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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Jesus von Nazareth 1

Titel: Jesus von Nazareth

Stichwort: Seligpreisung 6; Selig, die reinen Herzens sind

Kurzinhalt: "Wenn du aber ... sagst: Zeige mir deinen Gott!, so möchte ich dir sagen: Zeige mir den Menschen in dir ... "

Textausschnitt: 123a Es bleibt noch der Makarismus "Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen" (Mt 5,8). Das Organ, mit dem man Gott sehen kann, ist das Herz: Der bloße Verstand genügt nicht; damit der Mensch wahrnehmungsfähig werde für Gott, müssen die Kräfte seiner Existenz zusammenwirken. Der Wille muss rein sein, und schon vorher der affektive Grund der Seele, der Verstand und Willen die Richtung vorgibt. Mit "Herz" ist gerade dieses innere Zusammenspiel der Wahrnehmungskräfte des Menschen gemeint, bei dem auch das rechte Ineinander von Leib und Seele mit im Spiel ist, das zur Ganzheit dieses Geschöpfes "Mensch" gehört. Die affektive Grundgestimmtheit des Menschen hängt gerade auch von dieser Einheit von Seele und Leib ab und davon, dass der Mensch sein Leibsein und sein Geistsein zusammen annimmt; den Leib in die Zucht des Geistes stellt, aber dabei nicht Verstand oder Willen isoliert, sondern sich selbst von Gott her annimmt und so auch die Leibhaftigkeit seiner Existenz als Reichtum für den Geist erkennt und lebt. Das Herz - die Ganzheit des Menschen - muss rein sein, inwendig offen und frei, damit der Mensch Gott sehen kann. Theophil von Antiochien (+ um 180) hat das im Disput mit fragenden Menschen einmal so ausgedrückt: "Wenn du aber ... sagst: Zeige mir deinen Gott!, so möchte ich dir sagen: Zeige mir den Menschen in dir ... Gott wird nämlich von denen gesehen, die im Stande sind, ihn zu sehen, wenn sie nämlich die Augen ihres Geistes offen haben ... Der Mensch muss eine Seele haben, so rein wie ein blankpolierter Metallspiegel ..." (Ad Autolycum I 2,7). (Fs) (notabene)

124a So entsteht die Frage: Wie wird das innere Auge des Menschen rein? Wie kann der Star gelöst werden, der seinen Blick trübt oder schließlich ganz erblinden lässt? Die mystische Tradition vom aufsteigenden "Weg der Reinigung" hin zur "Einung" hat auf diese Frage Antwort zu geben versucht. Die Seligpreisungen müssen wir aber zuallererst im biblischen Kontext lesen. Da treffen wir das Thema vor allem im Psalm 24 an, der Ausdruck einer alten Tor-Liturgie ist: "Wer darf hinaufsteigen zum Berg des Herrn, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz, der nicht betrügt und keinen Meineid schwört" (v. 3f). Vor dem Tor des Tempels entsteht die Frage, wer dort in der Nähe des lebendigen Gottes stehen darf: "Reine Hände und ein lauteres Herz" sind die Bedingung. (Fs)

125a Der Psalm erklärt den Inhalt dieser Bedingung für den Zutritt zur Wohnstätte Gottes auf mehrfache Weise. Eine unerlässliche Voraussetzung ist es, dass Menschen, die zu Gott eintreten wollen, nach ihm fragen, sein Antlitz suchen (v. 6): Als Grundbedingung erscheint so wieder dieselbe Haltung, die wir vorhin in den Stichworten "Hunger und Durst nach Gerechtigkeit" beschrieben fanden. Das Fragen nach Gott, das Suchen nach seinem Gesicht - das ist die erste und grundlegende Bedingung für den Aufstieg, der in die Begegnung mit Gott führt. Vorher aber schon wird als Inhalt der reinen Hände und des lauteren Herzens angegeben, dass der Mensch nicht betrügt und keinen Meineid schwört: also die Redlichkeit, die Wahrhaftigkeit, die Gerechtigkeit dem Mitmenschen und der Gemeinschaft gegenüber - das, was wir das soziale Ethos nennen könnten, das aber wirklich bis in den Herzensgrund hinunterreicht. (Fs)

125b Psalm 15 führt das noch weiter aus, so dass man sagen kann, dass einfach der wesentliche Inhalt des Dekalogs die Einlassbedingung zu Gott ist - mit der Betonung der inneren Suche nach Gott, des Unterwegsseins zu ihm (erste Tafel), und der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit zum Einzelnen und zur Gemeinschaft (zweite Tafel). Es sind gar keine spezifisch auf der Offenbarungserkenntnis beruhenden Bedingungen genannt, sondern das "Fragen nach Gott" und die Grundweisen der Gerechtigkeit, die ein waches - eben durch die Suche nach Gott wachgerütteltes - Gewissen einem jeden sagt. Was wir vorhin über die Heilsfrage bedachten, bestätigt sich hier noch einmal. (Fs)

125c Aber im Mund Jesu erreicht das Wort doch eine neue Tiefe. Das Wesen seiner Gestalt ist es eben, dass er Gott sieht, dass er Aug' in Auge mit ihm steht, im immerwährenden inneren Austausch mit ihm - dass er in der Sohnesexistenz lebt. So ist dies ein zutiefst christologisches Wort. Gott sehen werden wir, wenn wir in die "Gesinnungen Christi" eintreten (Phil 2,5). Die Reinigung des Herzens erfolgt in der Nachfolge Christi, im Einswerden mit ihm. "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir ..." (Gal 2,20). Und hier erscheint nun etwas Neues: Der Aufstieg zu Gott ereignet sich gerade im Abstieg des demütigen Dienens, im Abstieg der Liebe, die das Wesen Gottes ist und daher die wahrhaft reinigende Kraft, die den Menschen fähig macht, Gott wahrzunehmen und ihn zu sehen. In Jesus Christus hat Gott sich selbst im Absteigen offenbart: "Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich ... Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alles erhöht ..." (Phil 2,6-9). (Fs)

126a Diese Worte markieren eine entscheidende Wende in der Geschichte der Mystik. Sie zeigen das Neue der christlichen Mystik an, das aus der Neuheit der Offenbarung in Jesus Christus kommt. Gott steigt ab, bis zum Tod am Kreuz. Und gerade so offenbart er sich in seiner wahren Göttlichkeit. Der Aufstieg zu Gott geschieht im Mitgehen bei diesem Abstieg. Die Tor-Liturgie von Psalm 24 erhält so eine neue Bedeutung: Das reine Herz ist das liebende Herz, das sich in die Gemeinschaft des Dienens und des Gehorsams mit Jesus Christus begibt. Die Liebe ist das Feuer, das Verstand, Willen, Gefühl reinigt und einigt, den Menschen eins mit sich selbst macht, indem es ihn eins macht von Gott her, so dass er Diener der Vereinigung der Getrennten wird: So betritt der Mensch die Wohnstätte Gottes und kann ihn sehen. Und eben das heißt: selig sein. (Fs)

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