit seiner Begünstigung des französischen Königs und seiner mangelnden Unterstützung Karls V. schwere Schuld auf sich geladen. Aus politischen Erwägungen fügte er der Sache der Kirche größten Schaden zu. Seine Familienpolitik war ein Verhängnis. (Fs)
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