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Autor: Lotz, Johannes B.

Buch: Transzendentale Erfahrung

Titel: Transzendentale Erfahrung

Stichwort: Gutheit; Wille, Innere Struktur des Wollens; Zusammenspiel: Streben, Wollen - Gefühle; complacentia, fruitio; Ruhe - Bewegung : intellectus - ratio : Erstreben des Zieles - Wahl der Mittel

Kurzinhalt: Damit zusammen wirkt die Grundeinsicht des Aquinaten, daß Ruhen und Sich-bewegen bezüglich desselben Gehaltes nicht auf verschiedene, sondern auf ein und dasselbe Vermögen zurückzuführen sind1. Das gilt beim Erkennen in Hinsicht ...

Textausschnitt: Innere Struktur des Wollens:

241/VI Zur eindeutigen Bestimmung des mit Wollen oder Streben bezeichneten Bereiches ist im Auge zu behalten, daß es nach dem Aquinaten nur zwei Tätigkeiten des geistigen Lebens gibt (solum duae)1, während man heute gewöhnlich drei Tätigkeiten annimmt, indem man neben dem Erkennen und dem Wollen das Fühlen als eigene Weise des Wirkens aufführt2. Im Gegensatz dazu vertritt Thomas eine umfassendere Sicht des Wollens (appetitus), derzufolge dieses auch das Fühlen umgreift oder das Streben zusammen mit dem Gefallen oder Ruhen demselben Wirkvermögen angehört3. Dessen Grundakt ist das Lieben, das der eine Ursprung und die gemeinsame Wurzel aller anderen hierher gehörenden Verhaltensweisen ist4. (211; Fs)

242/VI Was Lieben heißt, beschreibt der Aquinate als 'affici ad aliquid', dem ein 'afficiens' oder 'conveniens' als der zugeordnete Gehalt entspricht5; das, was einem zukömmlich ist, wird für ihn zu einem ihn Bewegenden oder Ergreifenden, manchmal Überwältigenden, dem er nicht kalt registrierend oder unbeteiligt gegenüberstehen kann, das vielmehr seine Beteiligung weckt, ihn bewegt und mitreißt, dem er sich hingibt und für das er sich einsetzt. Daraus aber, daß wir etwas auf diese Weise lieben, entspringen die anderen Akte des 'appetitus'; weil wir etwas lieben, verlangen wir danach, wenn es uns entzogen ist, freuen wir uns daran, sobald es uns gewährt wird, sind wir traurig, wenn Hindernisse dazwischentreten, hassen wir das, was uns vom Geliebten trennt, und entbrennen wir gegen solches in Zorn6. Demnach gehört die ganze Schwingungsbreite und Vielfältigkeit der Affekte oder des Fühlens von der Liebe her in den 'appetitus' hinein. (211f; Fs)

243/VI Das Zusammenspiel zwischen dem Streben oder Wollen und dem Fühlen oder den Affekten wird vom Aquinaten noch genauer bestimmt. Obwohl der Name 'appetitus' zunächst vom Erstreben des Nicht-Erreichten (petere ad) genommen wird, so umfaßt doch das damit bezeichnete Vermögen vieles andere7. Im einzelnen zeichnen sich drei Grundvollzüge ab, die sich als Entfaltungsstufen desselben zueinander verhalten. Zunächst erwacht im Liebenden ein gewisses Gefallen am Geliebten (complacentia) oder eine aufkeimende Liebe zu ihm (amor); daraus erwächst die Bewegung des Liebenden zum Geliebten hin, die durch das Verlangen (desiderium) zum wirklichen Ergreifen des Geliebten hinstrebt (appetibile realiter consequendum); schließlich ist die Frucht der Vereinigung des Liebenden mit dem Geliebten die ruhevolle Freude (quies, gaudium)8. (212; Fs)

244/VI Das hier mit wenigen Strichen Umrissene wird an anderen Stellen eingehender ausgelegt. Das anfängliche Gefallen oder Lieben wird als die erste Hinnneigung zum Erreichen des Guten bezeichnet9, die der Ursprung der gesamten Bewegung, die zum geliebten Gut hinstrebt, ist10; außerdem wird das (der) Geliebte für den Liebenden lustbetont (delectabile), weil die Liebe eine gewisse Einigung (unio) oder Wesensverwandtschaft (connaturalitas) des Liebenden zum Geliebten hin besagt11. (212; Fs)

245/VI Die aus dem anfänglichen Gefallen erwachsende Bewegung ist der Übergang, der zu dem Guten hinstrebt, während es noch nicht in Besitz genommen ist12, der es sucht13, um es zu erwerben14. Das Zur-Ruhe-kommen schließlich besteht darin, daß der Mensch das liebt, was er hat oder besitzt oder mit dem er geeinigt ist, und daß er sich daran freut (delectari)15. Dieser Endzustand heißt auch Genießen (fruitio), wozu jene Liebe und Freude gehört, die einer erfährt, wenn er beim Letzterwarteten oder beim Endziel angekommen ist und darin ruht16. (213; Fs)

246/VI Schlechthin ruht einer einzig im Letzten; solange nämlich das Letzte noch nicht erreicht ist und noch etwas erwartet wird, bleibt der Wille in der Schwebe (remanet in suspenso), wenn er auch schon zu einiger Erfüllung gelangt17; hier öffnet sich ein Ausblick auf das schlechthin Letzte, nämlich auf das höchste Gut oder die Seligkeit, die allein in Gott zu finden ist. (213; Fs)

247/VI Daß es im geistigen Bereich allein die zwei Tätigkeiten des Erkennens und des Wollens gibt (intelligere et velle), wird vom Aquinaten durch entsprechende Überlegungen eigens erhärtet. Die Begründung hierfür wird daraus entnommen, daß nicht mehr als zwei Bezogenheiten zwischen dem Subjekt und dem Objekt möglich sind. Entweder teilt sich das Objekt dem Subjekt mit, was im Erkennen des Wahren geschieht; oder das Subjekt teilt sich dem Objekt mit, was im Lieben des Guten vollzogen wird18; diese Zweiheit wurde oben schon genauer erläutert. (213; Fs) (notabene)

248/VI Damit zusammen wirkt die Grundeinsicht des Aquinaten, daß Ruhen und Sich-bewegen bezüglich desselben Gehaltes nicht auf verschiedene, sondern auf ein und dasselbe Vermögen zurückzuführen sind19. Das gilt beim Erkennen in Hinsicht auf den Unterschied von 'intellectus' und 'ratio'; denn dem 'intellectus' ist das Ruhen eigen, insofern er durch einfaches Einsehen die ersten Grundsätze erfaßt; die 'ratio' hingegen vollzieht die Bewegung, insofern sie von einem Erkannten zum andern eilt oder sich diskursiv entfaltet; dabei durchschreitet die 'ratio' einen Kreislauf, indem sie beim Finden der Wahrheit von den Grundsätzen des 'intellectus' ausgeht und bei deren Prüfen zu denselben zurückkehrt20. (213f; Fs) (notabene)

249/VI Auf ähnliche Weise sieht Thomas im Willensleben das Erstreben des Zieles und das Wählen der Mittel, wobei jenem das Ruhen, diesem aber die Bewegung zukommt; damit ist wiederum ein Kreislauf gegeben, weil die Mittel vom Ziel her gewählt und zum Ziel hin ergriffen oder angewendet werden21. Ebenso bemerkt der Aquinate bezüglich unserer Thematik, im Streben zu dem noch nicht erreichten Guten geschehe die Bewegung, während das liebende Sich-freuen am erreichten Guten dem Ruhen gleichkommt22; auch hier zeichnet sich ein Kreislauf ab, insofern das Streben aus dem anfänglichen Gefallen entspringt und in das vollendete Gefallen einmündet23. (214; Fs) (notabene)

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