Datenbank/Lektüre


Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Wille - Vernunft - lex naturalis - lex aeterna (Ewiges Gesetz); materia debita = actus exterior;

Kurzinhalt: Die Vernunft besitzt in der Konstituierung des Objektes eine tatsächliche sittlich-maßstäbliche Funktion durch ihre Partizipation am Ewigen Gesetz

Textausschnitt: 335a Das also allein die Vernunft den Willen "ex parte obiecti" zu bewegen vermag1, rührt allein daher, daß diese Objekte - Objekte menschlicher, personaler Akte - eine "conceptio rationis" sind. Die Vernunft besitzt in der Konstituierung des Objektes eine tatsächliche sittlich-maßstäbliche Funktion durch ihre Partizipation am Ewigen Gesetz, wie Thomas im nachfolgenden Artikel ausführt. Das sittliche Gutsein des Willens hängt also, vermittels der praktischen Vernunft, vom Ewigen Gesetz ab, wie dies bereits ausgeführt wurde. Die ordnende Kraft der praktischen Vernunft, als Partizipation am Ewigen Gesetz, ist aber nichts anderes als die "lex naturalis". Diese ist es also letztlich, die den objektiven Sinn des menschlichen Handelns in fundamentaler und universaler - d. h. spezifisch menschlicher - Weise bestimmt. (Fs)

335b Dieses von der Vernunft dem Willen vorgelegte Objekt - eine "materia debita" - ist nun nichts anderes als der "actus exterior", die sogenannte äußere Handlung. Wir waren vorhin zum etwas paradox scheinenden Schluß gelangt, daß das Objekt eines "actus exterior" dieser "actus exterior" selbst ist. Die scheinbare Paradoxie beruht auf einer abstrahierenden Sichtweise. Wenn ich frage: Was ist das Objekt des Diebstahles, so frage ich eigentlich: Was ist das Objekt des inneren Willensaktes (sei es nun eine "intentio" oder eine "electio"), bzw.: Was hat dieser actus humanus, also ein vorüberlegter Willensakt, für ein Objekt? Das Objekt ist nun gerade die äußere Handlung "Entwendung fremden Eigentums". Es handelt sich dabei um eine Handlung, die bereits durch die Vernunft in der Dimension der Moralität - bezüglich des debitum - spezifiziert ist, und in diesem Fall müßte man von ihm sagen "non est vestitus debitis circumstantiis"; oder er ist "privatus debito modo, specie et ordine".1 (Fs)
335c Das bedeutet: Wenn wir eine Handlung "abstrakt" oder "in sich" betrachten, dann betrachten wir sie nur in ihrem Bezug auf die Vernunft. Das heißt jedoch: Wenn wir in dieser Betrachtungsweise nach ihrem "Objekt" fragen, so fragen wir nicht nach dem "finis naturalis", der in diesem äußeren Tun engagierten Potenzen oder Seelenkräfte, und auch nicht nach natürlichen Eigenschaften von diesem Tun zugrundeliegenden "Dingen", sondern nach dem "modus" oder "ordo debitus", und zwar in Bezug auf die "ordinatio" der praktischen Vernunft. Anders formuliert: Wir fragen nach dem spezifisch menschlichen und personalen, nicht nach dem "naturalen" Sinn dieses Aktes. Deshalb ist der Ausdruck "Objekt des äußeren Aktes" verfänglich und es haben sich offenbar auch viele in ihm verfangen. Wenn wir, wie Thomas, unter dem "Objekt", das hier gesucht ist, von Anfang an eine "conceptio rationis" verstehen, dann heißt "Objekt des äußeren Aktes" (oder seine "materia circa quam") so viel wie: der menschlich-personale Sinngehalt des äußeren Aktes oder: die in Bezug auf die Ordnung der Vernunft konstituierte "ratio debiti" des äußeren Aktes; wir meinen also in jedem Fall gerade die sittliche Dimension dieses Tuns. Deshalb scheint es klarer anstatt von "Objekt des äußeren Aktes" vom "objektiven Sinngehalt" (sittlichen Wertgehalt) des äußeren Aktes zu sprechen.1 (Fs)

336a Betrachten wir das menschliche Handeln jedoch in seiner Gesamtschau als willentliches Handeln, als ein Tun also, das einem intentionalen und elektiven Imperium des inneren Willensaktes entspringt, und sprechen wir dann vom "Objekt" einer solchen Handlung, dann ist mit diesem Objekt gerade der "actus exterior" gemeint, so wie er eben von der Vernunft dem Willen "präsentiert" wird. Während, wie Thomas ausführt2, der äußere Akt in der Ordnung der Ausführung (ordo executionis) dieselbe sittliche Qualität besitzt, wie der dieser "executio" zugrundeliegende innere Willensakt, so rührt doch die "bonitas" dieses inneren Willensaktes in der Ordnung der sittlichen Spezifizierung oder der "apprehensio" von der Vernunft her. Das Objekt des Willens ist also der "actus exterior" "secundum quod est in ordinatione et apprehensione rationis".3 Wenn wir also vom Objekt einer menschlichen Handlung sprechen, so meinen wir fundamental und eigentlich den äußeren Akt, "insofern er dem Willen von der Vernunft als ein bestimmtes durch die Vernunft erkanntes und geordnetes Gut vorgelegt wird".4 Mit dem Objekt ist auch der äußere Akt als Ziel des Willens gemeint5; denn, was man will, ist eben - ganz unabhängig von einer zusätzlichen Intention - Ziel des Wollens: das Objekt selbst besitzt, unter dem Gesichtspunkt seiner Vergegenständlichung durch den inneren Akt des Willens, eine "ratio finis".6 (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt