Autor: Sala, Giovanni B. Buch: Kontroverse Theologie Titel: Kontroverse Theologie Stichwort: Zwei Modelle von Gemeinden; Pfarrei-Prinzip - Eucharistie-Prinzip; Pfarrverband (eg: Seelsorgeraum), Pfarrbeauftragter; professionelle Seelsorge von Laien Kurzinhalt: De facto hat das Pfarrei-Prinzip im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Priestermangel zur Bildung der sog. Pfarrverbände geführt ... die am Ende eine entsakralisierte und entsakramentalisierte "Kirche" entstehen läßt Textausschnitt: 12. Zwei Modelle von Gemeinden
176a Der Priestermangel zwingt zu einer Konzentration in der Seelsorge. Die entscheidende Frage, die sich daraus stellt, lautet: Nach welchem Prinzip soll die Konzentration erfolgen? Unter Voraussetzung der geltenden Ordnung der Kirche (CIC) bieten sich zwei voneinander verschiedene Kriterien an, die m.E. zu zwei (unter theologischem wie praktischem Gesichtspunkt) sehr verschiedenen Arten von Konzentration führen. (Fs)
176b Das erste Kriterium ist das Pfarrei-Prinzip, so wie es im CIC im Abschnitt über "die innere Ordnung der Teilkirchen", Kap. 6, wo von Pfarrei und Pfarrer die Rede ist, vorliegt. Für unser Problem sind von unmittelbarer Bedeutung c. 518, in dem die Pfarrei "in aller Regel" als territorial abgegrenzt festgelegt wird und alle Gläubigen des betreffenden Gebiets umfaßt. Weiter nach c. 526,1: "Der Pfarrer soll nur für eine Pfarrei die pfarrliche Sorge haben; wegen Priestermangels oder anderer Umstände aber kann die Sorge für mehrere benachbarte Pfarreien demselben Pfarrer anvertraut werden". Gemäß dem schon zitierten c. 517,2 kann der Bischof wegen Priestermangels einen Diakon oder einen (oder mehrere) Laien an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen lassen. Für diesen Fall hat der Bischof einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet. (Fs)
176c Aus dem so aufgefaßten Pfarrei-Prinzip folgt, daß für jede Pfarrei (oder mehrere benachbarte Pfarreien) ein Priester zuständig sein muß, der die Vollmacht eines Pfarrers hat. Wie aber die Seelsorge in dieser Seelsorgseinheit wahrgenommen werden soll, bleibt bis zu einem gewissen Grad (auch wenn man den anderen canones dieses Abschnittes Rechnung trägt) offen. Das Pfarrei-Prinzip läßt deshalb an sich mehrere Möglichkeiten für die Wahrnehmung der Seelsorge zu. (Fs)
176d De facto hat das Pfarrei-Prinzip im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Priestermangel zur Bildung der sog. Pfarrverbände geführt, d.h. Seelsorgseinheiten, die mehrere Pfarreien umfassen, welche irgendwie bestehen bleiben, insofern die Gläubigen als (zunächst) ihrer früheren Pfarrei zugeordnet gelten, in der die Seelsorge soweit wie möglich weiterhin wahrgenommen wird. (Fs)
177a Die so erreichte Konzentration erweist sich als "Biotop" der neuen pastoralen Dienste. Der Pfarrer des Pfarrverbandes versucht zusammen mit Laien als hauptamtlichen Mitarbeitern/innen die Seelsorge in allen verschiedenen kleineren Gemeinden wahrzunehmen. Der in regelmäßigen Abständen gehaltene Wortgottesdienst in den unselbständig gewordenen Gemeinden, andere seelsorgliche Handlungen, die auch von Personen ohne Priesterweihe noch gültig vollzogen werden können, führen das Pfarrleben in der (weitgehend) priesterlosen früheren Pfarrei weiter. (Fs)
177b Eine Variante der Konzentration auf der Grundlage des Pfarrprinzips geschieht durch den neuerdings eingeführten und sich zunehmend ausbreitenden Pfarrbeauftragten, in dem die Übertragung der Seelsorge an Nichtpriester ihren deutlichsten und umfassendsten Ausdruck findet. In diesem Falle, in dem ein Laie die Pfarrei selbständig leitet und seelsorglich betreut, reduziert sich die Beteiligung des Priesters auf das Minimum einer bloßen Dienstaufsicht über den (oder die) Beauftragten und auf sakramentale Handlungen, die das Weiheamt absolut benötigen. (Fs)
177c Das auffallendste (und theologisch gravierendste) Merkmal dieses Modells ist, daß der Ersatzcharakter der durch Laien wahrgenommenen Seelsorge, allen voran der sonntäglichen Wortgottesdienste, auf die Dauer kaum wirksam bewahrt werden kann: Weder von den liturgischen Handlungen her noch vom pastoral tätigen Laien selbst; vom letzteren kann schon rein menschlich nicht erwartet werden, daß er auf dem Ersatz- und Vorläufigkeitscharakter dessen, war er tut, bestehen wird. Es wäre realitätsfern in der gegenwärtigen kirchlichen Großwetterlage und auf der Basis der prinzipiell unbegrenzten Zahl (soweit nämlich die Finanzen es gestatten) von Laientheologen, die zur Verfügung stehen, zu meinen, sie würden Gottesdienste "in Erwartung des Priesters und der Hl. Messe" halten. A fortiori gilt dies für das Sakrament der Beichte, das theologisch und pastoral eng mit der Eucharistie verbunden ist. Letzte Station der auf diese Weise in Gang gesetzten "Entflechtung" des Weiheamtes ist, daß die sakramentale Grundstruktur der Kirche unterlaufen und letztlich zerstört wird. (Fs)
177d Das zweite Kriterium für die unausweichliche Konzentration ist das Sakrament-Prinzip, näherhin das Eucharistie-Prinzip. Ausgangspunkt dieser alternativen Lösung der pastoralen Schwierigkeiten infolge des Priestermangels ist genau die sakramentale Grundstruktur der Kirche, die im ersten Modell zwar nicht negiert, deren tatsächliche Aufrechterhaltung aber auf dem Spiel steht, weil das kirchliche Leben der Gemeinde in zunehmendem Maße so geführt wird, daß es auch ohne sakramentale Praxis, in erster Linie ohne Eucharistie, auskommen kann. (Fs)
178a Die kirchenrechtlichen Bestimmungen, denen das erste Modell Genüge leisten soll, legen zwar den Leitungsdienst formal in die Hände eines geweihten Hirten, aber sie bestimmen nicht, in welcher Relation die Gläubigen der Seelsorgseinheit zu jener sonntäglichen Feier der Eucharistie stehen, die von Anfang an die Ortskirche, d.h. die Versammlung der Christen eines bestimmten Gebietes wesentlich konstituiert hat. (Fs)
178b In der Urkirche waren die "Pfarreien" soviele wie die Eucharistieversammlungen. Der Hinweis auf die Kirche des Anfangs ist in diesem Kontext kein nostalgischer Anachronismus. Denn die Menschwerdung Gottes und die Eucharistie bilden, schon rein religionsphänomenologisch, das einzigartige Merkmal des Christentums. Die transzendente Gottheit ist für den christlichen Glauben der "Gott mit uns". Die Eingliederung in die Heilsgemeinschaft der Kirche geschieht durch das Sakrament der Taufe, das das bleibende Fundament des christlichen Lebens darstellt. Aber das christliche Leben erhält seine Vollgestalt in der Teilnahme am sakramental vergegenwärtigten Opfer Christi und in der darin stattfindenden eucharistischen Vereinigung der Gläubigen mit dem Erlöser. Infolgedessen ist die Ortskirche die Versammlung derer, die am Tisch des Herrn teilnehmen und so "Hausgenossen Gottes" (Eph 2,19) geworden sind. (Fs)
178c Das Pfarrei-Prinzip, wie es im Pfarrverband und noch mehr in der Pfarrei eines Pfarrbeauftragten verwirklicht ist, sieht - von seinem Konzept her und in diesem Sinne konstitutiv - für die Bewältigung des Priestermangels Alternativen zur Eucharistiefeier vor. Damit wird eine Ortskirche ins Leben gerufen, die auch ohne Eucharistie, also ohne die sakramentale Grundstruktur (ausgenommen das Sakrament der Initiation) Kirche sein soll, während dies im zweiten Modell, das bis zur Urkirche zurückgeht, schlechthin unmöglich ist. Daß in einer Gemeinde nach dem Pfarrei-Prinzip-Modell irgendwo die Eucharistie gefeiert wird, geht das Leben der übrigen Gemeinde kaum etwas an, und daß in einer einem Laien anvertrauten Pfarrei die Leitung einem Priester zugewiesen wird, bleibt in der Wirklichkeit eine bloße Formalität. (Fs) (notabene)
178d Es ist diese Kluft zwischen der kirchenrechtlich festgelegten Leitung der Pfarrei durch einen Priester und der unbestimmt gelassenen Eucharistiefeier, die, freilich ungewollt, einer Entwicklung in der Seelsorge Vorschub geleistet hat, die am Ende eine entsakralisierte und entsakramentalisierte "Kirche" entstehen läßt; eine Kirche jedenfalls, in deren Mitte eine von Laien professionell betriebene Seelsorge steht, deren geistlicher Inhalt hier nicht weiter nachgefragt werden soll. Die Aufhebung des sakramentalen Amtes in der Reformation hat unaufhaltsam die genannte verhängnisvolle Entwicklung freigesetzt, deren Konsequenzen im Leben der protestantischen Kirche heute unübersehbar sind. (Fs)
178e Das Eucharistie-Modell schließt mit den oben genannten Eucharistiezentren die Kluft zwischen Eucharistie und Versammlung der Gläubigen von Anfang an aus, indem es das Prinzip der Leitung der Seelsorge mit dem sakramentalen Prinzip dahingehend koinzidieren läßt, daß die Seelsorgseinheit um die Eucharistiefeier entsteht und aus ihr lebt. Um dies zu verwirklichen, greift das Modell nicht zu einer "Entflechtung" des Weiheamtes und zur Mobilität eines sakramental neutralen "Pastoralteams", sondern bürdet die Mobilität den Gläubigen selbst auf. Zur Ortskirche gehören deshalb die Gläubigen, die sich sonntags auf den Weg machen, um an "der Zusammenkunft all derer, die in Städten oder auf dem Land wohnen", teilzunehmen, wobei die gemeinte Zusammenkunft in den zitierten Worten des hl. Justinus um die Eucharistiefeier stattfindet. Deswegen wurde "der Tag der Sonne", wie es in diesem an die Heiden adressierten Text noch heißt, für die Christen zum "Tag des Herrn" (dies dominica) schlechthin1. (Fs)
179a Nach diesem Modell von Ortskirche braucht das Territorialprinzip, auf dem der CIC besteht, nicht aufgegeben zu werden. Um so mehr gilt dies für unsere Länder, in denen die Kirche als eucharistische Zusammenkunft von den Gläubigen keine stundenlange Reise erfordert. In Frage käme eventuell die Bestimmung des c. 518, demzufolge die Pfarrei "alle Gläubigen eines bestimmten Gebietes zu umfassen hat". Denn heute stellt sich in einem nie vorher gekannten Ausmaß die Frage: Wer gilt als Gläubiger? All die Kartei-Katholiken, die (fast) jegliches kirchliches Leben aufgegeben oder gar nie praktiziert haben? Wenn man auf die automatische Zuordnung eines Getauften zu einem Eucharistiezentrum infolge der bloßen Adressenlisten des Einwohneramtes verzichtet (wofür ernste Gründe sprechen), bleibt die freiwillige Meldung der Gläubigen selbst bei dem Eucharistiezentrum übrig, um Mitglied der so entstandenen Pfarrei zu werden. (Fs)
179b Das Modell des Eucharistiezentrums bedeutet keineswegs den Verzicht auf die Mitarbeit von Laien, und zwar nicht nur in den organisatorisch-administrativen Aufgaben der Pfarrei, sondern auch in der Seelsorge. Ohne die gegenwärtige Institution der "pastoralen Dienste", die darauf angelegt ist, die Laien zu dauerhaften Ersatz-Priestern zu machen, hat die Tradition der Kirche immer eine solche Mitarbeit der Laien gekannt und in Anspruch genommen - freilich in einem jeweils anderen sozio-kulturellen Kontext. Man denke z.B. an die Weitergabe des Glaubens durch die Familie, an die katechetische Tätigkeit, an die christliche Erziehung der Jugendlichen durch Vereine von Laien usw. Heute wird die Kooperation von Priestern und Laien im Leben der Ortskirche wohl vielfältiger und umfassender sein; dazu können Laien auch hauptamtlich in der Seelsorge eingesetzt werden, wo dies sich als nötig und nützlich erweist. Dies braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. (Fs)
180a Wesentlich für das hier vorgeschlagene Modell ist ein Doppeltes. Zum einem konzentriert der Priester seine seelsorglichen Bemühungen auf die Sa-kramentenpastoral (Eucharistie, Beichte), auf die Verkündigung des Wortes Gottes, in erster Linie die Homilie der Hl. Messe, und auf die geistliche, persönliche Leitung der Gläubigen, vor allem derer, die gewillt sind, ein intensiveres geistliches Leben zu führen. Zum anderen kann die Mitarbeit der Laien wahrgenommen werden, ohne die Grenzen zwischen allgemeinem und sakramentalem Priestertum zu verwischen, weil die ganze Seelsorge nicht die Summe unzähliger Aktivitäten ist, die sich verschiedentlich dosieren, ausgestalten und verteilen lassen, sondern deutlich von der Eucharistie ausgeht und auf sie hinführt. Vor allen Dingen wird die Tendenz eines Wortgottesdienstes, der in Wirklichkeit keinen Ersatzcharakter mehr aufweist, zu einer Ersatz-Eucharistiefeier zu werden, gebannt. Die etwaige Ausübung von Aufgaben des priesterlichen Dienstes, die enger mit dem geweihten Amt verbunden sind, ohne jedoch absolut das Weihesakrament vorauszusetzen, wird eindeutig den Charakter einer ersatzweisen und vorläufigen Übernahme bewahren angesichts der klaren Stellung, die die Person des Priesters innehat. (Fs) ____________________________
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