Autor: Aristoteles Buch: Aristotles' Metaphysik I Titel: Metaphysik I Stichwort: Axiom: Satz vom Widerspruch (Widerspruchsprinzip); Satz vom ausgeschlossenen Dritten Kurzinhalt: Die obersten Beweis-Axiome (Satz vom Widerspruch und ausgeschlossenen Dritten) Textausschnitt: 3. Die obersten Beweis-Axiome (Satz vom Widerspruch und ausgeschlossenen Dritten) als Gegenstand derselben Wissenschaft, die von der Substanz handelt, sc. der Metaphysik
251 (a) Zu erörtern ist nun, ob es einer und derselben oder verschiedenen Wissenschaften zukommt, von den in der Mathematik (20) so genannten Axiomen und von dem Wesen (Substanz) zu handeln. Offenbar kommt die Untersuchung der Axiome derselben einen Wissenschaft zu, nämlich der des Philosophen; denn sie gelten von allem Seienden, nicht von irgendeiner Gattung insbesondere, geschieden von den übrigen. Alle bedienen sich ihrer, (25) weil sie vom Seienden als Seiendem gelten, und jede Gattung Seiendes ist. Sie bedienen sich ihrer aber nur insoweit, als es für sie nötig ist, d. h. soweit die Gattung reicht, auf welche ihre Beweisführungen gehen. (135; Fs)
252 Da sie also von allem gelten, insofern es Seiendes ist (denn dies ist das allem Gemeinsame), so kommt ihre Untersuchung dem zu, der das Seiende als solches erkennt. Deshalb unternimmt denn auch keiner von denen, die sich einer speziellen Wissenschaft widmen, (30) über diese zu sprechen, ob sie wahr sind oder nicht, weder der Geometer noch der Arithmetiker, ausgenommen einige Physiker. Daß diese es taten, hat seinen guten Grund; denn sie allein glaubten über die ganze Natur und über das Seiende Untersuchungen anzustellen. (135; Fs)
253 Da es aber einen Wissenschaftler gibt, der noch über dem Physiker steht (denn die Natur ist ja nur eine Gattung des Seienden), so wird diesem, (35) welcher (das Seiende) allgemein und das erste Wesen betrachtet hat, auch die Untersuchung der Axiome zufallen. (1005b) Die Physik ist zwar auch eine Weisheit, aber nicht die erste. Was aber einige von denen, die von den Axiomen sprechen, über die Wahrheit vorbringen, wie man dieselbe annehmen solle, das tun sie aus Unkenntnis der Analytik; denn die Kenntnis dieser Dinge muß man schon zur Untersuchung mitbringen und nicht erst bei derselben suchen. (b) (5) Daß es also dem Philosophen und dem, der jedes Wesen betrachtet, zukommt, auch die Prinzipien des Beweises zu untersuchen, ist hiernach klar. (135; Fs)
254 Es gehört sich nun, daß in jeder Gattung der, welcher die vollste Erkenntnis derselben besitzt, die sichersten Prinzipien der Sache anzugeben vermag, (10) also auch der, welcher vom Seienden als Seiendem die höchste Wissenschaft hat, die sichersten Prinzipien von allem. Dies ist aber der Philosoph, und das sicherste unter allen Prinzipien ist dasjenige, bei welchem Täuschung unmöglich ist; denn ein solches muß notwendig am bekanntesten sein, da sich ja alle über das täuschen, was sie nicht erkennen, und muß ohne Voraussetzung gelten. (15) Denn ein Prinzip, welches jeder notwendig besitzen muß, der irgend etwas von dem Seienden erkennen soll, ist nicht Annahme (Hypothese), und was jeder erkannt haben muß, der irgend etwas erkennen soll, das muß er schon zum Erkennen mitbringen. (135f; Fs)
255 Daß ein so beschaffenes Prinzip das sicherste unter allen ist, leuchtet ein; welches aber dies ist, wollen wir nun angeben: daß nämlich dasselbe demselben und in derselben Beziehung (und dazu mögen noch die anderen näheren Bestimmungen hinzugefügt sein, mit denen wir logischen Einwürfen ausweichen) unmöglich zugleich zukommen (20) und nicht zukommen kann. Das ist das sicherste unter allen Prinzipien; denn es paßt darauf die angegebene Bestimmung. Es ist nämlich unmöglich, daß jemand annehme, dasselbe sei und sei nicht. Zwar meinen einige, Herakleitos sage so, (25) doch ist es ja nicht notwendig, daß jemand das, was er sagt, auch wirklich so annehme. (137; Fs)
256 Wenn es nun aber nicht möglich ist, daß demselben das Entgegengesetzte zugleich zukomme (und dabei wollen wir auch zu diesem Satze die gewöhnlichen näheren Bestimmungen hinzugefügt haben), beim Widerspruche aber eine Meinung der anderen Meinung entgegengesetzt ist, so ist es offenbar unmöglich, daß derselbe zugleich annehme, (30) daß dasselbe sei und nicht sei; denn wer sich hierüber täuschte, der hätte ja die entgegengesetzten Ansichten zugleich. Daher kommen alle, die einen Beweis führen auf diese letzte Annahme zurück; denn dies Prinzip ist seinem Wesen nach zugleich Prinzip der anderen Axiome. (137; Fs) ____________________________
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