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Autor: Beckmann, Jan P.

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Ockham; Widerspruchsprinzip: nicht nur logisch, sondern epistemologisch

Kurzinhalt: Widersprüchlichkeit und Erkennbarkeit schließen einander nicht nur logisch, sondern auch epistemologisch aus. Daraus folgt ...

Textausschnitt: 40a Das Widerspruchsprinzip gilt für jedes Philosophieren. Wenn es eigens ein wichtiges Prinzip des Ockhamschen Denkens genannt wird, so deswegen, weil Ockham ihm eine besondere Bedeutung gegeben hat. Zur Erinnerung: Die Formulierung des Widerspruchssatzes findet sich erstmals bei Aristoteles, der es für unmöglich hält, "daß dasselbe demselben unter der gleichen Rücksicht zugleich zukommt und nicht zukommt".1 Damit ist die logische Bedeutung dieses Prinzips genannt: Es ist ausgeschlossen, daß zwei Aussagen, die ein und demselben Subjektterm dasselbe Prädikat einmal zu- und im gleichen Augenblick und unter den gleichen Bedingungen absprechen, gleichzeitig wahr sind. In seiner logischen Form gilt der Satz vom Widerspruch für jedes Philosophieren. Doch Ockham geht einen Schritt weiter, indem er betont, daß Widersprüchliches unmöglich Gegenstand von Erkenntnis sein kann. Widersprüchlichkeit und Erkennbarkeit schließen einander nicht nur logisch, sondern auch epistemologisch aus. Daraus folgt, daß alles, was prinzipiell erkennbar ist, nach Ockham zugleich prinzipiell widerspruchsfrei sein muß (vgl. OT II, 313 f). Sodann hat Widerspruchsfreiheit - der deutsche Terminus Widerspruch weist ebenso wie sein lat. Äquivalent 'contradictio' darauf hin - mit Aussagen bzw. deren logischer Form, d.h. mit Sätzen zu tun. Ein Widerspruch liegt z.B. dann vor, wenn von den Aussagen "X ist a" und "X ist nicht-a" behauptet wird, sie seien zur gleichen Zeit und in gleicher Hinsicht wahr. Dies wäre nur dann möglich, wenn das X im ersten Satz für etwas anderes stünde als im zweiten Satz, d. h., wenn es sich nicht um einen, sondern um zwei verschiedene Gegenstände handelte. In diesem Sinne nennt Ockham den Widerspruchssatz den "zuverlässigsten Weg des Nachweises der Unterschiedenheit der Dinge" (OT I, 174). Der Widerspruchssatz reicht damit weit über den Bereich der Logik hinaus in den des Erkennens und nicht zuletzt in den des Seienden hinein: Alles Seiende ist nach Ockham singuläres Seiendes, und Widerspruchsfreiheit ist ebenso Garant für wie Ausdruck von Singularität. (Fs)

41a Kontradiktorisches, so kann man es auf den Punkt bringen, kann man nach Ockham weder aussagen (es wäre unwahr) noch erkennen (es wäre kein Erkenntnisobjekt) noch antreffen (es besäße keine singuläre Existenz). Hier wird deutlich, warum das Widerspruchsprinzip nicht nur für den Menschen, sondern auch für Gott gilt: Gott vermag nichts zu tun und zu bewirken, was einen Widerspruch in sich enthielte (OT IV, 36). Alles, was er tut, und alles, was er tun könnte, ist gleichermaßen widerspruchsfrei. Schränkt dies nicht seine Allmacht ein? Ockham antwortet darauf: Nein, "denn Gott vermag nichts ungeordnet zu tun" ("quia Deus nil potest facere inordinate". OT IX, 585/6). Alles was Gott zu tun und zu schaffen vermag, besitzt eine Ordnungsstruktur. Das Kontradiktorische hingegen besitzt eine solche Ordnungsstruktur nicht, es hat mithin in Gott keinen Platz. Das Omnipotenzprinzip steht insoweit nicht im Gegensatz zum Widerspruchsprinzip; vielmehr muß letzteres nachgerade als Bedingung des ersteren angesehen werden. Damit verbietet sich zugleich die Deutung göttlicher Allmacht als schrankenlose Willkür: Die göttliche Allmacht ist - weil untrennbar mit Widerspruchsfreiheit verbunden - eine prinzipiell und ausnahmslos geordnete; sie als eine solche zu betrachten, die der Willkür und Unordnung fähig wäre, hieße einen grundsätzlichen Widerspruch in den Gottesbegriff hineintragen. Darin, daß Gott zwischen den unendlichen Möglichkeiten widerspruchsfreien Tuns wählen kann, liegt seine Freiheit. Die Dinge, welche Gott aus der unbegrenzten Menge seiner schöpferischen Möglichkeiten auswählt, stehen ausnahmslos in einem rationalen Kontext. "Gott erkennt die Dinge, bevor er sie erschafft ...; er heißt mithin mit Recht ein rational Handelnder" ("Deus ipsasmet res praecognoscit quas postea producit ...; ideo dicitur rationabiliter operans." OT IV, 504). (Fs)

41a Daß Gott sich selbst als einen widerspruchsfrei Handelnden begreift, bedeutet freilich nicht, daß dies auch dem Menschen im vollen Umfang möglich wäre. Die Vernunft des Menschen ist eingeschränkt, weil und insoweit sie sich nur im Rahmen und auf dem Boden ihrer eigenen Möglichkeiten bewegen kann. Hierauf wird im folgenden Kapitel näher einzugehen sein. Nur soviel sei schon jetzt gesagt: Nach Ockham unterliegt alles menschliche Erkenntnis- und Wissensstreben dem Gebot der Ökonomie. Dasselbe besagt: Was sich mit einfacheren Annahmen erklären läßt, das wird umsonst mit komplizierteren versucht. Daß es sich dabei um ein Grundprinzip Ockhamschen Denkens handelt, soll im folgenden gezeigt werden. (Fs)

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