Autor: Coreth, Emerich Buch: Metaphysik Titel: Metaphysik Stichwort: Das Sein als das Unbedingte; Einwand: subjektiver Idealismus, Subjektivismus, Relativismus Kurzinhalt: Was ist aber der Sinn von Sein, wie er sich im Vollzug des Fragens als dessen Horizont erschließt? Ich will vielmehr wissen, wie das Seiende 'an sich' selbst ist, d. h. nicht mehr bezogen auf eine äußerliche und veränderliche Bedingung, sondern ... Textausschnitt: 231/1 Es hat sich ergeben: Fragen kann ich nur nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. Fragen kann ich nur im Horizont des Seins. Was ist aber der Sinn von Sein, wie er sich im Vollzug des Fragens als dessen Horizont erschließt? (122; Fs)
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1. Wenn ich frage: Was ist das?, so setzt diese Frage schon ein vorläufiges Wissen um das Gefragte voraus. Ich weiß, wie es sich mir darstellt, ich weiß, wie es mir bisher erscheint. Dieses Wissen ist noch keine Antwort auf die Frage, nur ihre Bedingung. Die Frage übersteigt gerade das bisherige, vorläufige Wissen und will erfahren, wie es wirklich ist. Solange ich nicht weiß oder nicht sicher weiß, daß es wirklich so ist, wie es mir scheint, und daß mein Wissen wirklich trifft, was 'ist' und wie es 'ist', kommt das Fragen nicht zur Ruhe; die Frage ist noch nicht in der Antwort aufgehoben, ich frage weiter - eben nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. (122f; Fs)
233/1 Wenn ich so frage, will ich nicht nur wissen, wie es sich mir in einer relativ gültigen, nur vorläufigen, noch überholbaren Erscheinung darstellt, sondern wie es in absoluter und endgültiger, nicht mehr überholbarer Geltung selbst 'ist'. Ich will also nicht nur wissen, wie es - relativ - nur 'für mich', sondern wie es - absolut - 'an sich' ist. Die Frage setzt ihrem Wesen nach jenseits der Erscheinung 'für mich' eine Geltung 'an sich' voraus - ihr gilt die Frage. (123; Fs)
234/1 Ich will also nicht nur wissen, wie dieses Ding oder dieser Sachverhalt etwa von mir oder meinesgleichen vorgestellt und gedacht wird, vielleicht auch notwendig - auf Grund unseres Wesens - vorgestellt und gedacht werden muß. Ich will nicht nur wissen, wie es etwa einem begrenzten Bereich von erkennenden Wesen erscheint oder wie es sich bezogen auf einen begrenzten Bereich von Seienden darstellt und ausnimmt. Ich will nicht nur wissen, wie das Gefragte innerhalb eines wie immer bedingten und beschränkten Horizonts der Geltung erscheint; wie es darum selbst in bedingter und in seiner Bedingung noch überholbarer Weise zur Geltung kommt. Solange die Frage nur eine derart vorläufige, nicht endgültige, bedingt, nicht unbedingt gültige Antwort erhält, kommt das Fragen nicht ans Ziel - ich frage weiter, nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. (123; Fs)
235/1 Was ist damit gemeint? Aus der negativen Abgrenzung von dem, was die Bewegung des Fragens nicht aufheben kann, ergibt sich schon der positiv gemeinte Sinn des Fragens nach dem, was 'ist'. Wenn ich so frage, will ich nicht nur wissen, wie das Gefragte nur 'für mich' oder allgemeiner 'für etwas' ist, d. h. bezogen auf eine dem Seienden äußerliche und veränderliche Bedingung; dies wäre eine bedingte Geltung, die als solche - durch einen Wandel der Bedingungen - aufhebbar ist. (123f; Fs) (notabene)
236/1 Ich will vielmehr wissen, wie das Seiende 'an sich' selbst ist, d. h. nicht mehr bezogen auf eine äußerliche und veränderliche Bedingung, sondern in unbedingter Geltung, die als solche nicht mehr überholbar ist. Dadurch, daß das Seiende selbst so 'ist', behauptet es sich in seinem Sein unbedingt, somit vor dem Sein im ganzen, und fordert Anerkennung von jedem der Wahrheit des Seins fähigen Wesen. Erst wenn die Frage eine Antwort erhält aus dem, was das Seiende 'an sich' ist, kommt ihre Bewegung ans Ziel; die Intention der Frage ist durch die Antwort erfüllt: durch das unbedingt gültige An-sich-Sein des Seienden. (124; Fs)
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2. Dagegen ist der Einwand möglich: Ich will in meinem Fragen gar nicht die unbedingte Geltung eines 'an sich' Gültigen erfragen, sondern nur die bedingte und beschränkte Geltung des jeweils 'für mich' Gültigen; ich begnüge mich damit. Dieser Einwand hebt sich jedoch im Vollzug des Fragens selbst auf. (124; Fs) (notabene)
238/1 Auch wenn ich - erstens - in der ausdrücklichen Intention der Frage nur eine bedingte Gültigkeit 'für mich' erfragen will, so ist schon, indem ich so frage, das Bedingungsverhältnis selbst als unbedingt gültig vorausgesetzt. Der Sachverhalt, daß mir dies so oder so erscheint, oder daß ich es - vielleicht bewußt nur vorläufig - so oder so meine, ist selbst ein unbedingt gültiger und als solcher im Vollzug des Fragens vorausgesetzter Sachverhalt. Dies zeigt, daß alle bedingten Horizonte im Vollzug des Fragens selbst schon überstiegen werden auf einen umgreifenden Horizont unbedingter Geltung, dem das Fragen - auch entgegen seiner thematischen Intention - niemals entfliehen kann. (124; Fs) (notabene)
239/1 Dazu kommt - zweitens -, daß ich nicht einmal fragen könnte nach einer unbedingten Geltung des 'an sich' Seienden, wenn mein Fragen grundsätzlich im Bereich der bloß bedingten und begrenzten Geltung 'für mich' eingeschränkt wäre. Nun kann ich aber jedenfalls über alle relativen Erscheinungen und Meinungen hinaus fragen nach dem, was eigentlich und an sich ist; ich kann zumindest danach fragen, ob mein Fragen grundsätzlich auf einen Horizont bedingter Geltung beschränkt ist oder darüber hinaus unbedingte Geltung erreichen kann. Schon in dieser Frage wird der Horizont bedingter Geltung überstiegen; es wird im Horizont schlechthin unbedingter Geltung gefragt. (124f; Fs)
240/1 Jeder subjektive Idealismus, jeder Subjektivismus oder Relativismus grenzt sein Fragen und sein Wissen durch den Anspruch bloßer Gültigkeit 'für mich' gegen eine unbedingte Gültigkeit 'an sich' ab; anders könnte er seine Position gar nicht definieren. Indem er das tut, macht er jedoch schon den Unterschied zwischen dem nur 'für mich' und dem 'an sich' Gültigen; damit greift er bereits über den Horizont des bloß 'für mich' Gültigen vor auf den Horizont des 'an sich' Gültigen; er macht eine Aussage, die selbst - im Vollzug dieser Aussage - eine unbedingte Geltung 'an sich' setzt. So macht er, wenn auch gegen seine ausdrückliche Versicherung, implizit Aussagen über das 'An-sich', setzt aber das 'Für-mich' als unbedingt gültiges, also 'an sich' gültiges 'Für-mich'. Darin liegt ein Widerspruch, in dem sich die These selbst aufhebt. (125; Fs) (notabene)
241/1 Wir könnten gar nicht fragen nach dem, was an sich und unbedingt 'ist', wir könnten nicht einmal negativ unser Fragen und Wissen davon abheben in der Beschneidung auf das, was nur bedingt und nur für mich gültig ist, wenn nicht alle relative Gültigkeit immer schon überstiegen wäre durch den offenen Horizont absoluter Gültigkeit, in dem unausweichlich all unser Fragen und Wissen steht und der im Vollzug unseres Fragens und Wissens - als Bedingung seiner Möglichkeit - mitgesetzt wird. (125; Fs) (notabene)
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3. Der Horizont unseres Fragens ist die Unbedingtheit. Diese Unbedingtheit ist gemeint und ungezielt in dem 'Ist' der Frage: Was 'ist' das und wie 'ist' es? Weil und insofern es 'ist', weil und insofern es als Seiendes im Sein gesetzt ist, kommt dem Gefragten unbedingte Geltung zu, die in der Frage vorausgesetzt wird und erfragt werden soll. Wenn aber dem Seienden unbedingte Geltung eigen ist, weil es an sich 'ist', so ist das Sein das schlechthin Unbedingte; es ist der Horizont der Unbedingtheit, innerhalb dessen Seiendes, sofern es als Seiendes gesetzt ist, unbedingt gültig und als solches fragbar ist. (125; Fs) (notabene)
243/1 Das Sein ist die Bedingung des Fragens, die - als unbedingtes, allem Fragen vorgegebenes 'An-sich-Sein' - vorausgesetzt und im Vollzug des Fragens mitgesetzt ist. Über das Sein hinaus kann aber nicht mehr gefragt werden. Wenn immer ich frage, frage ich nach dem, was 'ist' und in seinem 'Ist' unbedingt gültig ist. So erweist sich das Sein als die unbedingte Bedingung alles Fragens. Es ist das schlechthin Letzte, das Unübersteigbare und Unüberholbare, das Unbedingte. Wenn es aber nicht mehr durch anderes bedingt ist, dann ist es das schlechthin Notwendige, dasjenige, was einfachhin an sich und durch sich 'ist' und die Möglichkeit des Nichtseins ausschließt. (125f; Fs) (notabene)
244/1 Daß es Sein überhaupt, Sein im ganzen, als letztes, unbedingtes und notwendiges 'An-sich-Sein' gibt, in dessen Raum ich - nach einzelnem oder nach allem - fragen kann, dies ist immer und notwendig als Bedingung des Fragens vorausgesetzt und im Vollzug alles Fragens mitgesetzt; sonst könnte ich gar nicht fragen. (126; Fs) ____________________________
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