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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Kirche; Symbol; Rationalismus: Sprache des Chrsitentums als Mythos

Kurzinhalt: Das Christentum wurde historisiert in dem Sinn, dass ein Universum von Symbolen ... aus der Perspektive von Kategorien gesehen wurde, die dem Zeitalter des Rationalismus entstammten ...

Textausschnitt: d. Dritte Phase: Die Autorität der Kirche und der christlichen Symbole

37a Das schwerwiegendste Problem bezüglich der geistigen Substanz des Christentums entsprang - in der dritten Phase - dem Konflikt zwischen dem christlichen Symbolismus und der rationalen, historischen Kritik an ihm. Die Symbolsprache, in der die Wahrheit des Christentums zum Ausdruck gebracht wird, entstammt hebräischen und hellenischen Quellen. Zur Zeit ihrer ursprünglichen Anwendung war die Sprache des Mythos ein präzises Instrument, die hereinbrechende transzendente Realität, ihre Inkarnation und ihr Wirken im Menschen zum Ausdruck zu bringen. Zur Zeit Christi und der darauf folgenden Jahrhunderte des frühen Christentums war diese Sprache nicht ein "Mythos", sondern die exakte Terminologie zur Bezeichnung von religiösen Phänomenen. Zum "Mythos" wurde sie erst nach dem Eindringen eines Rationalismus, der die transzendenten Bedeutungen der der sinnlichen Welt entnommenen Symbole zerstört. Im Verlauf dieser "Entgötterung" der Welt verloren die sinnlichen Symbole ihre Transparenz für die transzendente Realität; sie wurden undurchsichtig und offenbarten nicht länger die Versenkung der finiten in die transzendente Welt. Das Christentum wurde historisiert in dem Sinn, dass ein Universum von Symbolen, welches dem Zeitalter des Mythos angehörte, aus der Perspektive von Kategorien gesehen wurde, die dem Zeitalter des Rationalismus entstammten. In dieser Perspektive, wo Symbole und Dogmen in einer "buchstäblichen", entzauberten Undurchsichtigkeit von außen gesehen werden, nehmen sie die "Irrationalität" an, die sie in Konflikt mit Logik, rationaler Biologie, kritischer Geschichte und anderem mehr bringt. Für einen modernen Menschen, der außerhalb der christlichen Traditionen und Institutionen aufgewachsen ist, ist es extrem schwer, die ursprüngliche Bedeutung der alten Symbolismen zurückzugewinnen, seien sie hellenischen oder christlichen Ursprungs. Man kann freilich zu einem Verständnis des Problems gelangen, wenn man sich die Symbolismen moderner geistiger Perversionen, die genauso weit jenseits der Sphäre rationaler Kritik wie die alten Symbolismen liegen, vor Augen führt. Jeder, der irgendwann den Versuch unternommen hat, einem überzeugten Marxisten zu erklären, dass die Idee einer kommunistischen, herrschaftsfreien* Gesellschaft eine derivative Eschatologie sei und der Marxismus kein "wissenschaftlicher" Sozialismus - oder auch jeder, der irgendwann einmal versucht hat, einem fanatischem Anhänger der Idee der Weltorganisation** zu erklären, dass Begriffe wie "Weltfrieden", "friedliebende Nationen", "Aggressoren" und so weiter nicht Konzepte empirischer Politik seien, sondern Symbole einer innerweltlichen Eschatologie - wird an der Reaktion seines Opfers schnell abschätzen können, wie sinnlos es sich für einen frühen Christen anhören mochte, wenn jemand mit biologischen Gründen gegen die Inkarnation argumentierte. (Fs) (notabene)

38a In dieser historischen Situation hat die Kirche, soweit es ihre defensive Haltung betrifft, mit bewundernswerter Weisheit reagiert. Fest widerstand sie allem Hantieren an den Symbolen durch modernistische, rationale Interpretationen, die das Mysterium des transzendenten Dramas auf eine Psychologie von innerweltlichen menschlichen Erfahrungen zu reduzieren suchten. Nichts wäre durch Zugeständnisse zu gewinnen gewesen, und die in den Symbolen bewahrte geistige Substanz wäre gefährdet worden. Weniger bewundernswert war dagegen die Hilflosigkeit der Kirche beim aktiven Umgang mit dem Problem. Denn unbestreitbar existiert ein Problem, und es lässt sich nicht wie die Probleme der ersten und zweiten Phase lösen - nämlich durch eine verspätete Akzeptanz der neuen Situation. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Lösung anzubieten. Aber zweifellos wäre ein Teil davon eine neue christliche Philosophie der Geschichte und der mythischen Symbole, die - erstens - die neue Sinndimension verstehbar machen würde, die der historischen Existenz des Christentums aufgrund der Tatsache, dass die Kirche zwei Zivilisationen überdauert hat, zugewachsen ist. Zweitens könnten die Kategorien des Mythos als einer objektiven Sprache zum Ausdruck eines transzendenten Einbruchs verstehbar gemacht werden. Es würde sich zeigen, dass der Mythos ein adäquateres und exakteres Instrument des Ausdrucks ist als jedes rationale System von Symbolen. Insofern darf also der Mythos nicht missverstanden werden, indem man ihn wörtlich nimmt - damit würde er undurchsichtig -, noch darf er auf eine Erfahrungsebene der Psychologie reduziert werden. Offensichtlich ist dies eine Aufgabe, die eher einen neuen Thomas als einen Neo-Thomisten erfordern würde. Das Glanzstück kirchlicher Staatskunst, das bis heute keine ebenbürtige Leistung fand, lieferte der Hl. Paulus, als er die drei Gemeinschaftskräfte seiner Zeit (Heiden, Hebräer, Christen) mit den drei Gesetzen (dem Naturgesetz, dem äußeren Gesetz der Hebräer sowie dem christlichen Gesetz des Herzens) gleichsetzte.* Seine Übertragung der Trias der Kräfte auf immer höher aufsteigende Ebenen der Spiritualität machte die historische Situation für seine Zeitgenossen sinnvoll und verstehbar. Wollte man das tiefste Sentiment, das den geistigen Spannungen des Westens seit dem Mittelalter zugrunde liegt, etwas drastischer formulieren, dann könnte man sagen, dass die Träger der westlichen Zivilisation kein sinnloser Anhang zur Geschichte der Antike sein wollen. Im Gegenteil, sie wollen ihre zivilisatorische Existenz als sinnvoll zum Ausdruck bringen. Wenn die Kirche nicht imstande ist, die Hand Gottes in der Geschichte der Menschheit wahrzunehmen, werden die Menschen nicht ruhig und zufrieden bleiben, sondern nach Göttern suchen, die für ihre zivilisatorischen Anstrengungen Interesse zeigen. Die Kirche gab ihre geistige Führungsrolle insofern auf, als sie den nachmittelalterlichen Menschen, der in einer komplexen Zivilisation, die sich in ihren Horizonten von Vernunft, Natur und Geschichte grundlegend von der durch die frühe Kirche absorbierten und durchdrungenen alten Zivilisation unterscheidet, nach einem Sinn sucht, allein ließ. Angesichts dieser Preisgabe des magisterium ist es nichtig, wenn christliche Denker die superbia des modernen Menschen, der sich nicht der Autorität der Kirche beugt, beklagen. Es ist zwar immer noch genügend superbia im Menschen vorhanden, um die Anklagen zu rechtfertigen; doch weicht die Klage dem eigentlichen Punkt aus, nämlich dass der nach einer Autorität suchende Mensch diese - ohne eigenes Verschulden - in der Kirche nicht finden kann. Aus der Unzufriedenheit, sich in einem sinnlosen zivilisatorischen Prozess zu befinden, stammen die mit Voltaire einsetzenden Versuche, durch die Evokation einer neuen "Heilsgeschichte" einen Sinn neu zu konstruieren. Und mit Voltaire setzte auch der konzertierte Angriff auf die christlichen Symbole ein, sowie der Versuch, ein Bild des Menschen im Kosmos unter der Leitung innerweltlicher Vernunft zu evozieren. Wir müssen uns nun diesem hoch wirksamen Angriff, der die apostatische Bewegung innerhalb einer Generation vom Deismus eines Descartes und Locke zum Atheismus eines Holbach und La Mettrie voranbrachte, zuwenden. (Fs)

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