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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Augustinus; Glück (Merkmal: Wandelbar - Unwandelbar); Weisheit - Torheit; frugalitas - nequitia; Seinsfülle - Seinsmangel

Kurzinhalt: »Glücklich ist, wer hat, was er begehrt.« ... Zu fragen ist also näherhin nach den Kriterien für das, worauf sich die Begierde richten sol

Textausschnitt: 94b »Glücklich ist, wer hat, was er begehrt.« So eingängig diese Bestimmung ist, so formal und inhaltslos ist sie auch. Sie ist in durchaus gegensätzlichem Sinne verwendbar - und entsprechend auch verwendet worden. Die auf dem Lustprinzip gründende Glückslehre Epikurs konnte sich ihrer ebenso bedienen wie die am sittlichen Apriori sich orientierende Theorie Platons, der pragmatische Eudämonismus des Aristoteles wie gleichfalls das rigoristische Naturrecht der Stoa. Liegt Glück in der Befriedigung des Leibes oder jenes Geistvermögens, das bei Augustin Seele heißt? Zu fragen ist also näherhin nach den Kriterien für das, worauf sich die Begierde richten soll. Monnicas Einwurf, glücklich sei, wer etwas Gutes begehre und es besitze, unglücklich aber, wer Schlechtes begehre, ist trotz der begeisterten Zustimmung Augustins nicht viel aufschlußreicher: denn nun ist das Problem auf die Frage verlagert, was gut sei und was schlecht. Des Licentius rasche Forderung, es müsse nun doch gesagt werden, was einer denn begehren dürfe, ist daher berechtigt, auch wenn Augustin sie zunächst scharf zurückweist. Er kommt nicht umhin, ihr Rechnung zu tragen, und so ergibt sich als erstes Merkmal »richtigen« Begehrens, es sei auf das zu richten, »das er haben kann, so oft er es begehrt ... es muß also ewig dauern, darf weder von Fortuna abhängig noch irgendwelchen Zufällen unterworfen sein.« Damit sind die Würfel bereits gefallen. Augustin hat sich entschieden. Wofür?

95a Im 8. Kapitel schon hatte er mit Hilfe zweifelhafter Etymologien Grundzüge einer Seins- und Wertlehre vorgetragen, die ihre Herkunft nicht verleugnet. »Ein Nichts ist nämlich all das, was fließt, was sich auflöst, was verströmt, was gewissermaßen dauernd sich verliert ... Etwas ist nämlich nur, sofern es Dauer hat, feststeht, sich immer gleich bleibt, wie zum Beispiel die Tugend .. .« Unverkennbar: platonische Seinsphilosophie ist das, was er hier vorträgt. Sein ist das, was sich in allem Wandel durchhält, was der Veränderung trotzt, was sich gleichbleibt, das immutabiliter esse. Von solcher Art aber ist nur der Geist. Was aber ist hier unter Geist zu verstehen? Sicher nicht das geschichtlich sich wandelnde Denken, das sich nach dem soziokulturellen Umfeld richtet. Nicht auch der permanente Verarbeitungsprozeß von Vorstellungen der Sinneswahrnehmungen. All das ist abhängig von Raum und Zeit, wandelbar und der Veränderung ausgesetzt. Manche moderne Anthropologen sind so sehr von dem Eindruck dieser »Geschichtlichkeit des Menschen« fasziniert, daß sie sich ein Selbstidentisches, Unwandelbares im Geist gar nicht mehr denken können, alles vielmehr dem Fluß der Zeit preisgegeben wähnen. Aber - so hatte Platon gesehen - wie kann ich denn Veränderung und Wandel überhaupt wahrnehmen? Doch nur dadurch, daß ich das, was sich ändert, auf etwas beziehe, das sich gleichbleibt. Allem Wandel muß ein Selbstidentisches als Substrat zugrunde gelegt werden, an dem Wandel statthat - zum Beispiel das Selbstbewußtsein, das als »ich denke«, wie Kant meint, »alle meine Vorstellungen muß begleiten können«. Aber nicht nur formal geht als Möglichkeitsbedingung aller Veränderung ein sich gleich Bleibendes voraus, auch inhaltlich läßt sich im Denken einiges ausmachen, das allem Wandel zugrunde liegt. So hat die Mathematik zum Beispiel ihre zeitlos gültigen Bestimmungen und Regeln, die Natur ihre Gesetze, der menschliche Geist apriorische Strukturen wie Einheit - Vielheit, Kausalität, Zweck, Wesen usw., ohne die überhaupt nicht gedacht, auch kein Wandel wahrgenommen und geordnet werden kann. Es gibt sittliche Vorbegriffe, die allen Erscheinungen moralischer Metamorphosen einer Kultur als ewig gültiger Sinnbezug zugrunde gelegt werden müssen und ohne die weder moralische Handlungen noch moralische Wertungen möglich sind, wie etwa Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit usw. Inbegriff dieses im menschlichen Denken selbst anwesenden Zeugnisses von Identischem und Unwandelbarem ist für die platonische Tradition der Geist, und da dies allem Wandel zugrunde liegt, ist es zugleich auch das Sein. Das aber, was sich ändert und wandelt, was fließt und zerfließt, kurzum: was Raum und Zeit unterworfen ist, das ist »eher Nichtsein als Sein«. Dies aber ist die Bedingung der Körperwelt. Daher galt die Welt sinnenfälliger Erscheinung für Platon als Ort des Seinsschwundes. Aristoteles nannte das Prinzip des Werdens und Vergehens stéresis, »Beraubung«, und der Neuplatonismus verband mit ihm noch die genuin platonische Seinsbewertung, denn beraubt ist die Körperwelt ihrer Selbstidentität, die sie in ihrem noetischen Ursprung noch hat. Was der »Beraubung« unterliegt, ist Sein in der Stufe des Abfalls vom wahren Sein, eine Beraubung, die bis zum Nichtsein gehen kann. (Fs)

96a Wie eindringlich sich Augustin die Substanz des Seins- und Selbstverständnis berührenden Grundgedankens platonisch-neuplatonischen Philosophierens zu eigen gemacht hat, zeigen die Paragraphen 22-30. Hier greift er auf seine in Paragraph 8 vorgetragene Deutung von frugalitas und nequitia zurück, um im Gegensatzpaar »Mangel« und »Fülle« die zugrunde liegenden Begriffe »Nichtsein« und »Sein« nochmals zu erörtern und in Korrelation zu Glück und Unglück zu stellen. Wer glücklich werden will, muß sich wahre Güter verschaffen, Güter also, die im platonischen Sinne »Sein« haben im Gegensatz zu bloßen Scheingütern. Gemäß dem zugrunde liegenden Seinsbegriff sind dies Güter, die nicht von äußeren Bedingungen abhängen die also Raum und Zeit nicht unterworfen sind; der Wille habe sich auf »sichere Ziele« zu richten, meint Augustin, das sei »was die Tugend verlange und was Weisheit anrate« (§ 25). Wer solche wahren Güter begehrt, sei weise. Denn er leide keinen Mangel an dem, was er begehre: den Gütern des Geistes, und im Geist ruhe das Glück. Möge es dem Weisen daher auch an den Gütern des Leibes mangeln: da er das Glück in dauerhaften Gütern suche, leide er dort keinen Mangel, wo das Glück zu finden ist. Anders der Reiche. Wie sehr er auch mit irdischen Gütern gesegnet sei: die Unsicherheit dieser Güter lasse Furcht aufkommen, alles zu verlieren, worin sein Glück bestehe. Und diese Furcht sei Mangel an Weisheit. Dieser aber sei gleichbedeutend mit Torheit. So ist also Weisheit der Vollbesitz an dem, was Sein hat: Seinsfülle, sowie Torheit der Armut gleichzusetzen ist: Seinsmangel. Das, was der reiche Tor besitzt, ist nur scheinbar etwas Wirkliches. Tatsächlich ist es die Abwesenheit von Wirklichem, Mangel an Sein also, dem er sein Unglück verdankt, so wie die Finsternis nichts anderes meint wie die Abwesenheit des Lichtes, wie Nacktheit nur soviel heißt wie »ohne Kleider sein«. »Mangel ist eine Bezeichnung für Nicht-haben.« (Fs) (notabene)

97a In all diesen Bestimmungen und Bildern prägt sich die frische und lebendige Einsicht aus, die Augustin aus der Abwendung von manichäischem und skeptischem Denken gewonnen hat. War für den Manichäismus das »Böse«, das Körperliche nämlich, eine eigene Substanz, hatte die »Akademie« alle Substanz in Frage gestellt, so weiß sich nun Augustin mit dem Neuplatonismus einig: Substanz hat allein der Geist. Alles, was nicht Geist ist, ist des Seins beraubt und ermangelt des Seins. Wenn Augustin daher in bezug auf die Frage nach dem Glück verlangt, das Begehren habe sich auf das zu richten, was ewig ist und dauert, so heißt dies nichts anderes, als daß allein zu begehren sei, was wahres Sein hat. Das aber ist geistiger Natur. Nur noetische Werte -in Augustins Sprechweise: Güter der Seele - sind wirklich, können den Menschen erfüllen, sein wesentlich auf Dauerhaftes gerichtetes Begehren stillen, machen ihn glücklich. Sofort schlägt der Autor von da aus die Brücke zum Gottesbegriff. Er legt ihn auf den platonischen Seinsbegriff hin aus, so daß sein Gottes- und sein Seinsbegriff zusammenfallen: Gott ist ewig und von zeitloser Dauer. Und so ergibt sich folgerichtig: Glücklich ist, wer Gott besitzt. Gott haben -das heißt Sein haben, das heißt Geist haben. Sofern man Geist hat, hat man Gott. Das heißt: jeder hat Gott.

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