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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Porkreative Verantwortung - Sterilität, Unfruchtbarkeit

Kurzinhalt: Wie steht es denn im Falle pathologischer oder altersbedingter Sterilität?

Textausschnitt: 111a Man wird sich vielleicht fragen: Wie steht es denn im Falle pathologischer oder altersbedingter Sterilität? Die Frage läßt sich lösen, wenn wir uns daran zurückerinnern, daß der prokreative Sinngehalt der Sexualität nicht an ihre effektive, biologisch-physiologische Fruchtbarkeit gebunden ist, sondern einzig und allein auf dem intentionalen ("per se") Hingeordnetsein sexueller Akte auf die Erzeugung neuen menschlichen Lebens beruht. "Prokreativer Sinngehalt" eines Sexualaktes heißt ja, daß sein Vollzug der Vollzug eines Aktes des Typs "prokreativer Akt" ist, und das ist der Fall - oder kann grundsätzlich der Fall sein - unter der Voraussetzung, daß unabhängig vom Willen des Menschen, von Natur aus gegebene Fruchtbarkeit des Aktes nicht willentlich ausgeschaltet wurde. Daß und weshalb im Falle periodischer Enthaltung auch in wissentlich unfruchtbaren Sexualakten der prokreative Sinngehalt bewahrt wird, wurde oben nachgewiesen. Und daß und weshalb durch kontrazeptive Maßnahmen der prokreative Sinngehalt des Sexualverkehrs gänzlich verschwindet, wurde ebenfalls gezeigt. (Fs)

112a Auf der Grundlage der hier vorgetragenen Argumentation gibt es deshalb keinen Grund zur Annahme, daß durch ihr Alter unfruchtbar gewordene Ehepaare, die sexuell miteinander verkehren - insbesondere wenn sie bereits Kinder hatten -, dabei nicht auch weiterhin Akte des Typs "prokreative Akte" vollziehen. Sie tun einfach das, was sie immer getan hatten. Und sie haben ja, wie bis anhin, nichts getan, um die prokreativen Folgen ihres Sexualverhalten zu verhüten. Wären sie immer noch fruchtbar, so würden sie entweder für die Empfängnis eines neuen Kindes offen stehen, oder sie würden sich, wenn sie dazu Gründe hätten, periodisch enthalten. Falls sie früher jedoch Empfängnisverhütung betrieben haben und dies nun aufgrund altersbedingter Sterilität nicht mehr nötig ist, so vollziehen sie selbstverständlich entsprechende Sexualakte weiterhin mit einem kontrazeptiven Willen. Daß die Unfruchtbarkeit jetzt "natürlich" ist, ändert ja nichts an der Intentionalität ihrer Akte. Auch in diesem Fall tun sie weiterhin, was sie immer taten. (Fs)

112b Falls es sich um pathologische Sterilität handelt, so muß wiederum darauf geachtet werden, was im Willen der Eheleute vor sich geht. Es könnte ja sein, daß sie sich sagen: "Um so besser, so brauchen wir keine kontrazeptiven Maßnahmen zu ergreifen." Es ist aber auch möglich - und dieser Fall ist hier wohl der zu beachtende -, daß sie eigentlich gerne Kinder wollten. Sie versuchen vielleicht sogar, mit operativen Eingriffen die physiologische Anomalität zu beseitigen. Ihre unfruchtbaren Sexualakte sind durchaus von der Bereitschaft geprägt, Kinder zu empfangen, wenn dies möglich wäre. Der vorhandene Wunsch und die grundsätzliche Bereitschaft, im Sexualakt etwas zu tun, was mit der Weitergabe menschlichen Lebens einen Zusammenhang besitzt, und das Fehlen jeglicher willentlicher Handlung, um dies unmöglich zu machen, genügt hier vollkommen, um intentional gesehen Akte des Typs "prokreative Akte" zu vollziehen. In den Sexualakten solcher Ehepaare sind beide Sinngehalte, der unitive und der prokreative, intentional vorhanden, und somit finden sich in ihnen die für eheliche Liebe charakteristischen Ausdrucksqualitäten. Wir behaupten ja gerade nicht, der prokreative Sinngehalt sexueller Akte stehe und falle mit der physiologischen Möglichkeit der Fortpflanzung oder er hänge von der effektiven Erwartung ab, es könnte nun durch vollzogene Sexualakte neues Leben entstehen. Es wurde ja gezeigt, daß das Objekt des ehelichen Sexualaktes nicht in der "Erzeugung neuen Lebens" besteht, sondern in der liebenden Selbsthingabe an den anderen in der Ganzheit der eigenen leib-geistigen Per-sonalität. Mit all dem ist allerdings nicht gemeint, daß unabhängig vom Willen bestehende Unfruchtbarkeit von sich aus bereits unproblematisch ist. Sie kann ja gleichsam mißbraucht werden. Entscheidend ist einzig und allein das Verhältnis des Willens zur Unfruchtbarkeit. (Fs)

113a Man darf deshalb auch die Enthaltsamkeit nicht überbewerten. Sie ist nicht Selbstzweck oder unbedingte Notwendigkeit. Sie ist, um den prokreativen Sinngehalt sexueller Akte zu wahren, nur dann notwendig, wenn sie eben notwendig ist, um aus angemessenen Gründen eine Empfängnis zu vermeiden (unbeschadet der Tatsache, daß Enthaltsamkeit öfter auch aus anderen Gründen angebracht und notwendig sein kann, und daß auch Empfängnisverhütung praktizierende Eheleute weiterhin Gründe haben, sich hin und wieder zu enthalten. Enthaltsamkeit in sich ist noch keine Tugend; entscheidend ist die Praxis, in deren Kontext sie steht). Der Trieb wird ja in die Struktur personaler Liebe keineswegs nur durch Enthaltsamkeit integriert, sondern entweder durch die unabhängig vom Willen des Menschen bestehende Möglichkeit, daß daraus neues Leben entsteht, oder aber durch verantwortliche Enthaltung zur Vermeidung der Entstehung neuen Lebens. In beiden Fällen verhalten sich Eheleute intentionalzu ihren sexuellen Akten als zu einer potentiellen Quelle neuen Lebens. (Fs)

113b Nur wenn Sexualität und der mit ihr verbundene Genuß von ihrem prokreativen Sinngehalt abgekoppelt ist - d.h. wenn die Unfruchtbarkeit dem Willen des Menschen entspringt -, ist sie nicht mehr fähig, Ausdruck gegenseitiger liebender Selbsthingabe von Mann und Frau zu sein. In diesem Sinne desintegrierte Sexualität ist eine Art "Zeitbombe": Sie erlangt eine destruktive Kraft und wirkt wie ein Prinzip der Korrosion, das allmählich eheliche Liebe zersetzt, ihren leiblichen Ausdruck zu einer sinnentleerten Gebärde werden läßt, die den einzelnen affektiv auf sich selbst zurückwirft; zumindest beraubt sie die Ehe gewisser Qualitäten, die ihr spezifisch eigen sind, und in äußerst vielen Fällen isoliert sie die Eheleute gerade auch sexuell voneinander. (Fs)

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