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Autor: Pinckaers, Servais

Buch: Christus und das Glück

Titel: Christus und das Glück

Stichwort: Freiheit der Willkür;Wilhelm von Ockham; potentia absoluta (ordinata); Sollensethik

Kurzinhalt: Die menschlichen Handlungen, die der Wahl zwischen zwei Alternativen entspringen, sind als solche moralisch wertneutral (indifferent). Moralisch, das heißt sittlich gut oder schlecht, werden sie erst ...

Textausschnitt: Wie die 'Freiheit der Willkür' die Sollensethik impliziert

63c Wenn wir zur 'Freiheit der Willkür' übergehen, sehen wir, wie eine ganz neue moralische Lehre entsteht. Nun stehen sich zwei Freiheiten gegenüber: die Freiheit des Menschen und die Freiheit Gottes. Kein natürliches Band verbindet diese beiden Freiheiten, da die Natur in dieser neuen Sichtweise nun der Freiheit unterworfen ist. Die Freiheit Gottes und des Menschen stehen nur noch in einer äußerlichen Beziehung zueinander, die von der Verschiedenheit der beiden Freiheiten charakterisiert ist: Gottes Allmacht verleiht ihm absolute Macht über den Menschen, die er besonders vermöge des Sittengesetzes ausübt. Das Sittengesetz ist Ausdruck des göttlichen Willens, der völlig frei und souverän die Freiheit des Menschen einschränken kann, indem er ihm bestimmte Handlungen verpflichtend vorschreibt oder sofern er sie verbietet. (Fs; tblStw: Freiheit)

64a Das Gesetz ist nun Ursprung der Sittlichkeit. Die menschlichen Handlungen, die der Wahl zwischen zwei Alternativen entspringen, sind als solche moralisch wertneutral (indifferent). Moralisch, das heißt sittlich gut oder schlecht, werden sie erst durch ihren Bezug der Übereinstimmung mit der im Gesetz ausgedrückten Verpflichtung oder durch den Bezug des Gegensatzes dazu. Das Gesetz selbst ist ganz und gar von Gott abhängig, der prinzipiell jedes Gebot des Gesetzes nach Belieben verändern könnte. Wilhelm von Ockham entwickelt diese Auffassung bis in alle Konsequenzen. Er scheut nicht vor folgender Behauptung zurück: Würde Gott einem Mensch befehlen, ihn zu hassen, so wäre in diesem Fall der Hass gut, da er im Gehorsam zum Willen des Schöpfers erfolgt. Deutlicher lässt sich der Vorrang des Gesetzesgehorsams gegenüber der Liebe nicht ausdrücken. (Fs)

64b Im Nominalismus entwickelt sich zum ersten Mal eine Ethik, die durch die sittlichen Verpflichtungen charakterisiert ist. Das Streben nach Glückseligkeit wird nun systematisch aus der Ethik ausgeklammert. (Fs)

64c Wie ist in dieser Ethik das moralische Gesetz konkret formuliert? Wir finden es vor allem in der von Gott inspirierten Heiligen Schrift, besonders in den Zehn Geboten und den Bestimmungen, die man daraus ableiten kann. Der Dekalog wird nun als ein Kodex der sittlichen Verpflichtungen verstanden. Die moralischen Vorschriften sind im Prinzip der Willkür Gottes anheimgestellt, das heißt seiner 'absoluten Macht' (potentia absoluta). Ihre Gültigkeit und Beständigkeit haben sie jedoch in dem, was Ockham den 'gewöhnlichen Ablauf der Dinge' nennt, der von Gottes geordneter Macht' (potentia ordinata) festgelegt ist. Dies erlaubt Ockham, den traditionellen Begriff des natürlichen Sittengesetzes (lex naturalis) aufrechtzuerhalten. (Fs)

64d Darüber hinaus offenbart sich uns der göttliche Wille und somit das moralische Gesetz in der richtigen Vernunft (recta ratio) in Form der moralischen Imperative. Jeder Mensch weiß nämlich aus eigener Erfahrung, dass die Vernunft ihm bestimmte Handlungen befiehlt oder verbietet. Genauer gesagt zeigt uns die Vernunft die Existenz solcher Imperative auf, aber sie gibt nicht die Gründe dafür an, denn es gibt letztendlich keinen anderen Grund für sie als den bloßen Willen Gottes. Zudem muss man diesen Vorschriften allein deshalb gehorchen, weil sie befohlen sind. Andere Motive, etwa dass sie Nutzen oder Freude bewirken, sind belanglos. Diese Lehre ist ein Vorbote von Kants kategorischem Imperativ. Da nun der Akzent auf den sittlichen Verpflichtungen und Imperativen liegt, entwickelt sich von hier außerdem der Gedanke, dass die Gebote und Verbote selbst dann ihre Gültigkeit behielten, wenn Gott nicht existierte. Während die Ethik zunächst in der Willkür Gottes grundgelegt ist, löst sie sich nun von einer Bindung an Gott los. (Fs)

Tabelle (ausgelassen): Zwei Typen von Freiheit, zwei Arten der Ethik



66a Die Reichweite der Ethik ist mithin grundlegend eingeschränkt. Im Vordergrund stehen nun einzelne, zusammenhangslose Handlungen, die Ausdruck einer Freiheit sind, die sich in jedem Moment von einem Extrem zum anderen bewegen kann. Es gibt keine allgemeine Zielrichtung mehr, die alle Handlungen unter derselben Absicht vereint, nämlich das Gemeinwohl zu fördern oder die Glückseligkeit zu erlangen. Die vereinzelten Handlungen und die Konfliktsituationen stehen im Mittelpunkt. Es ist kaum noch von einer Erziehung zur Ethik oder von einem Fortschritt in der persönlichen Sittlichkeit die Rede, denn die Freiheit, die in dieser Ethik grundlegend ist, kennt keine Abstufungen, sondern ist mit dem Erwachen des Gewissens im Kindesalter bereits vollständig gegeben. Die einzige Einschränkung der Freiheit geschieht von außen. Die Tugend verliert ihre erzieherische Bedeutung und wird zur bloßen Gewohnheit degradiert. (Fs)

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