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Autor: Lotz, Johannes B.

Buch: Transzendentale Erfahrung

Titel: Transzendentale Erfahrung

Stichwort: Gutheit; Wollen und Erfahrung; Streben - Gefallen;

Kurzinhalt: Damit bestätigt sich die Einheit von Gefallen und Streben innerhalb des Wollens als desselben Vermögens; denn das Verlegen des Gefallens oder Fühlens in eine dritte dem Erkennen und Wollen gleichgeordnete Intentionalität zerstört ...

Textausschnitt: Das Wollen und die Erfahrung:

250/VI Unsere zusammenfassenden Andeutungen über die innere Struktur oder die Viel-Einheit des Wollens tragen wesentlich zum Erhellen der metaphysischen Erfahrung bei. Die Einheit des Wollens ist mit dessen Grundakt, nämlich mit dem Lieben gegeben, als dessen Abschattungen alle die verschiedenen Vollzüge innerhalb dieses Bereiches zu verstehen sind. Was die Vielheit betrifft, so heben sich namentlich das Streben und das Gefallen voneinander ab, wobei sich aber beide wieder als Abwandlungen des einen Liebens durchdringen; im Streben geschieht das Lieben als Bewegung oder als Werden, im Gefallen hingegen als Ruhen oder als Sein; zugleich geschieht das Streben als fortschreitend sich entfaltendes Gefallen, das Gefallen aber als anfangendes oder in seine Vollendung eingetretenes Streben. (214; Fs)

251/VI In eins damit ist das Streben vorwiegend aktiv, indem es nach dem Guten ausgreift und es schließlich ergreift, während das Gefallen vorwiegend passiv ist, insofern es vom Guten angezogen, mitgerissen und überwältigt wird. Zugleich umschließt die Aktivität des Strebens stets Passivität, da es ja deshalb nach dem Guten ausgreift, weil es von ihm angezogen wird; ebenso ist die Passivität des Gefallens von Aktivität durchzogen, da es sich ja dem Guten öffnet und hingibt. (214; Fs)

252/VI Vermöge seiner Passivität nähert sich das Gefallen dem Erkennen, das Streben hingegen ist wegen seiner Aktivität im ausgesprochensten Sinne des Wortes Wollen, weshalb auch oft der 'appetitus' darauf eingeschränkt wird. Dementsprechend überwiegt beim Gefallen das Spüren oder Fühlen, beim Streben jedoch das Realisieren als tätige Hingabe an das Wirkliche oder Seiende. Zugleich ist im Realisieren notwendig das Spüren oder Fühlen am Werke, wodurch jenes ein ihm eigenes Teilnehmen am Erkennen nicht einbüßt; ebenso trägt das Spüren oder Fühlen immer das Realisieren in sich, weshalb ihm das Besondere des Wollens nicht abgeht und es nicht in das bloße Erkennen zurückfällt. (215; Fs) (notabene)

253/VI Welches Ergebnis dürfen wir für das metaphysische Erfahren buchen? Das realisierende Spüren des Fühlens und das spürende Realisieren des Wollens vollziehen je in ihrer Akzentuierung die Einigung zwischen dem Liebenden und dem Geliebten, die an Tiefgang diejenige zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten übertrifft. Während nämlich der Erkennende an sich das Erkannte unbeteiligt registriert, wendet sich der Liebende dem Geliebten beteiligt zu, indem er dieses umfaßt und darauf eingeht und es damit so an-wesen läßt, daß seine Wirklichkeit voll aufleuchtet. Hierin liegt jenes intensive Hinnehmen des vorgegebenen Wirklichen, zu dem sich allein das Lieben zu erheben vermag und das ein Erfahren von besonderer Leuchtkraft darstellt. (215; Fs) (notabene)

254/VI In dem Maße, wie dieses liebende Erfahren auf das erkennende Erfahren zurückwirkt, wird auch dieses von der Beteiligung befruchtet, wodurch es aus der objektiven Wahrheit in die subjektive Wahrheit im Sinne Kierkegaards hineinwächst. Insofern übrigens das Erkennen nach dem oben Gesagten wesentlich einen Ansatz des Strebens enthält, ist das erkennende Erfahren immer schon von einem Ansatz des liebenden Erfahrens getragen, ohne den es, wie unsere Bemerkungen zur Denkgeschichte zeigen, leicht aus dem Erfahren herausfällt. (215; Fs)

255/VI Was die Zwei-Einheit von Fühlen und Wollen betrifft, so wird im Erfahren als dem Hinnehmen von Wirklichem durch das realisierende Spüren das Hinnehmen, durch das spürende Realisieren aber das Wirkliche akzentuiert; doch zeigen unsere Formulierungen zugleich, wie in jedem der beiden Pole der andere enthalten ist und wie die Trennung vom andern jeden der beiden Pole verflüchtigt und sogar vernichtet. Dabei muß die Spannung der beiden Pole gewahrt werden, weil sich in ihr die Dynamik unseres menschlich-endlichen Willenslebens ausprägt. (215; Fs)

256/VI Das anfängliche Gefallen allein führt nicht zu einem voll entfalteten Menschentum; das End-Gefallen allein besagt eine übermenschliche Vollendung; und das Streben allein wäre ohne auslösenden Anstoß und ohne anziehendes Ziel. Daher kommt die Dynamik des menschlichen Willenslebens einzig dadurch zustande, daß die eben genannten drei Stufen seiner Entfaltung ineinanderspielen. Diese Dynamik ist entscheidend für das Erfahren, insofern es seine metaphysische Dimension gewinnt, weil gerade die Dynamik das Erfahren über alle vorläufigen Erfüllungen hinaus- und zur letzten Erfüllung hintreibt. - (215f; Fs) (notabene)

257/VI Damit bestätigt sich die Einheit von Gefallen und Streben innerhalb des Wollens als desselben Vermögens; denn das Verlegen des Gefallens oder Fühlens in eine dritte dem Erkennen und Wollen gleichgeordnete Intentionalität zerstört die innere Dynamik des Wollens und folglich auch des Erkennens, das ja gerade vermöge des ihm eigenen Anteils an der Dynamik des Wollens sich zur reinen Identität hinbewegt. (216; Fs)

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