Autor: Ratzinger, Josef Buch: Einführung in das Christentum Titel: Einführung in das Christentum Stichwort: Trinität; Ansatz des Verstehens; Jesus - Vater; Geist - Anwesenheit Gottes in uns; Gebet, Bitte; Kurzinhalt: ... eigentümliche Paradoxie: Einerseits nennt dieser Mensch Gott seinen Vater, spricht zu ihm als einem Du, das ihm gegenübersteht; wenn das nicht leeres Theater sein soll, sondern Wahrheit Textausschnitt: 1. Zum Ansatz des Verstehens
a) Der Ausgangspunkt des Glaubens an den dreieinigen Gott.
151a Die Trinitätslehre ist nicht aus einer Spekulation über Gott entstanden, aus einem Versuch des philosophischen Denkens, sich zurechtzulegen, wie der Ursprung allen Seins beschaffen sei, sondern sie hat sich aus dem Mühen um eine Verarbeitung geschichtlicher Erfahrungen ergeben. Der biblische Glaube hatte es zunächst - im Alten Bund - mit Gott zu tun, der als der Vater Israels, als der Vater der Völker, als der Schöpfer der Welt und ihr Herr begegnete. In der Grundlegungszeit des Neuen Testaments kommt ein völlig unerwarteter Vorgang hinzu, durch den sich Gott von einer bislang unbekannten Seite zeigt: In Jesus Christus trifft man auf einen Menschen, der sich zugleich als Sohn Gottes weiß und bekennt. Man findet Gott in der Gestalt des Gesandten, der ganz Gott und nicht irgendein Mittelwesen ist und der dennoch mit uns zu Gott »Vater« sagt. Damit ergibt sich eine eigentümliche Paradoxie: Einerseits nennt dieser Mensch Gott seinen Vater, spricht zu ihm als einem Du, das ihm gegenübersteht; wenn das nicht leeres Theater sein soll, sondern Wahrheit, wie sie allein Gottes würdig ist, muss er also ein anderer sein als dieser Vater, zu dem er spricht und zu dem wir sprechen. Andererseits aber ist er selbst die wirkliche, uns begegnende Nähe Gottes; die Vermittlung Gottes an uns und dies gerade dadurch, dass er selbst Gott als Mensch, in Menschengestalt und -wesen: der Gott-mit-uns (»Emmanuel«) ist. Seine Vermittlung würde ja im Grunde sich selbst aufheben und statt einer Vermittlung eine Abtrennung werden, wenn er ein anderer als Gott, wenn er ein Zwischenwesen wäre. Dann würde er uns nicht zu Gott hin, sondern von ihm weg vermitteln. So ergibt sich, dass er als der Vermittelnde Gott selber und »Mensch selber« - beides gleich wirklich und total -ist. Das aber bedeutet, dass Gott mir hier nicht als Vater, sondern als Sohn und als mein Bruder begegnet, womit - unbegreiflich und höchst begreiflich in einem - eine Zweiheit in Gott, Gott als Ich und Du in einem, in Erscheinung tritt. Dieser neuen Erfahrung Gottes folgt schließlich als Drittes das Widerfahrnis des Geistes, der Anwesenheit Gottes in uns, in unserer Innerlichkeit. Und wiederum ergibt sich, dass dieser »Geist« weder mit dem Vater noch mit dem Sohn einfach identisch ist und doch auch nicht ein Drittes zwischen Gott und uns aufrichtet, sondern die Weise ist, wie Gott selbst sich uns gibt, wie er in uns eintritt, sodass er im Menschen und mitten im »Insein« doch unendlich über ihm ist. (Fs)
152a Wir stellen also fest, dass der christliche Glaube im Hergang seiner geschichtlichen Entfaltung es zunächst rein tatsächlich mit Gott in dieser Dreigestalt zu tun bekommt. Es ist klar, dass er alsbald beginnen musste, sich zu überlegen, wie diese verschiedenen Gegebenheiten miteinander zu verbinden seien. Er musste sich fragen, wie sich diese drei Formen geschichtlicher Begegnung mit Gott zur Eigenwirklichkeit Gottes selbst verhalten. Ist die Dreiheit der Erfahrungsformen Gottes vielleicht nur seine geschichtliche Maske, in der er in verschiedenen Rollen dennoch immer nur als der Eine auf den Menschen zugeht? Sagt diese Dreiheit uns nur etwas über den Menschen und seine verschiedenen Weisen der Gottesbeziehung aus, oder bringt sie etwas darüber zum Vorschein, wie Gott in sich selber ist? Wenn wir heute schnell geneigt sein möchten, allein das Erste für denkbar und damit alle Probleme für gelöst zu halten, so sollten wir vor der Zuflucht in einen solchen Ausweg uns die Reichweite der Frage bewusst machen. Hier geht es doch darum, ob der Mensch in seiner Gottesbeziehung nur mit den Spiegelungen seines eigenen Bewusstseins zu tun hat oder ob ihm gegeben ist, wirklich über sich hinauszugreifen und mit Gott selbst zusammenzutreffen. Die Folgen sind in beiden Fällen weitreichend: Wenn das Erstere zutrifft, ist auch das Gebet nur eine Beschäftigung des Menschen mit sich selbst, die Wurzel für eigentliche Anbetung ist ebenso abgeschnitten wie für das Bittgebet - diese Konsequenz wird denn auch in zunehmendem Maß gezogen. Um so dringender ist die Frage, ob sie nicht schließlich auf einer Bequemlichkeit des Denkens beruht, das sich ohne viel Fragen auf den Weg des geringeren Widerstandes begibt. Wenn nämlich die andere Antwort die richtige ist, sind Anbetung und Bitte nicht nur möglich, sondern geboten, das heißt ein Postulat des auf Gott hin offenen Wesens Mensch. (Fs)
153a Wer diesen Tiefgang der Frage einsieht, wird zugleich die Leidenschaft des Ringens verstehen, das in der alten Kirche um sie ausgetragen worden ist; er wird begreifen, dass alles andere als Begriffsklauberei und Formelkult dabei am Werke war, wie es dem oberflächlichen Betrachter leicht erscheinen kann. Ja, er wird innewerden, dass der Streit von damals heute neu entbrannt und ganz der gleiche - das allzeit eine Ringen des Menschen um Gott und um sich selber - ist und dass wir christlich nicht bestehen können, wenn wir vermeinen, es uns heute leichter machen zu dürfen, als es damals geschah. Nehmen wir die Antwort vorweg, in der damals die Scheidung zwischen dem Weg des Glaubens und einem Weg, der zum bloßen Glaubensschein führen müsste, gefunden wurde: Gott ist so, wie er sich zeigt; Gott zeigt sich nicht auf eine Weise, wie er nicht ist. Auf dieser Aussage gründet die christliche Gottesbeziehung; in ihr ist die Trinitätslehre gesetzt, ja, sie ist diese Lehre. (Fs)
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