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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Die Neigung zur Erkenntnis der Wahrheit; Gebot 8; Tugend: Klugheit

Kurzinhalt: Alle vernunftbegabten Wesen kommen in dieser Neigung überein. Sie zeigt sich in der unmittelbaren Klarheit der ersten Denkprinzipien der theoretischen und der praktischen Vernunft, insbesondere im ersten Prinzip der Sittlichkeit:

Textausschnitt: 4. Die Neigung zur Erkenntnis der Wahrheit

94a Die Neigung zur Wahrheit ist der geistigen Natur eigentümlich. Alle vernunftbegabten Wesen kommen in dieser Neigung überein. Sie zeigt sich in der unmittelbaren Klarheit der ersten Denkprinzipien der theoretischen und der praktischen Vernunft, insbesondere im ersten Prinzip der Sittlichkeit: 'Das Gute ist zu tun und das Böse zu meiden.' Aus ihr entspringt die Liebe zur Wahrheit, die eine Analogie hat im Streben aller Lebewesen nach dem Licht. (Fs)

94b Auf diesen ersten Einsichten der Vernunft gründen die verschiedenen Wissenschaften durch die Verstandesleistung und den Kontakt mit der Wirklichkeit. Die Ethik ist eine dieser Wissenschaften; sie betrachtet die Dinge unter dem Gesichtspunkt ihres Gutseins und hat als Regeln die Gebote des natürlichen Sittengesetzes. Ihre Aufgabe besteht darin, in verständiger und wirksamer Weise diese Gebote auf die konkreten Handlungen anzuwenden, um deren Vortrefflichkeit und Vollkommenheit zu gewährleisten. (Fs)

94c Verschiedene Tugenden vervollkommnen die Vernunft bei der Entwicklung der Wissenschaften, bei der auch die Erfahrung eine große Rolle spielt. Zu diesen so genannten Verstandestugenden gehören die wissenschaftliche Erkenntnis als Fähigkeit, die Handlung wissenschaftlich zu untersuchen und anzuleiten, und die Weisheit, die die Erkenntnisse und Erfahrungen in einer Gesamtschau über das Leben und Handeln vereinigt. Besonders wichtig ist die Klugheit (oder praktische Weisheit), durch die man erkennt, was für die einzelne Tat das Gute ist. Die Klugheit ist die Tugend des Verstandes, die die Handlung durchdringt, um sie gut zu gestalten. In der Tugendethik kommt der Klugheit eine zentrale Rolle zu, die der Rolle des Gewissens in der Sollensethik entspricht. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Klugheit in der konkreten Situation nach dem Besten strebt und nicht einzig und allein danach fragt, was erlaubt und was verboten ist. Die Klugheit ist auf zwei Weisen wirksam: erstens durch das praktische Urteil selbst und zweitens durch die Anweisung, nach diesem Urteil auch zu handeln, woraufhin sich der Kluge tatsächlich zur Handlung bewegt. Man kann nicht wahrhaft klug sein ohne das praktische Urteil der Klugheit in die Tat umzusetzen. (Fs)

95a Die natürliche Neigung zur Wahrheit ist von universeller Bedeutung; ihr kommt jedoch ein besonderes Gewicht für die Ethik zu, wenn sie sich mit der aktiven Erfahrung vereinigt. In der menschlichen Erfahrung spiegelt sich nämlich gleichsam wie in einem Mikrokosmos die gesamte Wirklichkeit wider, insbesondere durch die existenzielle Beziehung zu den Mitmenschen und zu Gott. (Fs)

95b Das achte Gebot betrifft die Neigung zur Wahrheit, es untersagt die Lüge und das falsche Zeugnis. Diese Verbote dienen einem dynamischen Bestreben, das verschiedene Rechten und Pflichten begründet: zum Beispiel das Recht auf Schulerziehung entsprechend den Ressourcen der jeweiligen Gesellschaft und den persönlichen Begabungen des Einzelnen; zugleich die Pflicht seinen Verstand zu entwickeln, besonders im Bereich der Sittlichkeit, wo es um die Ausrichtung des eigenen Lebens und um konkrete Probleme geht. Der Vernunft kommt also im sittlichen Leben eine erstrangige Aufgabe zu. Besonders ihre kontemplative Dimension gilt es wiederzuentdecken. (Fs)

95c Das Verlangen nach Wahrheit bildet die natürliche Grundlage für den christlichen Glauben. Der Glaube ist nämlich mehr als ein bloßer willentlicher Gehorsam: Er antwortet auf das Licht des geoffenbarten Wortes durch eine Zustimmung der Vernunft, so wie der Schüler dem Meister zustimmt. Der Glaube entwickelt die Liebe zur Wahrheit durch die Geistesgaben der Einsicht und der Erkenntnis. Auf Grund der Liebe, die mit ihm einhergeht, verhilft uns der Glaube zu einer gewissen Konnaturalität mit der göttlichen Wirklichkeit. Er erhellt und nährt die geistliche Erfahrung. (Fs) (notabene)

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