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Autor: Rahner, Karl

Buch: Geist in Welt

Titel: Geist in Welt

Stichwort: § 4. Das Wesen des intellectus agens

Kurzinhalt: So ist der intellectus agens bei Thomas immer wieder eingeführt als die apriorische, dem Denken selbst einwohnende Bedingung der Möglichkeit eines actu intelligibile, das als solches sich in der Sinnlichkeit nicht findet ...

Textausschnitt: § 4. Das Wesen des intellectus agens

93a So unzweifelhaft der Ansatz, von dem aus wir den Begriff des intellectus agens erreicht haben, innerhalb des Feldes thomistischer Problematik liegt, so soll die weitere Entwicklung doch zunächst nicht der inneren Dynamik dieses Ansatzes selbst über ntwortet werden. Wir beginnen vielmehr zunächst mit dem, was Thomas ausdrücklich über den intellectus agens sagt, um uns desto sicherer innerhalb der Grenzen seines Philosophierens zu halten. (Fs)

93b Wie führt Thomas den Begriff des intellectus agens ein? Die forma (das als solches Wißbare) in den materiellen Dingen ist forma materiae. Als solche ist sie notwendig vereinzelte und darum, schließt Thomas, nicht "intelligibile actu". Diese Folgerung ist zunächst zu erläutern. Wir sahen schon früher, daß sich für Thomas die Erkennbarkeit eines Seienden innerlich abwandelt mit dem Grad seiner Seinsmächtigkeit. Intelligibile actu ist nun nicht einfach mit cognoscibile actu im weiteren Sinn gleichzusetzen. Denn in der Sinnlichkeit begegneten wir einem sensibile actu, das als solches auch unter ein generisches cognoscibile actu zu fallen kommt. Wenn Thomas daher der forma, insofern sie actus materiae ist, eine actu intelligibilitas abspricht, so muß er darunter eine Erkennbarkeit höherer Ordnung verstehen. Erkennbarkeit im allgemeinen ist das Sein einer Sache, insofern sie von sich aus irgendeiner Erkenntnis offen steht, von sich aus in die Identitätszone von Sein und Erkennen zu stehen kommen kann. Intelligibilitas ist die Erkennbarkeit eines Seienden dem Denken als solchem gegenüber, dessen Anzeigen wir in § 2 betrachteten. Diesem Denken offen zu stehen, in ihm als durch Identität mit ihm offenbare zu stehen zu kommen, vermag die forma als actus materiae nicht. Denn dazu müßte sie allgemein sein (um die erste grundlegende Anzeige des Denkens heranzuziehen), und das vermag die Form eben nicht, insofern sie vorgängig zur Erkenntnis in einem bestimmten suppositum durch ihre materia schon konkretisiert ist. Ein intelligibile actu kann also, soll die Sinnlichkeit und ihre Gegenstände die einzige Quelle menschlicher Erkenntnis sein, nicht einfach passiv aus der Sinnlichkeit übernommen werden, es kann so seinen Ursprung nur einer spontanen Tätigkeit des Denkens selbst der sinnlichen Gegebenheit gegenüber verdanken, d. h. dem intellectus agens. So ist der intellectus agens bei Thomas immer wieder eingeführt als die apriorische, dem Denken selbst einwohnende Bedingung der Möglichkeit eines actu intelligibile, das als solches sich in der Sinnlichkeit nicht findet und nach Ausweis der Erfahrung dem Menschen {94} [Menschen] auch nicht anderswoher zukommt, zumal das konstituierte intelligibile actu von sich aus in die Sinnlichkeit zurückweist. Dazu einige Hinweise auf einzelne Thomastexte. Ein intelligibile actu ist erkannt, wenn etwas erfaßt ist "quasi unum in multis et de multis"1; "universalia ... sunt intelligibilia actu"2. In quibus individuatio fit per hanc materiam signatam, individuata non sunt intelligibilia actu3. So hat also die Sinnlichkeit kein intelligibile actu bei sich, sie ist die Hingegebenheit an die vielen Diesda der materia als solche4. Weil dem so ist, bedarf das menschliche universale Erkennen einer Fähigkeit, des "intellectus agens qui facit species a sensibilibus acceptas esse intelligibiles"5. "Sed quia Aristoteles posuit ea (die an sich universal seienden Formen) non subsistere nisi in sensibilibus (also in immer schon vollzogener concretio) quae non sunt intelligibilia actu (eben wegen dieser concretio), necesse habuit ponere aliquam virtutem, quae faceret intelligibilia in potentia esse intelligibilia actu abstrahendo species rerum a materia et conditionibus individuantibus; et haec virtus vocatur intellectus agens De spir. creat. a. 96. Es muß hier eine Zwischenbemerkung eingeschaltet werden. Thomas erreicht den Begriff des intellectus agens von der actu intelligibilitas als universalitas aus. Damit wird die intelligibilitas, wie sich Thomas bewußt ist, von dem spezifisch menschlichen Seinsgrad und vom menschlichen Denken her gesehen. An sich gibt es Seinsgrade mit ihrer entsprechenden Erkennbarkeit, die actu intelligibilia sind, ohne daß sie deshalb universalia wären, und ohne daß daher die Allgemeinheit immer die Anzeige für jedes Denken und für jede actu intelligibilitas sein müßte. Für eine menschliche Erkenntnismetaphysik bestimmt sich aber das Beisichselbersein als Nicht-actus-materiae-Sein, und insofern das menschliche Denken nur möglich ist in einer Gegensetzung gegen anderes, also durch das Haben einer materiellen Form gegen ihr Suppositum, ist das Allgemeine Anzeige der actu intelligibilitas. Seinsgrade, die an sich keine Hinordnung zu dem leeren Diesda der Materie haben, in der sie vervielfältigt würden (formae separatae), sind an sich actu intelligibilia, ohne daß sie deshalb universalia sein müßten7. Sie haben {95} eine formhafte Individualität die eine "spezifische" Verschiedenheit von anderen Formen begründet. Sie können aber nicht als selbige vervielfältigt werden, weil das eben eine Hinordnung auf die leere Unbestimmtheit der materia einschließt. Insofern aber Formen in materia konkretisiert sind, sind sie bei einem anderen, als solche können sie darum auch nicht bei sich selber sein, nicht als Erkennende und darum auch nicht als Erkannte. (Fs) (notabene)

95a Um den Wortlaut nicht mißzuverstehen, in dem Thomas die Funktion des Intellekts beschreibt, darf nie aus dem Blick verloren gehen, von woher Thomas zum Begriff des intellectus agens kommt. Wenn es heißt, der intellectus agens löse eine species intelligibilis ab, präge sie dem intellectus possibilis ein usw., so sind solche Bilder von der metaphysischen Formulierung: facere intelligibilia potentia esse intelligibilia actu her zu deuten, und nicht umgekehrt. Denn zu dieser Formulierung gelangte die Überlegung unmittelbar von einer Frage her, die das Denken auf den intellectus agens bringt als auf eine metaphysische Voraussetzung, die als solche nie beobachtet werden kann, weil das Denken immer schon abstrahiert hat, wenn es auf sich zu reflektieren beginnt. Die bildlichen Ausdrücke, in denen die Tätigkeit des intellectus agens beschrieben wird, dürfen nicht zu der Annahme verführen, die sinnliche Form werde als solche in ihren qualitativen Inhalten auf ein anderes "Niveau" gebracht. (Fs) (notabene)

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