Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Sexualiät und Verantwortung Titel: Sexualität und Verantwortung Stichwort: Tugend: Keuschheit; verantwortliche Elternschaft Kurzinhalt: Keuschheit meint nicht einfach Enthaltsamkeit, sondern Herrschaft über den eigenen Sexualtrieb, um ihn in die Ordnung personaler Liebe einzuordnen Textausschnitt: 78a Diese Beschreibung von verantwortlicher Elternschaft impliziert eine sehr präzise Charakterisierung der Tugend der Keuschheit. Keuschheit meint nicht einfach Enthaltsamkeit, sondern Herrschaft über den eigenen Sexualtrieb, um ihn in die Ordnung personaler Liebe einzuordnen. Keuschheit zielt - wie jede Tugend - auf Liebe ab, auf Sich-in-Dienst-stellen, auf Verantwortung nicht nur dem Ehepartner gegenüber, sondern auch hinsichtlich der menschlichen Gemeinschaft und der menschlichen Spezies. Gemäß Thomas von Aquin widerspricht deshalb Keuschheit nicht dem, was er eine nur "scheinbare Unenthaltsamkeit" nennt, die "guter, mit der Vernunft übereinstimmender Begierlichkeit" entspringt1. Tatsächlich verkehren ja normalerweise Eheleute sexuell miteinander aufgrund spontanem sinnlichem Begehren und affektiver Zuneigung. Damit der eheliche Akt "mit der Vernunft übereinstimmt", ist nicht verlangt, daß man ihn aufgrund einer vernünftigen Überlegung vollzieht (z.B. um jetzt ein Kind zu zeugen oder um die "eheliche Pflicht" zu erfüllen). Das wäre eine recht unrealistische Sicht der Dinge (obwohl die kritisch oft abgewertete "Erfüllung der ehelichen Pflicht" durchaus für den einen der beiden Ehepartner ein wahrer Liebe, Treue und Wohlwollen entspringender Grund sein kann; etwas einfach dem anderen zuliebe tun ist auch ein Liebesakt). Glücklicherweise brauchen wir jedoch nicht die grimmig puritanische Sicht Benjamin Franklins zu teilen "rarely use venery but for health and offspring" ("mache nur selten von der Geschlechtskraft Gebrauch, es sei denn um der Gesundheit und der Zeugung von Nachkommenschaft willen"). Eheliche Liebe besitzt ihre eigene Spontaneität, die sexueller Neigung und der ihr entsprechenden Triebstruktur entspringt (was etwas ganz anderes ist, als "nur um der Lustbefriedigung willen zu handeln"; das hat nichts mehr mit Liebe zu tun). Erfordert ist habituelle oder virtuelle Integration sexueller Begierde in die Ordnung der Vernunft, die die Ordnung menschlicher Liebe ist. (Fs) |