Autor: Sala, Giovanni B. Buch: Kontroverse Theologie Titel: Kontroverse Theologie Stichwort: Kirche - Moderne; Großkirche, Volkskirche - Anpassung Kurzinhalt: ... aufgrund ihres noch aus der Aufklärungskritik stammenden Schuld- und Minderwertigkeitsgefühls unterwirft sich die Kirche fortwährend in hektischer Weise der Moderne und übernimmt vielfach unbesehen deren Parameter. Textausschnitt: 168c Die Kirche steht im Zuge der unaufhaltsamen "zweiten Modernisierung"1 der Weltgesellschaft vor gewaltigen Problemen, die durch die einschneidenden sozio-ökonomischen Umbrüche und geistigen Verunsicherungen unserer Zeit an sie herangetragen und die, da die Christen zugleich auch Glieder der bürgerlichen Gesellschaft sind, zu ihren eigenen inneren Schwierigkeiten werden. So kann man im Blick auf die kirchliche Gegenwart unschwer den Eindruck gewinnen, die Kirche (d.h. die geweihten Träger des Leitungsdienstes sowie das übrige Gottesvolk!) taumle desorientiert in den heutigen Stürmen umher und sei weit stärker außengesteuert als selbsthandelnd und souverän reagierend. Das ist natürlich nicht verwunderlich, da die Orientierungslosigkeit aufgrund der Rasanz und Tiefe der Zeitbewegungen nahezu alle Institutionen des öffentlichen Lebens erfaßt hat und alle einigermaßen ratlos erscheinen läßt. Im Falle der Kirche kommt noch hinzu, daß sie immer noch mit der "ersten Modernisierung", d.h. der Aufklärung und dem Industrialisierungsaufbruch ringt, so daß sie sich wie gelähmt der Gegenwart nicht produktiv zu stellen vermag. Eine solche Lähmung wird u.a. an zwei eng zusammenhängenden Symptomen deutlich. (Fs)
169a Erstens, aufgrund ihres noch aus der Aufklärungskritik stammenden Schuld- und Minderwertigkeitsgefühls unterwirft sich die Kirche fortwährend in hektischer Weise der Moderne und übernimmt vielfach unbesehen deren Parameter. Einige Bereiche seien hier genannt: Die - aufgrund ihres Selbstverständnisses als Leib Christi ganz unsachgemäße - Verdemokratisierung und Verparlamentarisierung2, die Schleifung ihrer anstößigen Theologumena, die Konturlosigkeit vor allem der sittlichen Verkündigung, die bis zur Nullgrenze reichende Senkung ihrer Mitgliedsbedingungen, die allzu bereitwillige Akzeptanz all dessen, was mit Wissenschaftlichkeitsanspruch auftritt, die Marginalisierung des besonderen Weiheamtes und der mit ihrer sakramental-hierarchischen Struktur verbundenen Autorität usw. - durch all das will die Kirche zeitgemäß und so ein akzeptables Kind der Moderne sein. (Fs)
169b Zweitens, zugleich ist die Kirche jedoch auch wieder auf gefährliche Weise vor allem dort innovationslahm, wo sie meint, ihren gesellschaftlichen Einfluß durch ihre zivilreligiöse Relevanz sichern zu müssen. Aber genau diese zivilreligiöse Relevanz und damit ihre Öffentlichkeitsakzeptanz und -Präsenz hätte sie nicht mehr, wenn sie ihre überkommenen Strukturen aufgeben würde, wozu sie ja mittlerweile durch den weitgehenden Tod der volkskirchlichen Substanz Anlaß hätte. Damit die Struktur einer Großkirche aufrechterhalten werde, wird alles nur Erdenkliche unternommen, um die Massen rein formal zu halten: Die erschütternde und für die Priester so frustrierende Sakramentenpastoral der Billigstpreise; die Nivellierung aller unterscheidenden sittlichen Kriterien, welche ausgrenzend sein könnten; die markt- und konsumgerechte Offerierung ihres geistlichen Angebotes; die Beibehaltung sozialer, karitativer und kultureller Einrichtungen, die bei weitem ihre tatsächlichen Möglichkeiten übersteigen, diese Einrichtungen durch Gläubige zu führen, welche die Einrichtungen mit christlichen Inhalten füllen. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Präsenz der Kirche in der modernen Gesellschaft gestaltet werden soll, damit sie das erlösende Werk Christi aus dem Eigenen möglichst allen Menschen wirksam vermitteln kann. (Fs) ____________________________
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