Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Sexualiät und Verantwortung Titel: Sexualität und Verantwortung Stichwort: "kontrazeptive Mentalität" - Problem der Abtreibung; Statistik USA; ausserehelicher Sexualverkehr Kurzinhalt: Kein "normaler" Mensch, der eine Abtreibung vornimmt, tut dies ja, weil er Menschen töten will (auch wenn er es faktisch tut). Ebenfalls nimmt er keine Abtreibung vor, weil er will, daß dieser bestimmte Mensch nicht geboren wird. Sondern ... Textausschnitt: 116a Eheleute hingegen, die Empfängnisverhütung anwenden und denen ein "Mißgeschick" unterläuft (was ja durchaus aus verschiedenen Gründen vorkommen kann), werden sich gerade für ein dann entstehendes neues Leben nicht verantwortlich fühlen, denn sie haben ja eine Handlungslinie gewählt, die absichtlich ausschließt, als Subjekt sexueller Akte eine mögliche Ursache für die Entstehung neuen Lebens sein zu können, und die deshalb auf ebenso intentionale Weise von Anfang an gar keine Bereitschaft miteinschließt, für möglicherweise eintretende prokreative Folgen eigener Sexualakte die Verantwortung zu tragen. Das neuentstandene menschliche Leben frustriert demnach gerade die kontrazeptive Handlungswahl; das Kind ist hier im eigentlichen und viel tieferen Sinne ein "ungewünschtes Kind": Es steht im Widerspruch nicht nur zur generellen (und u.U. legitimen) Absicht, eine Empfängnis zu vermeiden, sondern auch mit der gewählten Linie des eigenen Sexualverhaltens. Das Kind wirkt hier als Bedrohung und Störfaktor der eigenen Lebenspraxis. Genau dies ist es, was wir kontrazeptive Mentalität nennen können, die - wie bereits gesagt - in einem ganz bestimmten, aber wirklichen Sinne "anti-life", "gegen das Leben gerichtet" ist. Und diese Einstellung ist es auch, welche die Abtreibungsmentalität fördert, wobei noch bestimmt werden muß, was hier mit "Abtreibungsmentalität" genau gemeint ist. Es ist ja erwiesen, daß dort, wo kontrazeptives Verhalten sich verbreitet, auch die Zahl der Abtreibungen zunimmt. Dieser Zusammenhang ist nun freilich ein rein statistischer. Wir können nicht sagen: Wer Empfängnisverhütung anwendet, wird früher oder später zur Abtreibung schreiten oder ist bereits ein potentieller Abtreiber. Das ist auch mit der Erwähnung des oben genannten Zusammenhanges gar nicht gemeint und es gibt keine ebenso auf statistische Weise verifizierbaren Daten, die darauf schließen ließen. Das statistische Faktum ist nun allerdings ein Faktum, und es bedarf einer Erklärung. (Fs)
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118a Dennoch besteht der Zusammenhang zwischen Empfängnisverhütung und Abtreibung eigentlich gar nicht - wie viele meinen - darin, daß Empfängnisverhütung zur Abtreibung "führt", in dem Sinne, daß in der kontrazeptiven Wahl bereits im Kern enthalten ist, wovon Abtreibung dann nur die logische Konsequenz wäre, also eine Art "lebensvernichtende" Einstellung. Daß dies nur schwerlich begründetwerden kann, wurde ja bereits oben gezeigt. Wir müssen also, um den Zusammenhang zu erklären, keineswegs davon ausgehen, daß Empfängnisverhütung von ihrem Wesen her "anti-life" oder gar analog zu der in einem Homizid implizierten Intentionalität zu verstehen ist. (Fs)
118b Der Zusammenhang begründet sich vielmehr gerade in umgekehrter Weise: Kein "normaler" Mensch, der eine Abtreibung vornimmt, tut dies ja, weil er Menschen töten will (auch wenn er es faktisch tut). Ebenfalls nimmt er keine Abtreibung vor, weil er will, daß dieser bestimmte Mensch nicht geboren wird. Sondern er tut es aus dem genau gleichen Grund, aus dem man Empfängnisverhütung wählt: Weil er die prokreativen Folgen seines Sexualverhaltens ausschalten möchte und nicht gewillt ist, dafür die Verantwortung zu tragen. Das Embryo oder der Fötus wird hierbei gar nicht als existierender Mensch betrachtet (obwohl er das ist), sondern als bloße Ursache eines zukünftigen Geschehens: der Geburt eines Kindes, einer Folge, die man - anstatt durch Empfängnisverhütung - nun durch die Abtreibung verhindern will. (Fs)
119a Das ist wiederum eine intentionale Beschreibung, die freilich zeigt, daß eine mit dieser Intentionalität vorgenommene Abtreibung vor der Wirklichkeit eines existierenden menschlichen Lebewesens einfach die Augen verschließt1. So werden jedoch nun einmal viele Abtreibungen vorgenommen, d.h. mit einer kontrazeptiven Einstellung: mit der Einstellung, unerwünschte Folgen des eigenen Sexualverhaltens zu verhüten, d.h. gleichsam das Geschehene nun nachträglich "ungeschehen" zu machen. So wird denn auch beides, Empfängnisverhütung und Abtreibung, unter den neutralen, über alles einen Schleier werfenden Begriff "Geburtenregelung" subsumiert. (Fs)
119b Empfängnisverhütung impliziert also keine abortive Mentalität im "ersten Stadium", sondern umgekehrt: Eine bestimmte Form von Abtreibung ist nur das letzte Stadium oder die letzte Außerungsweise der kontrazeptiven Mentalität. Das Grundproblem ist hier ja gar nicht, daß die Menschen keine Kinder haben wollen; sie wollen gar nicht etwas "nicht haben". Vielmehr wollen sie etwas haben, nämlich "Sex", - aber ohne Kinder. Ob sie die Geburt eines Kindes nun vor oder nach erfolgter Empfängnis verhindern, spielt hier intentional gesehen gar keine Rolle mehr2. (Fs)
120a Deshalb kann Abtreibung, intentional betrachtet, zu einem Mittel der Empfängnisverhütung werden. Das mag paradox klingen, entspricht, aber genau der Wirklichkeit: Man riskiert es eben nun auch einmal ohne Kondom oder obwohl man gerade keine Ovulationshemmer einnimmt; und wenn es nicht klappt, dann erfolgt die ambulante Abtreibung (das zeigt sich auch darin, daß von den 1,5 Millionen legalen Abtreibungen, die jährlich in den USA vorgenommen werden - von 1973-1989 waren es insgesamt 21 Millionen-, 81% auf unverheiratete Frauen fallen, 62% davon unter 25 Jahren; 40% aller Abtreibungen im Bundesstaat Kalifornien sollen - nach Angaben von Rhomberg, McCaffrey, Riehle und Wiliken auf der "World Conference on Love, Life and Family", 1988 - auf sogenannte "Verhütungsversager" zurückzuführen sein"). Vielerorts (wie in den USA) ist es ja sogar einfacher und mit weniger Mühen verbunden, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, als sich der Disziplin der Anwendung kontrazeptiver Mittel zu unterwerfen, was für viele Frauen oft auch mit äußerst unerwünschten gesundheitlichen Nebenfolgen verbunden, in jedem Fall aber nicht gerade sehr komfortabel ist. Zudem wirken ja heute die meisten Empfängnisverhütungsmittel gerade aus dem Grund, solche Nebenfolgen zu minimalisieren, abortiv. Wer das weiß, für den gibt es auch keinen Grund mehr, von einer chirurgischen Abtreibung abzulassen, und er wird dann auch geneigt sein, die "Abtreibungspille" RU 486 als medizinischen Fortschritt zu betrachten. (Fs)
120b Die Aggressivität der Abtreibungsmentalität erklärt sich gerade durch die Tatsache, daß ihr eigentlich die kontrazeptive Mentalität zugrunde liegt und daß dabei das Faktum, daß man auf diese Weise ein menschliches Wesen tötet, verdrängt wird. [...]
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