Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Kontrast, Unterschied: Lonergan - Relativismus; Position des Relativisten (1-5); Beispiel Schreibmaschine; Universum als Netz von Relationen Kurzinhalt: ... genauso wie der Relativist auf der Ebene der Intelligenz gegen den Empiristen beharrt, beharren wir auf der Ebene der Reflexion gegen den Relativisten ... der Relativist hat nicht bewiesen und kann nicht beweisen, daß es keine Tatsachen gibt; ...
Textausschnitt: 11. Kontrast mit der relativistischen Analyse [342-47]
398b Von Kant wenden wir uns nun dem relativistischen Denken zu. Die Ausgangsfrage im vorliegenden Abschnitt war, ob korrekte Urteile vorkommen. Unsere Darstellung der Selbstbejahung widerspricht direkt der relativistischen Behauptung, daß korrekte Urteile nicht vorkommen. Wenn auch die Argumente für unsere Position schon gegeben worden sind, wird es nicht fehl am Platze sein, wenn wir angeben, wo der Relativist nicht übereinstimmen würde und warum. (Fs)
398c Erstens, das relativistische Denken widmet sich zu einem großen Teil der Widerlegung des Empirismus. Es betont ganz richtig, daß das menschliche Erkennen nicht allein durch die Ebene der Vorstellungen erklärt werden kann. Es gibt auch die Ebene der Intelligenz, des Erfassens und Formulierens von intelligiblen Einheiten und systematischen Relationen. Ohne diese zweite Ebene gibt es zwar ein Gegebenes, aber keine Möglichkeit zu sagen, was gegeben ist. (Fs)
399a Zweitens, genauso wie der Relativist auf der Ebene der Intelligenz gegen den Empiristen beharrt, beharren wir auf der Ebene der Reflexion gegen den Relativisten. Menschliches Erkennen ist nicht rein Theorie über das Gegebene; es gibt auch Tatsachen; und der Relativist hat nicht bewiesen und kann nicht beweisen, daß es keine Tatsachen gibt; denn die Abwesenheit aller anderen Tatsachen wäre ja selbst eine Tatsache. (Fs) (notabene)
399b Drittens, genau so wie der Empirist nichts zu sagen hätte, wenn er nicht Handlungen auf der Intelligenzebene nutzte, so beschränkt sich auch der Relativist nicht strikte auf die Ebenen der Vorstellungen und der Intelligenz. Er ist mit der Notion [343] des Unbedingten durchaus vertraut. Er betrachtet das Unbedingte als das Ideal, auf das hin alles menschliche Erkennen tendiert. Aber er unterstellt, daß dieses Ideal durch das Verstehen zu erreichen ist. Wäre das Universum in all seinen Teilen und Aspekten vollständig verstanden, dann könnte es keine weiteren Fragen mehr geben; alles wäre genau begriffen, wie es sein sollte; über jedes Thema könnte der Mensch sagen, was er gerade gedacht, und denken, was er gerade gesagt hat. Solange wir andererseits diese umfassende Kohärenz nicht erreicht haben, kann es keine sichere Basis geben. Es gibt Verstehen, aber es ist partiell; es ist mit Nicht-Verstehen gekoppelt; es ist der Revision offen, sobald das gegenwärtige Nicht-Verstehen dem künftigen Verstehen weicht; und so innig sind alle Dinge verbunden, daß die Erkenntnis von irgendetwas nur definitiv sein kann, wenn alles erkannt wird. (Fs)
399c Viertens, der Relativist ist imstande, auf diese allgemeine Sicht eine Auseinandersetzung mit konkreten Problemen folgen zu lassen. Ist dies eine Schreibmaschine? Wahrscheinlich, ja. Zu praktischen Zwecken, ja. Absolut? Der Relativist würde es vorziehen, die präzise Bedeutung der Bezeichnung Schreibmaschine zu klären; er möchte gerne wissen, was denn genau mit dem Demonstrativum dies gemeint ist; er wäre dankbar für eine Erklärung der Bedeutung der Kopula ist. Der ursprünglich simplen Frage wird mit drei weiteren Fragen begegnet; und wenn diese drei beantwortet werden, dann werden diese Antworten noch mehr Fragen aufkommen lassen. Ist einer schnell und bemerkt, daß er mit einer unendlichen Reihe beginnt, dann mag er dem Relativisten mit einem abgerundeten System entgegentreten. Aber auch der Relativist ist ein kluger Kerl. Er wird daraufhinweisen, daß normale Menschen, die sich ziemlich sicher sind, daß das hier eine Schreibmaschine ist, nichts vom System wissen, auf das sein Gesprächspartner ihre Erkenntnis gründet. Und das ist noch nicht alles. Denn die menschliche Erkenntnis ist begrenzt; Systeme haben ihre schwachen Punkte; und der Relativist wird sich eben auf jene Probleme stürzen, in bezug auf die ein Verteidiger des Systems lieber seine Ignoranz eingestehen würde. (Fs)
400a Fünftens, der Relativist wird nicht nur klarmachen, daß es weitere Fragen gibt, bis alles erkannt ist, sondern er wird auch erklären, warum das so ist. Eine Relation wird eine innere in bezug auf ein Objekt genannt, wenn das Objekt ohne diese Relation radikal verschieden wäre. Wir haben in diesem Sinne von Untersuchung und Einsicht gesprochen. Unter der Untersuchung haben wir aber nicht irgendein reines Staunen verstanden; wir meinten ein Staunen über etwas. Ähnlich meinten wir mit der Einsicht nicht irgendein reines Verstehen, sondern ein Verstehen von etwas. Untersuchung und Einsicht sind deshalb inner hinsichtlich der Materialien, über die man eine Untersuchung anstellt und in die man Einsichten gewinnt. Wenn man nun annimmt, daß das ganze Universum ein Muster solcher inneren Relationen [344] ist, dann folgt daraus evidentermaßen, daß kein Teil und kein Aspekt des Universums isoliert von jeglichem anderen Teil oder Aspekt verstanden werden kann. Denn jedes Ding ist innerlich auf jedes andere bezogen; und von solchen Relationen abzusehen bedeutet, von den Dingen abzusehen, so wie sie sind, und an ihre Stelle imaginäre Objekte zu stellen, die einfach nicht existieren. Wenn man also den Relativisten fragt, warum die Fragen ins Unendliche davonlaufen, hat er eine Antwort parat: Das Universum, das zu erkennen ist, indem man Fragen beantwortet, ist ein Netz innerer Relationen. (Fs)
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