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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Zusammenfassung: Empfängnisverhütung; Humane vitae: heutige Moraltheologie (teleologische Ethik) -> keine intentionale Analyse

Kurzinhalt: Empfängnisverhütung im Rahmen heutiger Moraltheologie ... Es findet sich bei ihnen keinerlei anthropologische und handlungstheoretische Reflexion. Vielmehr ...

Textausschnitt: a) Rückblick auf den Gang der Argumentation
123a Fassen wir zunächst die bisherigen Ergebnisse zusammen: Empfängnisverhütung ist sittlich falsch, weil sie eine Art von Sexualverhalten involviert, das mit prokreativer Verantwortung unvereinbar ist. Diese Unvereinbarkeit ergibt sich aus der Tatsache, daß kontrazeptives Sexualverhalten die Einheit von Leib und Geist auf der Ebene des konkreten Verhaltens zerstört. Diese Einheit zerstören heißt sowohl, Sexualität aus ihrem prokreativen Sinngehalt herauszulösen, wie auch, auf diese Weise Sexualität zu desintegrieren oder zu isolieren, so daß sie kein wahrer Ausdruck und keine affektive Erfüllung personaler Liebe mehr zu sein vermag. Deshalb schließt kontrazeptives Verhalten Eigenschaften ein, die auch für andere Formen desintegrierter Sexualität wie Onanismus, Petting, Anal- und Oralsex spezifisch sind. Aufgrund dieser teilweisen Ähnlichkeit mit solchen Formen sexueller Triebbefriedigung vermag kontrazeptiver Sexualverkehr keine gegenseitige Selbsthingabe zweier Personen zu sein; vielmehr wird er zu einem Prinzip, welches die personale Gemeinschaft untergräbt. Insofern Empfängnisverhütung innerhalb der Ehe praktiziert wird, steht sie auch im Widerspruch zur Einheit zweier Personen in einem Fleisch, die sich aus Liebe aneinander gebunden haben, um auf verantwortliche Weise der Aufgabe zu dienen, menschliches Leben weiterzugeben. (Fs)

124a Was ich darlegte, ist nun tatsächlich eine Argumentation gegen die Empfängnisverhütung, die darauf hinzielt, kontrazeptiven Sexualverkehr als Verstoß gegen das sogenannte "Naturgesetz" ("natürliches Sittengesetz", lex naturalis) zu erweisen. Es scheint mir wichtig, den argumentativen Gehalt eines jeden Schrittes nicht aus den Augen zu verlieren. Die Argumentation bestand erstens in einer anthropologischen Analyse der substantiellen Wesenseinheit des Menschen als Einheit von Leib und Geist, was uns zum Verständnis des Untrennbarkeitsprinzips führte. Zweitens wurde, auf dieser Grundlage, der Begriff "prokreative Verantwortung" als sittliche Tugend entwickelt, was uns ermöglichte, das Untrennbarkeitsprinzip auf konkrete Vollzüge sexueller Akte zu beziehen. Drittens folgte die Analyse des kontrazeptiven Verhaltens und seiner wesentlichen Verschiedenheit von periodischer Enthaltsamkeit und es wurde gezeigt, wie das erstere mit sittlicher Tugend im allgemeinen und mit prokreativer Verantwortung im besonderen im Widerspruch steht, und daß kontrazeptiver Sexualverkehr in der Tat mit dem Untrennbarkeitsprinzip und damit auch mit der "Wahrheit über den Menschen" unvereinbar ist. Viertens wurden die intrinsischen Implikationen der Empfängnisverhütung für die eheliche Liebe aufgewiesen, was den wirklichen Ernst der in Empfängnisverhütung implizierten sittlichen Verkehrung zeigte. Diese Argumentation, welche die personale Struktur der Tugend der Keuschheit hervorhebt, steht, wie mir scheint, in vollem Einklang mit der leitenden Perspektive der in "Humanae vitae" enthaltenen Lehre. (Fs)

125a Wenn wir die Behandlung der Frage der Empfängnisverhütung im Rahmen heutiger Moraltheologie, soweit sie "Humanae vitae" kritisch gegenüber steht, betrachten, so muß sofort auffallen: Die Vertreter dieser Richtung scheinen die entscheidenden Fragen in der Tat auszuklammern. Es findet sich bei ihnen keinerlei anthropologische und handlungstheoretische Reflexion. Vielmehr begründen sie die mögliche Erlaubtheit, von Empfängnisverhütung aufgrund einer Theorie sittlicher Urteile, die heute als "teleologische Ethik", "Konsequentialismus" oder "Proportionalismus" bekannt ist. Dieser Theorie gemäß muß die sittliche Richtigkeit einer Handlungsweise aufgrund ihrer voraussichtlichen Folgen beurteilt werden. Diese Folgen bestehen in der Bewirkung von nichtsittlichen Gütern oder Übeln. Die Unfruchtbarkeit sexueller Akte wird als "nichtsittliches" oder "physisches" Übel betrachtet, das man bewirken darf, sofern die daraus voraussichtlich entstehenden Folgen insgesamt besser sind. Das Verheerende an dieser Argumentationsweise, die in ihrem Kern bereits den berühmten Mehrheitsbericht der Päpstlichen Kommission für Bevölkerung, Familie und Geburten prägte1, ist nicht, daß man die Folgen von menschlichen Handlungen berücksichtigt, sondern daß diese Folgen unter völligem Absehen von der inneren, objektiven oder intentionalen, auch durch anthropologische Gegebenheiten mitgeprägten Struktur menschlicher Handlungen beurteilt werden, nämlich nur als gleichsam äußere Ereignisse, Sachverhalte und Zustände, die der Handelnde bewirkt. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Theorie sittlichen Handelns einzugehen. Ich habe mich an anderer Stelle damit auseinandergesetzt und es gibt unterdessen reichhaltige, konsequentialismuskritische Literatur2. Es sei hier nur ganz generell gesagt: Moraltheologen, die Empfängnisverhütung befürworten, vermögen ihre Sicht nur deshalb plausibel zu machen, weil sie es unterlassen, darüber zu sprechen, was Eheleute eigentlich wählen und in einem intentionalen Sinne tun, wenn sie Empfängnisverhütung praktizieren. Deshalb scheint ihnen auch alles daran gelegen zu sein nachzuweisen, daß "Humanae vitae" Empfängnisverhütung nur deshalb verurteilt, weil sie "künstlich", "unnatürlich" ist - als "künstliche Methode" -, nicht aber weil sie in sich der menschlichen Identität als in leib-geistiger Wesenseinheit konstituierter Personalität widerspricht und deshalb auch Folgen zeitigt, die - ganz unabhängig von anderen Folgen - dem für den Menschen Guten, dem menschlichen Wohl widersprechen. Wenn immer wieder gesagt wird, die in "Humanae vitae" ausgesprochene sittliche Norm könne nicht einsichtig gemacht werden, so drängt sich der Verdacht auf, daß dies nur dann der Fall ist, wenn die entscheidenden Gesichtspunkte, aufgrund derer allein die Norm überhaupt einsichtig werden kann, gar nicht zur Sprache gebracht, sondern von vorneherein ausgeklammert werden. (Fs) (notabene)

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