Autor: Cantalamessa, Raniero Buch: Als neuer Mensch leben Titel: Als neuer Mensch leben Stichwort: Reinheit und Erneuerung; Kerygma und Martyra; Familie - Heiden; Ehebruch, Glaubensabfall, Mord Kurzinhalt: Im Besonderen machte die Wiederherstellung und Heilung der familiären Beziehungen einen außerordentlichen Eindruck auf die heidnische Gesellschaft, deren damalige Autoritäten zwar die Familie reformieren wollten, sich jedoch als ohnmächtig ... Textausschnitt: 3. Reinheit und Erneuerung
292b Wenn man die Geschichte der Anfänge des Christentums studiert, sieht man ganz deutlich, daß es hauptsächlich zwei Mittel waren, durch die es der Kirche gelang, die damalige heidnische Welt zu verwandeln: Das erste war die Verkündigung des Wortes, das Kerygma, und das zweite war das Lebenszeugnis der Christen, die Martyra. Und man sieht, wie es im Bereich des Lebenszeugnisses wiederum zwei Dinge waren, die die Heiden am meisten beeindruckten und bekehrten: die Nächstenliebe und die Reinheit der Sitten. Bereits der erste Petrusbrief erwähnt das Erstaunen der heidnischen Welt angesichts der so anderen Lebensweise der Christen:
»Sie sind überrascht, daß ihr euch von ihnen nicht mehr in diesen Strudel der Leidenschaften hineinreißen laßt« (1 Petr 4,4). (Fs)
292c Die Apologeten - d. h. die christlichen Autoren, die in den ersten Jahrhunderten der Kirche Schriften zur Verteidigung des Glaubens verfaßten - bezeugen, daß die reine und keusche Lebensweise der Christen für die Heiden etwas »Außergewöhnliches und Unglaubliches« darstellte. In einem solchen Text heißt es:
»Sie heiraten wie alle anderen und haben Kinder, aber sie setzen ihre Neugeborenen nicht aus. Sie haben Tischgemeinschaft, teilen aber nicht das Bett; sie leben im Fleisch, aber nicht nach dem Fleisch; sie wohnen auf der Erde, sind aber in Wirklichkeit Bürger des Himmels.«1
293a Im Besonderen machte die Wiederherstellung und Heilung der familiären Beziehungen einen außerordentlichen Eindruck auf die heidnische Gesellschaft, deren damalige Autoritäten zwar die Familie reformieren wollten, sich jedoch als ohnmächtig erwiesen und ihren Verfall nicht aufhalten konnten. Eines der Argumente, auf die der hl. Märtyrer Justin seine an Kaiser Antoninus Pius gerichtete Apologie gründete, ist folgendes: Die römischen Kaiser sorgen sich um die Gesundung der Sitten und der Familie und bemühen sich, zu diesem Zweck geeignete Gesetze zu erlassen, die sich jedoch als ungenügend erweisen. Nun, warum sollte man das, was die christlichen Gesetze bei denen, die sie angenommen haben, zu erreichen vermochten, und die Hilfe, die sie auch der bürgerlichen Gesellschaft geben können, nicht anerkennen? (Fs)
293b Man muß nicht glauben, die christliche Gesellschaft sei gänzlich frei gewesen von Unordnung und Sünden auf sexuellem Gebiet. Der hl. Paulus hatte in der Gemeinde von Korinth sogar einen Fall von Inzest anprangern müssen. Doch diese Sünden wurden klar als solche erkannt, angeprangert und korrigiert. Man erhob (wie in allen anderen Bereichen, so auch auf diesem Gebiet) nicht den Anspruch, ohne Sünde zu sein, aber man wußte, daß man sie zu bekämpfen hatte. Der Ehebruch wurde neben dem Mord und dem Glaubensabfall als eine der drei größten Sünden betrachtet, so daß eine gewisse Zeit lang und in gewissen Kreisen darüber diskutiert wurde, ob er durch das Bußsakrament überhaupt vergeben werden könne oder nicht. (Fs)
294a Machen wir jetzt einen Sprung von den Anfangen des Christentums in unsere Zeit. Welches ist die Situation der Welt von heute hinsichtlich der Reinheit? Es ist dieselbe wie damals, wenn nicht noch schlimmer! Wir leben in einer Gesellschaft, die in bezug auf die Sitten ins tiefste Heidentum zurückgefallen ist und in eine geradezu uneingeschränkte Vergötterung des Sexuellen. Die furchtbare Anklage, die der hl. Paulus am Anfang des Römerbriefes gegen die heidnische Welt erhebt, ist Punkt für Punkt auf die Welt von heute, insbesondere auf die sogenannten Wohlstandsgesellschaften zu übertragen:
»Gott lieferte sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht ... Sie erkennen, daß Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selbst, sondern stimmen auch bereitwillig denen zu, die so handeln« (Röm 1, 26-32). (Fs)
294c Auch heute wird nicht nur solches und noch Schlimmeres getrieben, sondern man versucht sogar, es zu rechtfertigen, jede moralische Zügellosigkeit und sexuelle Perversion zu rechtfertigen, wenn sie nur - wie man sagt - den anderen keine Gewalt antut und die Freiheit der anderen nicht verletzt. Als ob Gott damit überhaupt nichts mehr zu tun hätte! Ganze Familien werden zerstört, und man sagt: Was ist schon Schlimmes daran? Es besteht kein Zweifel daran, daß gewisse Urteile der traditionellen Sexualmoral revidiert werden mußten und daß die modernen Humanwissenschaften dazu beigetragen haben, manche Mechanismen und Konditionierungen der menschlichen Psyche zu klären, die die moralische Verantwortlichkeit für gewisse Verhaltensweisen, die seinerzeit als sündhaft betrachtet wurden, aufheben oder herabsetzen. Doch dieser Fortschritt hat nichts zu tun mit dem Pansexualismus gewisser pseudowissenschaftlicher und permissivistischer Theorien, die darauf ausgerichtet sind, jegliche objektive Norm auf dem Gebiet der Sexualmoral zu bestreiten, indem sie alles auf ein Faktum spontaner Evolution der Sitten, d. h. auf eine kulturelle Gegebenheit zurückführen. Wenn wir das, was als die sexuelle Revolution unserer Zeit bezeichnet wird, eingehender untersuchen, stellen wir mit Schrecken fest, daß es nicht bloß eine Revolution gegen die Vergangenheit, sondern oft auch eine Revolution gegen Gott ist. Die Kämpfe zugunsten der Scheidung, der Abtreibung und ähnlicher Dinge werden gewöhnlich mit der Parole geführt: »Ich gehöre mir selbst! Mein Leib - bzw. mein Bauch - gehört mir!«, was die genaue Antithese zu der Wahrheit ist, die sich aus dem Wort Gottes ergibt, daß wir nämlich nicht uns selbst gehören, weil wir eben »Christus gehören«. Es ist dies also die Stimme der Revolte gegen Gott, der Anspruch auf absolute Autonomie. (Fs) ____________________________
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