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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Evangelium und Kultur

Titel: Evangelium und Kultur

Stichwort: Evangelium, Philosophie; Unterscheidung

Kurzinhalt: Unterscheidung: Evangelium, Philosophie

Textausschnitt: 55 Der Gott, der mit dem Menschen wie mit einer Marionette spielt, ist nicht der Gott, der Mensch wird, um dem Menschen das Leben zu gewinnen, indem er seinen Tod erleidet. Die Bewegung, welche die rettende Geschichte von Gottes Menschwerdung, Tod und Auferstehung als Antwort auf die Frage von Leben und Tod hervorbrachte, ist erheblich komplexer als die klassische Philosophie: Sie ist reicher durch die missionarische Leidenschaft ihres religiösen Universalismus, ärmer durch ihre Vernachlässigung noetischer Kontrolle, breiter durch ihre Anziehungskraft auf den einfachen Menschen, der seine menschliche Natur nur unklar artikulieren kann, beschränkter durch die Abneigung gegen die artikulierte Gelehrsamkeit des Weisen, beeindruckender durch den imperialen Ton göttlicher Autorität, weniger ausgewogen durch die apokalyptische Heftigkeit, die zu Konflikten mit den Bedingungen der menschlichen Existenz in der Gesellschaft führt, kompakter durch die großzügige Aufnahme früherer Schichten mythischer Imagination, besonders durch die Rezeption der israelitischen Historiogenesis und durch die Überfülle der Wundertaten, differenzierter durch die intensiv artikulierte Erfahrung liebend-göttlichen Handelns bei der Erhellung der Existenz mit Wahrheit. (36; Fs)

56 Das Verständnis dieser vielschichtigen Besonderheiten, durch die sich die Bewegung des Evangeliums von der Bewegung der klassischen Philosophie unterscheidet, kann nicht gefördert werden, indem man topische Dichotomien verwendet wie Philosophie und Religion, Metaphysik und Theologie, Vernunft und Offenbarung, Natürliche Vernunft und Supranaturalismus, Rationalismus und Irrationalismus etc. Ich will lieber so vorgehen, daß ich zuerst den noetischen Kern aufzeige, den die beiden Bewegungen gemeinsam haben und dann einige der Probleme untersuche, die sich aus der Differenzierung göttlichen Handelns in der Bewegung des Evangeliums sowie aus der Rezeption kompakterer Schichten der Erfahrung und ihrer Symbolisierung ergeben. (36; Fs)

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