Autor: Pesch, Rudolf Buch: Römerbrief Titel: Römerbrief Stichwort: Kommentar Römerbrief: 1:21- ; Verkehrtheit der Geschöpfe - Vertauschung; "Wurzelsünde der »Begierde« statt der Einsicht; Homosexualität; Vatikanum I; homo incurvatus in seipsum Kurzinhalt: Paulus betont die Souveränität Gottes, der die Menschen an die Auswirkung ihrer »Vertauschung« preisgibt ... Die Preisgabe an die Begierden (1:24) wird nun konkretisiert als ... Textausschnitt: 1:21-23
Nicht an Gott in seiner Erkennbarkeit und nicht an der Möglichkeit der Erkenntnis Gottes liegt es, daß die Menschen Gott »als Gott« - seiner Gottheit gemäß - nicht gedankt, ihn nicht geehrt haben; vielmehr liegt es an ihrer eigenen Verfallenheit an das Nichtige, um das ihre Gedanken kreisen, an der (dem neidischen Auge: -> Gen 4:5f; Mt 6:22f gemäßen) Verfinsterung des unverständigen Herzens, die sie - vermeintlich weise - wie Toren im Dunkel tappen läßt. Die Betörung der Menschen kommt in der (erstgenannten) »Vertauschung« der »Herrlichkeit«, der unvergänglich-machtvollen Identität, der Göttlichkeit Gottes, mit Götzenbildern heraus; die Menschen hätten als »Ebenbilder« Gottes an seiner »Herrlichkeit« partizipiert, haben statt dessen aber ihre eigenen Abbilder angebetet und sich sogar Tierbildern - statt über die Tiere zu herrschen - versklavt.
1:24-25
Paulus betont die Souveränität Gottes, der die Menschen an die Auswirkung ihrer »Vertauschung« preisgibt; durch die in ihnen wirkende "Wurzelsünde der »Begierde«, die statt der Einsicht (1:21) die Herzen besetzt, binden sie sich an die »Unreinheit« der Schändung ihrer eigenen Leiber, welche der Hurerei des Götzendienstes entspricht. In 1:25 wiederholt Paulus den Gedanken von 1:23 und präzisiert ihn im Rückgriff auf 1:18: die »Vertauschung« ist (zweitens) die von »Wahrheit«, der Verläßlichkeit Gottes, mit »Lüge«, dem täuschenden Trug, durch den der verdrehte Mensch sich zu rechtfertigen sucht, der statt dem Schöpfer - Paulus preist Ihn spontan, der im Götzendienst gelästert wird - den Geschöpfen Anbetung und Verehrung zukommen läßt und auch darin sich selbst entwürdigt.
1:26-27
Die Preisgabe an die Begierden (1:24) wird nun konkretisiert als die an »die entehrenden Leidenschaften« in der (dritten) »Vertauschung«: der Homosexualität unter Frauen und Männern, der Verkehrung des natürlichen Verkehrs in widernatürlichen; Paulus sieht mit dem Judentum die Homosexualität als die Heiden kennzeichnende Verirrung der brennenden Begierde, zugleich in der Schande solchen Tuns den gebührenden Lohn für die Selbsterniedrigung in Gottlosigkeit. Paulus erblickt in der Homosexualität die leibliche Entsprechung zur Selbstvergötzung des Menschen, der sein Abbild zur »Ikone« macht.
1:28-31
Zusammenfassend lenkt Paulus zu 1:21 zurück: Die Menschen verwarfen Gott - Gott gab sie »einem verworfenen Denken« preis. Die (verfehlte) Gotteserkenntnis ist »nichts Theoretisch-Abstraktes, sondern das Gewahren der in der Schöpfung gegenwärtig-wirksamen Macht des Schöpfers und das praktische Wahrnehmen seines Willens im Tun« (U. Wilckens) bzw. die praktische Entscheidung gegen Gott, »das Ungehörige zu tun«. Das Pflicht-Widrige belegt Paulus mit einem Lasterkatalog, in dem (im griechischen Urtext) rhetorisch kunstvoll zunächst vier, dann fünf Laster mit »angefüllt« (EÜ: »voll«) bzw. »voll« eingeführt, dann acht paarweise angeordnete Adjektive (die beiden letzten in Wortverbindungen) und schließlich vier (mit ?-privativum = »un-« gebildete) Adjektive angeschlossen sind (im Urtext z.T. mit Paronomasie). Voran steht die 1:18 schon doppelt hervorgehobene »Ungerechtigkeit«, den Beschluß bilden »Lieblosigkeit« und »Erbarmungslosigkeit«, die vielen Formen verfehlter Sozialbeziehung rahmend.
1:32
resümiert (-> 1:25): Obwohl die Menschen die Rechtsforderung Gottes kennen und um den Tod als Folge ihres sündigen Tuns wissen, qualifizieren sie sich als des Todes Schuldige, dem Zorn Gottes Verfallene, durch ihr Gottesrechts-widriges Tun und den die Täter unterstützenden »Applaus, der alle Laster amüsiert begleitet« (E. Käsemann). Die Möglichkeit der »natürlichen Gotteserkenntnis« ist vom Vatikanum I, das in Sessio III festhielt: »Deum, rerum omnium principium et finem, naturali rationis lumine ex rebus creatis certo cognosci posse«, lehramtlich definiert worden; damit gehört 1:20 zu den wenigen Schriftstellen, die in ihrem Sinn lehramtlich ausgelegt sind. Paulus denkt freilich ursprünglicher als in den Kategorien von Wirkung und Ursache, durch die vom vor Augen Liegenden auf das Zugrundeliegende geschlossen wird: »Gottes Schöpfung verwahrt in sich den Anblick des sich zu erkennen gebenden Schöpfers« (H. Schlier). In der nicht gefallenen Schöpfung (-> 3:23; 8:19f) lag der Machtglanz Gottes auf seinen Geschöpfen, der von den nicht-verfinsterten Herzen verstehend im anerkennenden Dank wahrgenommen werden konnte. Auf die Wahr-Nehmung im Sinne der An-Erkenntnis kommt es bei der Gotteserkenntnis an; sie ist nicht vom Grad philosophischer Bildung oder intellektueller Fähigkeit abhängig, sondern von der Unverbildetheit bzw. der Heilung der Verkrümmtheit des homo incurvatus in seipsum, des durch die Sünde in sich selbst zurückgekrümmten, verklemmten Menschen. Wie in Rö 7 besonders deutlich wird, denkt Paulus zentral von Gen 3, der Sündenfallgeschichte, her: "Wer selbst wie Gott sein will, dankt ihm nicht, verweigert Gott die göttliche Ehre und gibt so seine Geschöpflichkeit und mit ihr die wahre Gotteserkenntnis preis, die durch die Verkehrung der Welt überdies verstellt wird. Der Un-Dank hat überdies Folgen für das Denken: Es verfällt der Nichtigkeit, der Sinn- und Ziellosigkeit, den Götzen als den »Nichtsen«.
Die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis muß festgehalten werden, weil die Verantwortung des Menschen nur so festgehalten werden kann; sie steht auch in Beziehung zur Unterscheidung von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung und zur Widerspruchslosigkeit von Vernunft und Glaube, die für das Leben in der Glaubensgemeinschaft insofern fundamental ist, als in ihr der natürlichen, mit der Vernunft erkennbaren Identität der Dinge und Beziehungen, die geheilt, ganz gemacht werden können, entsprochen werden kann und muß. ____________________________
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